Wohnraumerweiterung Ger Plug-in in Ulaanbaatar
Anbaumodul mit Heizung, Küche, Bad
Eine wilde Mischung aus traditionellen und modernen Lebensstilen charakterisiert die mongolische Hauptstadt Ulaanbaatar. In den Vororten der Stadt – den sogenannten Ger-Distrikten – lassen sich jedes Jahr 35.000 Nomaden nieder. Ihre traditionellen Jurten, die in der Mongolei als Ger bezeichnet werden, nutzen sie fortan als fixe Unterkunft. Die unkontrolliert wachsenden Wohnviertel sind nicht an die Grundversorgung angeschlossen, weshalb den Bewohnern kein fließendes Wasser und keine Abwasserversorgung zur Verfügung stehen. Die Einwohner kaufen Wasser von Kiosken, graben Latrinen und verfeuern an kalten Wintertagen Unmengen von Kohle. Die der Universität Hongkong angegliederte Non-Profit-Organisation Rural Urban Framework (RUF) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Infrastruktur in den Ger-Distrikten zu verbessern.
Gallerie
Wertvoller Anbau
Neben dem Ger Innovation Hub, einem Gemeinschaftszentrum,
das den Zusammenhalt der noch jungen Gemeinden stärken soll (siehe
Objekte zum Thema), liefern sie mit dem Ger Plug-in einen
zweiten, dezentralen Baustein zum Ausbau und zur Aufwertung des
Distrikts. Bei dem Prototyp handelt es sich um ein
Versorgungsmodul, das die traditionellen Gers um eine Dusche, ein
WC und eine Küche mitsamt Wärmeversorgung und Isolation
erweitert.
Der Entwurf stammt von Joshua Bolchover von RUF. Er vereint die klassische Ger-Struktur auf kreisrundem Grundriss mit einer Holzkonstruktion in Quaderform und Pultdach. Die Fachwerkkonstruktion verschmilzt mit der Jurte und hält sie von oben, sodass die zentrale Stütze weggelassen werden kann. Indem sämtliche Versorgungseinrichtungen in die angefügte Holzkonstruktion verschoben werden, kann eine Familie ihren Ger ohne Einschränkungen zum Wohnen und Schlafen nutzen.
Low-tech und Off-grid
RUF testet mit dem Ger Plug-in
Low-tech- und Off-grid-Lösungen, etwa eine Toilette mit septischem
Tank, einen Wassertank und eine Bodenheizung mit elektrischem
Boiler. Neben dem Eingang ist eine Trombe-Wand installiert, mit der
Sonnenenergie passiv genutzt wird. Sie besteht aus schwarzen
PVC-Röhren, welche mit Sand gefüllt hinter einer Glasscheibe liegen
und als Wärmespeicher dienen. Den Ofen verschiebt der Architekt an
den Rand und baut ihn in eine Backsteinwand ein, die als
thermischer Speicher wirkt.
Die Maßnahmen sollen helfen, den Kohleverbrauch zu reduzieren. In der Testperiode konnten die Architekten messen, dass die Innentemperatur eines Gers mit Plug-in im Winter etwa 2.5 Grad wärmer ist und zudem die Temperatur im Ger weniger stark schwankt. Die Bewohner des Ger Plug-Ins konnten 93 Prozent ihres vorjährigen Kohlebedarfs einsparen. Zudem müssen sie nicht mehr 30 Minuten laufen, um Wasser zu holen, sondern nutzen den Wassertank, welcher alle 10-14 Tage durch einen Lastwagen aufgefüllt wird.
Ausbau zu einem Netzwerk
Ein Plug-in hat um die 53
Quadratmeter Grundfläche und kostet eine Familie etwa 10.000
US-Dollar. Mit der Zeit kann die Familie den Ger abbauen und durch
zusätzliche Räume in Fachwerkbauweise errichten. Aus dem Plug-in
wird so ein Haus, das sich durch die Selbst-Baukultur der
Ger-Distrikte und die Bedürfnisse der Familie entwickelt. An die
gerade gemauerte Außen- bzw. Brandschutzwand können Nachbarn
anschließen und so die Versorgungseinrichtungen teilen. Die
Planerinnen und Planer gehen davon aus, dass so langfristig eine
sesshafte Gemeinde mit dezentraler Versorgungsinfrastruktur
ausgebaut werden kann.
Der Ger als Akteur
Mit der Einführung einer Ecke im
sonst komplett runden Ger verändert sich auch die gesamte
Stadtstruktur. Der sonst autonome Ger wird nun plötzlich zu einer
Grenzbebauung und muss Bezug nehmen zum Kontext, wodurch er sich
von der nomadischen zu einer neuen urbanen Typologie transformiert.
So erhoffen sich die Architekturschaffenden, dass eine neue
kostengünstige Wohntypologie entsteht, welche auf den lokalen
Bautraditionen basiert. Der Ger soll dabei nicht einfach
verschwinden, sondern zum Akteur von Ulaanbaatars Transformation
werden. -sh
Bautafel
Architekten: Joshua Bolchover, Rural Urban Framework (RUF), Hongkong
Projektbeteiligte: GerHub, Ulaanbaatar (Projektpartner); ZAG Group LLC, Ulaanbaatar (Unternehmer)
Bauherrschaft, Finanzierung: Lorinet Foundation, Ulaanbaatar; General Research Fund, Hongkong
Fertigstellung: 2017
Standort: Bayankhoshuu, Ulaanbaatar, Mongolei
Bildnachweis: Rural Urban Framework (RUF), Hongkong
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