Wohnviertel Le Ray in Nizza
Dem städtischen Wärmeinseleffekt entgegenwirken
Sonne, Strand und Meer – das ist Nizza. Die Stadt mit den
meisten Sonnenstunden Frankreichs ist zugleich am stärksten vom
städtischen Wärmeinseleffekt betroffen. Vor allem dicht bebaute
Innenstadtbezirke mit wenig Grün können nachts nicht ausreichend
abkühlen. Anders das neue Quartier Le Ray, das die
Architekt*innen von Maison Edouard François gemeinsam mit dem
Landschaftsarchitekturbüro La Compagnie du Paysage als grüne
Parklandschaft konzipierten.
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Auf dem Areal lag einst das im Jahr 1927 errichtete Stade du Ray des Fußballvereins OGC Nice. 2013 fand hier das letzte Fußballspiel statt, wenige Jahre später wurde das Stadion abgerissen. Um innovative Ideen für die weitere Entwicklung der Brache zu finden, schrieb die Stadt einen Wettbewerb aus: Neben einem 3 Hektar großen öffentlichen Park sollten Ladenflächen, Wohnungen und ein Dojo – ein Trainingsraum für japanische Kampfkünste – entstehen.
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Grünes Viertel
Das Team von Edouard François entwarf in Zusammenarbeit mit ABC Architectes im Auftrag eines Immobilienentwicklungsunternehmens ein Gebäudeensemble, das sich sowohl mit dem urbanen Kontext als auch mit der Parklandschaft verbindet. Die zehn Wohnhäuser sind mit Pflanzen bewachsen, die das Erscheinungsbild des Quartiers mit 260 Eigentums- und 90 Sozialwohnungen sowie straßenseitigen Ladenflächen im Erdgeschoss prägen. Den Zugang zum neuen Stadtviertel markiert eine mit Marmor geschmückte Eingangshalle, die dem OGC Nice gewidmet ist. Eine Treppe führt in das angenehme Mikroklima zwischen den eng gestellten Häusern mit ihrer üppigen Bepflanzung. Grundstück, Fassaden und Dächer haben die Landschaftsarchitekt*innen von Compagnie du Paysage mit resilienten, wohlriechenden Pflanzen ausgestattet, die dem mediterranen Klima angepasst sind.
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Simples Gerüst aus Kastanie
Zwei Bauten schließen den Blockrand in Richtung Boulevard Gorbella und grenzen den Park schützend von der Hauptverkehrsstraße ab. Die Architekt*innen konzipierten die beiden in einem ähnlichen Maßstab wie die Nizza-typische Nachbarbebauung. So soll der Eindruck eines natürlichen, sukzessiven Stadtwachstums entstehen, um eine möglichst gelungene Integration des neuen Viertels in das Stadtbild zu gewährleisten.
In der Mitte der Parzelle liegen zwei aufgeständerte Wohnhäuser mit Laubengängen und jeweils einem gemeinschaftlich gepflegten Dachgarten. Weit auskragende Balkonplatten prägen die sechs seitlichen Gebäude. Ein simples Gerüst aus unbehandelten Kastanien-Kanthölzern hüllt die Außenwände und Balkone ein und dient als Rankhilfe für die blühenden Kletterpflanzen. Inspiriert von der Topografie der regionalen Landschaft bildet das Quartier einen grünen Hügel nach, auf dem sich Vegetation mit Stein und Holz verbindet. Die Steinfundamente der Gebäude repräsentieren dabei den für die Region typischen Stein inmitten der dichten Vegetation. Gemäß der Planung der Landschaftsarchitekt*innen sollen die Pflanzen nach fünf Jahren ein geschlossenes Ökosystem bilden, das ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bewässert werden muss. Bis dahin wird das Regenwasser in einer unterirdischen Zisterne gesammelt und über ein Schlauchsystem verteilt.
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Vier Bedingungen für Dichte
Mobilität, Mischung, Materialität und Ökologie – das sind laut dem Planungsteam die vier Grundbedingungen für urbane Dichte, auf deren Realisierung die Quartiersgestaltung ausgerichtet ist. Das neue Viertel liegt direkt an einer Straßenbahnhaltestelle. Eine Tiefgarage schafft 650 Parkplätze für den motorisierten Verkehr im Untergrund. Die Durchmischung entsteht einerseits aus dem Nutzungsmix von Geschäften, Wohnnutzung, Sport und Park sowie andererseits aufgrund der neu entwickelten Wohntypologien: Die Wohneinheiten lassen sich von den Bewohner*innen je nach Bedarf vergrößern oder verkleinern. So ist beispielsweise der Umbau einer Loggia zum Wintergarten möglich. Besonders sind die sogenannten Post-Covid-Wohnungen: Sie haben einen potenziell flexiblen Grundriss, sind für das Arbeiten im Homeoffice konzipiert und beinhalten Außenräume. Trennwände und Fenster sind verschiebbar und lassen sich je nach den Nutzungsbedürfnissen versetzen. Zudem können sich die Bewohner*innen die Terrassen mithilfe leichter Holzverkleidungen aneignen und den Gebäuden so ein individuelles Erscheinungsbild verleihen. Diese Anbauten müssen jedoch aus unverrotbarem Rohholz wie Robinie oder Kastanie errichtet sein.
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Details gegen den Großsiedlungseffekt
Bei der Materialwahl orientieren sich die Planenden an der klassischen Stadt aus Stein, begrünen sie jedoch vielfältig und schaffen atmosphärische Gegensätze. Das Thema Ökologie lag dabei klar im Fokus. Die Flächen neben den Fußwegen bleiben unversiegelt, sodass Regenwasser versickern und die Fassadenbegrünung gedeihen kann. Weitere Pflanzen befinden sich in höher angebrachten Kübeln entlang der Fassade. Gemeinsam mit dem benachbarten Park du Ray entsteht so eine vielfältige botanische Landschaft in der Tradition der mediterranen Gärten. Nizza erhält mit dem neuen Viertel eine grüne Insel, die einer sommerlichen Überhitzung der Stadt entgegenwirken soll. Gleichzeitig sind die Pflanzen so positioniert, dass sie weniger schöne, aber notwendige Elemente wie Lüftungsgitter oder Trafotüren kaschieren.
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Die Architekt*innen legten Wert auf Details, welche die Gebäude lokal verorten: azurblaue Stühle, mit Trompe-l’Œil bemalte Fassaden und sandfarbene Putz- und Steinfassaden, die für Nizza typisch sind. Dieser sorgfältig geplante Detailreichtum sorgt dafür, dass die Bauten kleinteilig wirken. So ergibt sich kein Großsiedlungseffekt, sondern entsteht eine urban durchmischte Atmosphäre, die sich aus dem Nebeneinander verschiedener Gebäuden ohne architektonische Übertreibungen zusammensetzt. Im Wohnquartier Le Ray sollen die Gemeinschaft der Menschen und das Miteinander von Stadt und Natur im Vordergrund stehen. -sh
Bautafel
Architektur: Maison Edouard François, Paris mit ABC Architectes, Villeneuve-Loubet
Projektbeteiligte: La Compagnie du Paysage, Paris (Landschaftsarchitektur); André Verdier, Montpellier (Tragwerksingenieur); Ingerop, Rueil-Malmaison (Gebäudetechnik); VPEAS, Bordeaux (Kostenplanung); VINCI Construction France, Nanterre (Generalunternehmen)
Bauherrschaft: VINCI Immobilier, Boulogne-Billancourt
Fertigstellung: 2021
Standort: 54, boulevard Gorbella, 06100 Nizza
Bildnachweis: Wearecontents, Marseille
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