Pflegewohnanlage Oude Dijk in Tilburg
Zurückhaltende Klinkerarchitektur
Die niederländische Stadt Tilburg war ab 1600 eine Hochburg der Textilindustrie. Zu diesem Zeitpunkt begannen die Einwohner*innen die Wolle der Schafe in der Umgebung zu verarbeiten. Im frühen 20. Jahrhundert gab es in Tilburg zahlreiche Woll- und Textilfabriken; die Arbeitenden mussten ihren Harn gar in Tonkrügen aufbewahren und mit zur Arbeit bringen, wo der Urin für die Produktion benötigt wurde. Die Textilarbeiter*innen verdienten nur einen mageren Lohn und die sozialen Bedingungen waren besonders schlecht: Kinderarbeit war an der Tagesordnung. Der Pfarrer Joannes Zwijsen nahm sich vor, diese Not zu lindern und gründete die Kongregation der Barmherzigen Schwestern – ein Asyl, in dem die Kinder auch Lesen, Schreiben, Nähen und Stricken erlernen konnten. Im Laufe der Zeit entstand eine weitläufige Klosteranlage, zu der neben Schulen auch ein Lehrerseminar und ein Waisenhaus gehörten.
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Pflegewohnungen für die Schwestern
Heute prägt das ab 1832 erbaute Kloster der Barmherzigen Schwestern mit seinen rotbraunen Backsteinfassaden immer noch die Architektur der Stadt Tilburg. Bis in die 1980er-Jahre wurde die Anlage mehrfach erweitert. 2011 erarbeitete das Büro Shift architecture urbanism aus Rotterdam eine Studie für die weitere Transformation der Anlage: Mit einem Neubau wurden 96 Pflegewohnungen für die betagten Schwestern geschaffen, die in Zukunft auch von Auswärtigen genutzt werden können. Zugleich möchten die Architekt*innen mit dem Anbau den Klostergarten zur Stadt hin öffnen.
Der Entwurf von Shift besteht aus drei Riegeln, die durch ihre Anordnung die Hoftypologie weiterführen und dabei den ruhigen Charakter des Ortes erhalten und festigen. In einem ersten Bauabschnitt renovierten die Planenden den Altbauflügel, der an der Straße Oude Djik liegt, und erweiterten ihn um einen viergeschossigen Anbau. Darin befinden sich nun 24 Zimmer für Schwestern, die intensiverer Pflege bedürfen, sowie 40 Seniorenwohneinheiten, welche zu einem späteren Zeitpunkt auch als normale Wohnungen genutzt werden können.
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Fortsetzung der Hoftypologie
Die neuen Volumina entsprechen in Größe und Höhe den bestehenden Gebäuden. Das Team von Shift versteht die Anbauten dabei nicht als solitäre Baukörper, sondern als Wände, welche die markanten Außenräume definieren. Diese Wände der alten und neuen Bauten formen gemeinsam einen neuen Innenhof, der sich als geschützter Bereich insbesondere für die psychogeriatrischen Patientinnen eignet. Der zweite offene Hof dient als Eingangsbereich für das Pflegeheim und das Wohnhaus. Der doppelgeschossig verglaste Eingang verbindet das Gebäude räumlich und visuell mit Stadt und Garten. Auch die Wohnungen und Korridore öffnen sich großzügig nach außen – die Architekt*innen sprechen von einer bewohnten Gartenmauer. Zurückgesetzte Fenster und Loggien geben dem Garten aber dennoch den Vorrang.
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Überführung der Klosterarchitektur ins heute
Die Planenden gestalteten die Fassaden besonders sorgfältig. Als
zeitgenössische Ergänzung zur reich verzierten Architektur des
denkmalgeschützten Klosters entwarfen sie eine
Backsteinarchitektur, deren Verbände subtile Muster aufweisen. Der
Läuferverband wechselt sich mit dem symmetrischem Stapelverband mit
Kreuzfuge ab – alles gemauert in rötlich-braunen
Wasserstrichziegeln, die nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip
hergestellt wurden.
Die Fassaden reagieren dabei auf ihre Ausrichtung: So ist die stadtseitig orientierte Fassade mit hochformatigen Fenstern ausgestattet, in Richtung Innenhof orientiert sie sich jedoch am Rhythmus der gemauerten Pilaster des Klosters. Im Erdgeschoss füllen die Architekten diese Pilaster mit großen zurückversetzten Fenstern aus, wodurch der Effekt einer Arkade entsteht. In den oberen Stockwerken sind die Fenster bündig mit dem Ziegelstein, wodurch tiefe Fensterbände in den inneren Gängen entstehen, die als Bänke genutzt werden können. Dieser innere Korridor verbreitert sich bei den Eingangstüren der Wohnungen und schafft dadurch Nischen, die mit der Monotonie des Korridors brechen.
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Dem Team von Shift ist es gelungen, den Bestand um einen zeitgemäßen Anbau zu erweitern und die Klosteranlage damit nicht nur architektonisch, sondern auch funktional in die Zukunft zu führen. Durch die behutsame Öffnung des Klostergartens nach außen schaffen die Architekt*innen einen inklusiven Zugang zu einem Ruheort in der Stadt. Als in diesem Sinne sozial nachhaltiges Projekt adressiert die Erweiterung insbesondere die beiden von der UN verabschiedeten Sustainable Development Goals Nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11) sowie Gesundheit und Wohlergehen für alle Menschen jedes Alters (SDG 3). -sh
Bautafel
Architektur: Shift architecture urbanism, Rotterdam
Projektbeteiligte: MTD landschapsarchitecten, ‘s-Hertogenbosch (Landschaftsplanung); Goudstikker de Vries, ‘s-Hertogenbosch (Tragwerk); Nex2Us, Etten-Leur (Brandschutz); Visietech, Almkerk (Haustechnik); Nieman, Utrecht (Akustikplanung); Harrie Vekemans, Tilburg (Mauerwerksplanung); J.A. Van Gisbergen, Hooge MIerde (Bauunternehmer); Wienerberger/Daas Baksteen, Azewijn (Ziegelhersteller Wasserstrich-Vormauerziegel)
Bauherrschaft: Van der Weegen Bouwontwikkeling, Tilburg
Fertigstellung: 2019
Standort: Oude Dijk 1, 5038 VL Tilburg, Niederlande
Bildnachweis: René de Vit, Breda / Riccardo De Vecchi, Rotterdam
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