Umbau und Erweiterung: Wohntürme in Baden
Fensterband und Fallarmmarkise
Nach wie vor gelten Großarchitekturen der Nachkriegszeit als die Sorgenkinder der Gebäudesanierung. Da ist es erfreulich, wenn Planungsbüros und Bauherr*innen sich dennoch der mitunter hochkomplexen Bauaufgabe annehmen. Die schweizerische Stadt Baden hat mit dem Umbau von vier Büro- zu Wohnhäusern seit 2023 ein besonders gelungenes Beispiel vorzuweisen. Weniger waren es hier Aspekte der Nachhaltigkeit, die den Anstoß zum Substanzerhalt gaben, als baurechtliche Vorgaben. Michael Meier Marius Hug Architekten planten in die pavillonartigen Bauten 78 Wohnungen hinein. Ästhetische Aufwertung und eine verbesserte Energieeffizienz erfuhr die ehemalige Industriearchitektur durch neue Fassaden mit Fallarmmarkisen in dunklem Braunrot.
Gallerie
Errichtet wurden die vier Zeilenbauten an der Römerstraße im Jahr 1959 für die Verwaltung von Brown, Bovari & Cie. Der 1891 gegründete Elektrotechnikhersteller stieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem international führenden Unternehmen auf. 1988 kam es zur Fusion mit einem schwedischen Mitbewerber, aus der der heute in Zürich ansässige Energie- und Automatisierungskonzern ABB hervorging. In leichter Randlage, nördlich des Industriegebiets liegen die ehemaligen Gewerbebauten und bieten – an den Hang oberhalb des Limmat gerückt – reizvolle Ausblicke über das Flusstal.
Gallerie
Komplexe Tragwerksertüchtigung
Im Zuge des Umbaus blieb die charakteristische stadträumliche Grundfigur der Pavillons mit ihrer leicht abschüssigen Reihung entlang der dicht bewachsenen Böschung erhalten. Neu sind die Bekleidungen, die Fenster und der Innenausbau. Der Rückbau erfolgte bis auf das Tragwerk, welches im Wesentlichen aus Stahlbetonstützen und freispannenden Rippendecken besteht. Diese Skelettbauweise eröffnete viele Freiheiten bei der Grundriss- und Fassadengestaltung. Das Tragwerk musste während des Umbaus dennoch mehrfach statisch angepasst werden. Die Ertüchtigung gestaltete sich komplex, gelang aber durch zusätzliche Stahlbetonstützen und -wände. Darüber hinaus war eine Altlastsanierung der Böden notwendig, die einen großmaßstäblichen Aushub von Erdreich sowie eine teilweise Unterfangung der Fundamente mit sich brachte.
Die Treppenhäuser zogen von den südlichen Stirnseiten in die Mitte der Gebäudekörper um. An ihrem früheren Platz wurden die vier Bauten jeweils um eine Fensterachse nach Süden verlängert und große Balkone vorgelagert. An den Stirnseiten im Norden wurden die Fensterbänder der Längsseiten weitergeführt. Außerdem erhielten die nördlichen Gebäudehälften ein Attikageschoss. Die talseitig geöffnete Parkgarage im Untergeschoss wurde vergrößert. Hingegen wurde das einst offene, zum Parken genutzte Erdgeschoss teilweise verglast. Dabei blieben öffentlich zugängliche Durchfahrten, sogenannten Sottoportegos, bewahrt, die das Areal erschließen.
Gallerie
Hat sich der Aufwand gelohnt?
Freigelegte Rippendecken sowie Stützen und Wände aus Sichtbeton sorgen im Inneren für einen loftartigen Charakter. Fünf Wohnungstypen sind vorgesehen, deren Grundrisse jedoch flexibel sein sollen. Sie sind überwiegend in Ost-West-Richtung durchgesteckt. Jeder Wohnung wurde in Form einer Loggia ein eigener Außenbereich zugeteilt. Die Fassaden erhielten neue Fenster, außenliegenden Sonnenschutz und Verkleidungen aus Faserzementplatten. Der einstige, die Gebäude umgebende Parkplatz verwandelte sich teils in öffentliche Grünflächen, teils in Privatgärten mit Terrassen. Insgesamt vergrößerte sich die Geschossfläche von ca. 10.750 auf 16.541 Quadratmeter.
Die Entscheidung, die Altbausubstanz nicht abzureißen, sondern durch Umbau zu erhalten, fußt in erster Linie auf Richtlinien im Bebauungsplan. Bei dem Areal handelt es sich um eine Gewässerschutzzone, welche Neubauten grundsätzlich verbietet. Umbau anstelle von Abriss ist stets zu begrüßen, zumal er aus architektonischer Sicht eine reizvolle Aufgabe darstellt. Der Aspekt der Nachhaltigkeit durch Substanzerhalt müsse bei diesem speziellen Umbauprojekt jedoch kritisch betrachtet werden, so das Planungsbüro gegenüber der SIA-Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken (FEB). Demnach habe die notwendige Eingriffstiefe in Boden und Bestand hier zu „deutlich größerem Materialeinsatz sowie erheblichem Schneide-, Schalungs- und Regieaufwand geführt, um das komplette Tragwerk gleich einer Orthoprothese in den Bestand einzupassen und in den Baugrund abzustützen.“
Gallerie
Sonnenschutz: Fassadenintegrierte Überkopfverschattungen und Fallarmmarkisen
Die umlaufenden Fensterbänder der Pavillonbauten sorgen dafür, dass die Innenräume mit Tageslicht geflutet werden. Insbesondere in Ecksituationen entfalten sie ihren besonderen Reiz und ermöglichen seitlich unbegrenzte Ausblicke. Um angesichts des relativ hohen Transparenzgrades der Fassade eine Überhitzung der Innenräume vor allem in den Sommermonaten vorzubeugen, stattete das Planungsteam die neue Gebäudehülle mit zwei außenliegenden Sonnenschutzlösungen aus.
Die Faserzementplatten, welche die Brüstungsbänder verkleiden, sind oberhalb der Fensterbänder leicht ausgestellt. Diese schürzenartige Form dient als Überkopfverschattung, welche speziell das steil einfallende Sonnenlicht der hoch stehenden Mittagssonne abschirmt. Diesen feststehenden Sonnenschutz ergänzen bewegliche Fallarmmarkisen, die im eingerollten Zustand unter den Schürzen verstaut sind. Die textile Bespannung in dunklem Braunrot verleiht den Pavillonbauten eine besondere Eleganz. Im Zusammenspiel mit den Fensterbändern entfalten sie eine fast mediterran anmutende Wirkung.
Bei dem Textil handelt es sich um die Stoffart Twilight des Herstellers Sattler. Das Gewebe ist speziell für Sicht-, Blend- und Sonnenschutz konzipiert und bietet zahlreiche Vorteile für den Innen- und Außeneinsatz. Der Stoff besteht zu 100 % aus Polyester (PES) und zeichnet sich durch eine Materialstärke von 0,5 mm sowie ein Gewicht von 330 g/m2 aus, gemäß DIN EN ISO 12127 Schutzkleidung gegen Hitze und Flammen – Bestimmung des Kontaktwärmedurchgangs durch Schutzkleidung oder -materialien. Die Standardbreite beträgt 260 cm, Sonderbreiten ab 1.000 laufenden Metern sind auf Anfrage verfügbar.
Gallerie
Das Textil ist vollständig PVC-frei und somit gesundheitlich unbedenklich. Der Stoff bietet in dem für die Römerstraße gewählten Farbton Dark Mahagoni sehr guten Blendschutz und sommerlichen Wärmeschutz. Berechnet nach DIN EN 13363: Sonnenschutzeinrichtungen in Kombination mit Verglasungen – Berechnung der Solarstrahlung und des Lichttransmissionsgrades erreicht der Stoff einen Gesamtenergiedurchlassgrad [gtotal] von 10 %. Bei moderater Durchsicht nach außen gewährleistet er sehr hohen Sichtschutz am Tag und guten Sichtschutz bei Nacht. Darüber hinaus ist der Stoff geruchsneutral, lichtecht und besitzt einen angenehmen textilen Charakter. Seine hohe Wetterbeständigkeit macht ihn langlebig und robust. Der Stoff erfüllt mehrere Brandschutzstandards, er ist unter anderem schwer entflammbar (Baustoffklasse B1) nach DIN 4102-1: Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen. -sr
Bautafel
Architektur: Michael Meier Marius Hug Architekten, Zürich
Projektbeteiligte: befair partners, Zürich (Generalplanung); Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich (Landschaftsarchitektur); Construktur, Baden (Tragwerksplanung); Concept-G, Winterthur (HLK- und Sanitärplanung); HKG Engineering, Baden (Elektroplanung); Durable Planung und Beratung, Zürich (Bauphysik); Proteq, Schaffhausen (Brandschutz); Sattler, Gössendorf (Sonnenschutztextil)
Bauherrin: Schweizerische Gesellschaft für Immobilien
Standort: Römerstrasse 36a–h, 5400 Baden, Schweiz
Fertigstellung: 2023
Bildnachweis: Markus Bertschi, Zürich / Roman Keller, Zürich (Fotos); Michael Meier Marius Hug Architekten, Zürich (Pläne)
Fachwissen zum Thema
Baunetz Wissen Sonnenschutz sponsored by:
MHZ Hachtel GmbH & Co. KG
Kontakt: 0711 / 9751-0 | info@mhz.de