Genossenschaftliches Wohnprojekt Le Bled in Lausanne
Vorhang auf für die Zukunft des Wohnens
Im Herzen des gerade heranwachsenden Ecoquartier des
Plaines-du-Loup gibt es ein beispielhaftes Bauvorhaben, das
eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Wohnkultur in Lausanne
verwirklichen soll. Hinter dem Projekt steht die 2015 gegründete
Genossenschaft Le Bled, die das Ziel verfolgt, Wohnraum zu
kostendeckenden Preisen anzubieten und jegliche
Immobilienspekulation auszuschließen. Die Hülle dafür bietet ein
bis zu neungeschossiger Komplex mit zahlreichen
Gemeinschaftsflächen, Wohnungstypen und Laubengängen, die gemeinsam
genutzt oder dank Außenvorhängen zu geschützten, privateren
Einheiten verkleinert werden können. Den Entwurf lieferte das
Architekturbüro Tribu aus Lausanne.
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Der Baukörper von Le Bled präsentiert sich als hufeisenförmige, nach Süden geöffnete Anlage mit 10.860 m2 Bruttogrundfläche. Drei Flügel unterschiedlicher Höhe gruppieren sich um eine begrünte Mitte. Zum Hof hin zeigt sich eine Holzfassade mit bodentiefen Fenstern und umlaufenden Balkonen, die wie Laubengänge alle Wohneinheiten eines Geschosses verbinden. Für Abwechslung und ein stetig veränderndes Fassadenbild sorgen die hellblauen Außenvorhänge und die bunten Wäscheständer, Stühle und Tische sowie üppigen Pflanzen der Bewohner*innen. Die Nordseiten zeigen ein gegensätzliches Bild: Eher nüchtern wirken hier die Lochfassaden aus Betonfertigteilen.
77 Wohnungen, 13 Typologien
Der vertikalen Erschließung dienen fünf Treppenhäuser mit Aufzügen, die zum Teil an die Nordfassade andocken, zum Teil im Inneren der Gebäudeflügel liegen. Durch die Laubengänge lassen sich die Wohnungen jedoch auch von außen betreten. Insgesamt 77 gibt es, die die Genossenschaft sowohl zur Miete als auch zum Kauf anbietet, um eine breite Zielgruppe zu adressieren. Dreizehn unterschiedliche Typologien planten die Architekt*innen – von klassischen Wohngemeinschaften über untereinander abhängige Wohneinheiten bis hin zu einem sogenannten Cluster. Letztere Wohneinheit ist besonders weitläufig und verfügt über große Gemeinschaftsräume, eine große Gemeinschaftsküche sowie eine Vielzahl von privaten Schlafräumen mit eigenem WC. Einige davon verfügen zusätzlich jeweils über eine kleine Kochzeile. Doch auch auf sogenannte Kernfamilien spezialisierte Grundrisse finden sich reichlich in dem Gebäudekomplex. Diese Diversität mag aus der Einbindung der künftigen Hausgemeinschaft in die Gestaltung ihres Wohnraums resultieren.
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Die Anlage beherbergt des Weiteren eine Reihe von unabhängigen Gewerbeeinheiten verschiedener Größen, darunter Büros, ein Co-Working-Space und ein Laden. Zudem können die Bewohnenden umfassende, über ihr Haus verteilte Gemeinschaftsflächen nutzen: ein Foyer, ein Mehrzweck- und Veranstaltungsraum, eine Gemeinschaftsküche, ein Gästezimmer, ein Salon und eine über 450 m2 große Dachterrasse im fünften Obergeschoss, mit Blick auf die Alpen.
Nachhaltig auf vielen Ebenen
Nicht nur eine vielfältige, effiziente Raumnutzung soll die Architektur zulassen, sondern auch künftige Transformationen der Grundrisse: Nur an manchen Stellen schränken tragende Bauteile die Gestaltungsmöglichkeiten ein. Zugleich verfügen viele Bereiche über mehrere Zugänge. Dadurch können die Wohneinheiten neu kombiniert und das Gebäude an sich verändernde Lebensstile angepasst werden. Außerdem ist Le Bled mit dem Minergie-P-Eco-Label zertifiziert. Um die Menge der in dem Gebäude gebundenen grauen Energie zu reduzieren, kamen lokale, regenerative Baumaterialien zum Einsatz. Die Innenfassade besteht aus Lärchenholz, die Wärmeversorgung erfolgt über geothermische Sonden, und auf dem Dach gibt es eine Photovoltaikanlage. Zur guten Lebensqualität im gesamten Quartier tragen der Verzicht auf Autos zugunsten von Gemeinschaftsgärten und Spielflächen bei sowie die durchlässige Gestaltung des bepflanzten Innenhofs.
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Sonnenschutz: Außenvorhänge in mehreren Lagen
Als sichtbarstes Zeichen der Nachhaltigkeitsbestrebungen des Projekts heben sich auf der Hofseite zahlreiche Außenvorhänge von der Holzfassade ab, die an Schienen unterhalb der Laubengangdecken installiert sind. Die geschlossenen Bahnen verlaufen an der Deckenkante, quer und unmittelbar vor den Fenstern. Daher lassen sich die Stoffschals nicht nur als Sichtschutz zwischen den Wohneinheiten zuzurren, sondern auch vollkommen umschlossene Frischluftbereiche vor den jeweiligen Wohneinheiten bilden. Darüber hinaus spielen die Vorhänge eine zentrale Rolle für den Blend- und Wärmeschutz: Dank ihnen lässt sich etwa die Tageslichtzufuhr variabel einstellen. Außen angebracht verhindern die Vorhänge auch die Erwärmung der Innenräume durch Sonneneintrag, was erheblich zur passiven Kühlung des Gebäudes insbesondere in den Sommermonaten beiträgt.
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Für die Vorhänge wurde der Stoff Lumo des Herstellers Kvadrat gewählt. Er besteht zu 100 % aus Polyester FR, ist schwer entflammbar und bietet auch akustische Vorteile. Die Bahnen haben eine Breite von ungefähr 320 cm, bei einem Gewicht von etwa 960 Gramm je laufendem Meter. Lumo kann bei maximal 60 °C gewaschen und tropfnass getrocknet werden. Das dichte Twill-Gewebe verfügt über sehr gute Lichtbeständigkeit von 7 gemäß ISO 105-B02, reflektiert 9 bis 66 % des Lichts und lässt zwischen 1 und 22 % Licht durch, jeweils im flachen Zustand gemessen. Durch einen spezifischen Strömungswiderstand von 303 Pa s/m wirkt der Stoff außerdem schallabsorbierend. Das Textil entspricht den Standards der Europäischen Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) und ist durch sein einheitliches Material auch für ein späteres Recycling geeignet.
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Neben ihrem praktischen Nutzen tragen die Außenvorhänge auch zur ästhetischen Aufwertung des Gebäudes bei. Sie verleihen der Fassade eine dynamische Textur und Tiefe. Zugleich wurden Textil und Farbe so gewählt, dass sie mit den anderen Bauelementen und mit der Außenraumgestaltung harmonieren. Da die Vorhänge umlaufend angebracht sind, können sie einfach oder in mehreren Lagen verwendet werden, etwa um den Lichteinfall zu regulieren und so die natürliche Beleuchtung der Wohnräume zu maximieren. Diese Flexibilität macht es möglich, je nach Tageszeit und Wetterbedingungen eine angenehme Atmosphäre im Inneren zu schaffen, ohne auf künstliche Beleuchtung angewiesen zu sein. -sr
Bautafel
Architektur: Tribu Architecture, Lausanne
Projektbeteiligte: Ingeni, Genf/Lausanne/Fribourg/Zürich (Tragwerksplanung); Karakas–Français, Lausanne / Renaud Burnand, Lausanne (Geotechnische Planung); Chuard Ingénieurs Vaud, Lausanne (Heizungs-, Lüftungs- und Klima-Planung); CICÉ - Cabinet d'ingénieurs conseils en électricité (Elektro); CCTB (Sanitärplanung); ECO Acoustique, Lausanne (Akustik); Firesafety, Lausanne (Brandschutz); Kvadrat, Ebeltoft (Hersteller Vorhänge)
Bauherrin: Le Bled, coopérative sociale d'habitants
Standort: Rue Elisa-Serment 1, 1018 Lausanne
Fertigstellung: 2023
Bildnachweis: Tribu Architecture, Lausanne (Pläne); Cédric Widmer, Michel Bonvin, Dylan Perenoud (Fotos)
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