Wohnhaus in Berlin-Mitte
Lochfassade aus Sichtbeton mit hell-sandfarbenen Außenvorhängen
Der Blick nach hinten raus geht nicht, wie so oft in Berlin, in einen Hinterhof, sondern auf die Bernauer Straße und den Postenweg der ehemaligen DDR-Grenzanlagen. Die vehemente Stadtzerstörung in diesem von der Mauer ehemals dominierten Teil Berlins ist noch immer erkennbar, wenngleich sich die Brachflächen langsam schließen. Auch die Nordseite der kurzen Schönholzer Straße ist nun lückenlos bebaut: Auf einem Doppelgrundstück entstand – in engem und langjährigem Austausch zwischen den Bauherren und den Architekten Christoph Roedig und Ulrich Schop – ein Wohnhaus, das hinter einer unaufgeregten Sichtbetonfassade ein unkonventionelles Nutzungskonzept verbirgt.
Gallerie
Die beiden zusammen 900 Quadratmeter großen Baugrundstücke sind unter Einhaltung der Straßenflucht und der Traufhöhe nur mit einem Vorderhaus bebaut. Zwei hohe Eingänge führen in schmale Treppenhäuser, die die gesamte Haustiefe durchmessen. Zwischen diesen und den angrenzenden Brandwänden sind fünf, rund 80 Quadratmeter große Maisonettewohnungen sowie in der Hausmitte im dritten und vierten Obergeschoss zwei Sechs-Zimmer-Etagenwohnungen angeordnet. Falls gewünscht, erlaubt es die doppelte Erschließung, hiervon kleine Einliegerwohnungen mit wenig Aufwand zu separieren. In der fünften Etage plus zurückgesetztem Dachgeschoss gibt es mittig eine weitere große Wohnung, die für eine Wohngemeinschaft mit fünf Parteien angelegt ist. Im unteren Stockwerk sind die Schlafräume angeordnet, oben die Gemeinschaftsküche samt großer Terrasse. Das zweite Obergeschoss dient als Übernachtungsetage für Gäste. Hier befinden sich zwischen den beiden Treppenhäusern ein Dutzend kleiner Schlafzimmer und Gemeinschaftsbäder.
Die aus dem heterogenen Wohnungsangebot hoffentlich resultierende lebendige Hausgemeinschaft ist aber nicht das einzige Anliegen der Bauherren, die selbst WG-Mitbewohner sind. Sie wünschten sich ein auch für öffentliche Nutzungen offenes Haus. Und so gibt es im Erdgeschoss nicht die übliche Notlösung mit Fahrradabstellräumen oder Tiefgarageneinfahrten, sondern einen großen multifunktionalen Veranstaltungsraum samt Foyer und Kantine, den jedermann mieten kann. Er ist zwei knappe Geschosse hoch, besitzt große Fenster zur Straße und zum Hof und ist voll ausgestattet mit Bühnen- und Beleuchtungstechnik. In den flankierenden „Mezzaningeschossen“ sind Umkleiden und Sanitäranlagen untergebracht; in der besagten Übernachtungsetage darüber können die Gäste logieren.
Sonnenschutz
Die nach Süden ausgerichtete Straßenfassade verbirgt diskret die
unterschiedlichen Raumprogramme und bildet gleichzeitig einen
konstruktiven Sonnenschutz. Sie ist aus hellem Sichtbeton errichtet
und mit unterschiedlich breiten Öffnungen und massiven Brüstungen
versehen. Hinter ihr verläuft auf ganzer Hausbreite eine anderthalb
Meter tiefe Loggienebene, an die die raumhoch verschiebbaren
Verglasungen der zweiten Fassadenebene anschließen. Die Betonwand
sorgt für partielle Verschattung und schützt die Bewohner vor
Einblicken; bei allzu starker Sonneneinstrahlung lassen sich die Öffnungen aber
auch schließen. Innenseitig sind oberhalb der knapp ausgebildeten
Stürze Aluschienen montiert und mit lichtdurchlässigen, dabei
robusten Vorhängen ausgestattet, die sich einzeln und manuell
bewegen lassen. Die Stoffe können hinter die geschlossenen
Wandflächen geschoben werden und aus dem Straßenbild verschwinden
oder, mehr oder weniger zugezogen, der hellgrauen Lochfassade einen
zwanglos-lebendigen und wohnlichen Charakter verleihen. Bei Wind
oder Regen lassen sie sich mittels Spannlaschen an den Brüstungen
fixieren. Zum Einsatz kam ein witterungsbeständiges Gewebe aus
spinndüsengefärbten Acrylfasern mit hoher und Farb- und
Lichtechtheit in einem hellen Sandton.
So maßvoll und angemessen hier für den Sonnenschutz eine
architektonische Lösung gefunden wurde, so vernünftig erscheint
auch das Energiekonzept: Mit Erdwärmesonden, Blockheizkraftwerk und
Wärmetauscher, Zisterne und Grauwasseranlage ausgestattet,
entspricht das Haus dem aktuellen Stand der Technik, unterliegt
aber nicht den strengen Regeln normierter Energiestandards und
befreit die Bewohner damit vor den daraus resultierenden
Zwängen.
Bautafel
Architekten: Roedig Schop Architekten, Berlin
Planungsbeteiligte: Mettler, Berlin (Landschaftsarchitektur); Jockwer und Partner (Tragwerksplanung); K-Line Raum Design, Berlin (Außenvorhänge)
Bauherr: Daniel und Claudia Thorban, Berlin
Fertigstellung: 2014
Standort: Schönholzer Straße 15/16, 10115 Berlin
Bildnachweis: Stefan Müller, Berlin
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