Im Jahr 2011 erregte der Umbau des Tour Bois le Prêtre in
Paris einiges Aufsehen: Den Abriss des stark in die Jahre geratenen
Plattenbaus der 1960er-Jahre verhinderten Lacaton & Vassal, indem
sie ihn mit einer Schicht aus verglasten Wintergärten umhüllten und
so den Wohnkomfort und die Energiebilanz verbesserten. Seither wird
die Idee von Architekturbüros weltweit aufgegriffen und verfeinert,
etwa von Galliker und Riva Architekten. Sie stellten jüngst mit dem
Umbau des Mehrfamilienhauses Langesand in Luzen ihr
planerisches Können unter Beweis. Dort dient eine neue Raumschicht
mit integrierten Außenvorhängen als thermischer Puffer und
multifunktionale Wohnraumerweiterung.
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Das um 1960 errichtete genossenschaftliche Mehrfamilienhaus
befindet sich im Matthof-Quartier, einem bedeutenden städtischen
Entwicklungsgebiet der Nachkriegszeit. Weitläufige Grünräume und in
die Parklandschaft eingebettete Zeilenbauten prägen das
Erscheinungsbild und zeigen den modernistischen Architektur- und
Stadtplanungsansatz. Ursprünglich als zusammenhängendes Ensemble
errichtet, wurde das Quartier im Laufe der Jahre durch die
verschiedenen Eigentümer verändert, was zu einem heterogenen
Erscheinungsbild führte. Der unterkellerte, dreigeschossige
Wohnblock mit aufgesetztem Staffelgeschoss ist am leicht
abfallenden Hang errichtet. Das Sockelgeschoss ist östlich
zurückversetzt. Hier stützen Pilotis den über den Hang ragenden
Baukörper.
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Verkehrsfläche oder Aufenthaltsraum?
Die Sanierung zielte darauf ab, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten
und zu erweitern. Im Hinblick auf einen nachhaltigen Lebenszyklus
war ein grundlegendes Ziel, die Grundsubstanz des Gebäudes
weitgehend zu erhalten und durch neue Elemente zu ergänzen. Eine
der größten Herausforderungen bestand darin, die bestehenden, gut
durchdachten Raumaufteilungen beizubehalten und gleichzeitig die
Wohn- und Außenräume zeitgemäß zu vergrößern. Die engen
Treppenhäuser erschwerten den Einbau von Aufzügen, was innovative
Lösungen erforderte.
Diese fand das Planungsteam darin, das Gebäude durch eine
variabel verglaste und verschattete Balkonschicht zu erweitern, die
auch Aufzüge integriert. Diese Raumschicht dient als thermische
Pufferzone und schafft neue Zugänge. Durch öffenbare Glaswände und
Vorhänge kann sie Wintergarten oder Balkon, Windfang oder
Wohnzimmer sein. Dank der außenliegenden Fahrstühle ließen sich die
innenliegenden Treppenhäuser sowie die komfortable, durchgängige
Erschließung im Sockelgeschoss in ihrer historischen Kubatur und
Materialität weitgehend erhalten.
Im Zuge des Umbaus erhielten die ehemals verputzten Fassaden
eine hinterlüftete Verkleidung mit sanft schimmernden Wellblechen,
die die Umgebung diffus reflektieren und dem Gebäude gemeinsam mit
den metallischen Balkonvorbauten eine kristalline Anmutung
verleihen. Obendrein gliedern die Wellbleche die Fassade horizontal
und orientieren sich damit gestalterisch am Bestand: Erreicht wurde
dieser Effekt durch die Verwendung von zwei unterschiedlichen
Wellenlängen. So wurde für die Flächen zwischen den Fenstern ein
geringerer Durchmesser gewählt, wodurch die Fassade bandartig
gegliedert wurde.
Trotz des Erhalts weiter Teile der Erschließungskerne sowie des
Tragwerks, entpuppte sich die Engriffstiefe des Umbaus als
erheblich. So musste das Mehrfamilienhaus aktuellen Vorgaben
entsprechend erdbebensicherer werden und dazu bis auf den Rohbau
rückgebaut und statisch ertüchtigt werden. Darüber hinaus war eine
Schadstoffsanierung notwendig. Das Attikageschoss wurde ebenfalls
rückgebaut und durch eine neue Holzkonstruktion ersetzt, die
Fassadenöffnungen zu den neuen Balkonen wurden erheblich
vergrößert.
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Flächengewinn und Ressourceneinsparung
Das Projekt stieß auf mehrere baurechtliche Herausforderungen.
Der Wohnblock hatte bereits die maximale Bebauungsfläche
ausgeschöpft, eine Erweiterung war somit eigentlich nicht zulässig.
Allerdings erlaubt das schweizerische Baugesetz einen
Flächenzuschlag von 10 % für Wintergärten. Diese Regelung allein
hätte jedoch nur eine geringe Erweiterung der Wohnfläche
ermöglicht. Durch die Kombination des Wintergartenbonus mit
Aufzugsanlagen, die nicht zur Bebauungsfläche zählen, konnte der
Zugewinn noch einmal gesteigert werden.
Die Sanierung des Mehrfamilienhauses war nicht nur ein
räumlicher Gewinn, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich. Die
Baukosten betrugen 8.595.000 CHF – im Vergleich zu einem Neubau ist
das günstiger. Durch den Erhalt des Rohbaus konnte viel Abfall
vermieden werden und große Mengen grauer Energie blieben gebunden.
Darüber hinaus verbesserte die Sanierung und Erweiterung die
Wohnqualität erheblich. Die neuen Balkone und Aufzüge erhöhten
Komfort und Zugänglichkeit, die vergrößerten Wohn- und Außenräume
bieten den Bewohner*innen mehr Platz und Nutzungsmöglichkeiten.
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Sonnenschutz: Außenvorhänge, Außenraffstore und
Fallarmmarkisen
Neben den öffenbaren Glaspaneelen verfügen die neuen Balkone des
Wohnhauses Langensand über außenliegende Vorhänge. Genaugenommen
müsste man hier von halb außen liegendem Sonnenschutz sprechen,
denn die an den Betondecken angebrachten Vorhangschienen liegen
hinter den variablen Glasscheiben der Wintergärten. Während die
Verglasung den Wind abhält und im geschlossenen Zustand die Wärme
im Balkonraum hält, bieten die Außenvorhänge Sicht- und
Sonnenschutz.
Ein Vorteil dieser Anordnung ist, dass die Schals nicht der
Witterung ausgesetzt sind. Darüber hinaus befinden sie sich vor den
Außenwänden, sprich der primären thermischen Gebäudehülle, und sind
damit effektiver als innenliegende Sonnenschutzsysteme. Ästhetisch
fügen sich die gräulichen Textilien nahtlos in die Gestaltung ein,
nicht zuletzt, indem sie mit ihrem Faltenwurf die Oberfläche der
Wellblechfassade aufnehmen. Sie wurden bereits früh im Entwurf als
Element der neuen Gebäudeschicht mitgedacht. Das Planungsteam
empfand die Außenvorhänge als optimale Ergänzung zur
Balkonverglasung.
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Die Symbiose aus Funktionalität und Ästhetik beschreibt der
Architekt Andreas Galliker so: „Die Vorhänge bilden eine weitere
Ebene in der Fassade, bewegen sich bei offenem Zustand der
Balkonverglasung im Wind und durch den alltäglichen Gebrauch der
Bewohnenden entstehen immer wieder aufs Neue Variationen in der
Fassade. Die Vorhangschiene verläuft von den Lifteingängen entlang
der Balkonverglasungen, zu der Verglasung zwischen dem Balkon und
dem Wohnraum bis hin zum Lift und schliesst sich damit zu einem
Kreis. Entsprechend können die Vorhänge sehr flexibel platziert
werden und unter anderem als Sonnenschutz für den Balkon, als
Sichtschutz gegenüber den Nachbarn, als Raumtrenner zum Wohnraum
oder als optische Abdeckung des Lifteingangs dienen.“
Die Fassadenöffnungen im Obergeschoss statteten die Planenden
anstelle der Außenvorhänge mit Fallarmmarkisen aus. Sämtliche
Außenfenster ohne vorgesetzten Wintergarten verfügen über
elektrische Außenraffstore. Die Vielfalt der zur Anwendung
gekommenen Sonnenschutzsysteme zeugt von der gewissenhaften Planung
und dem Anspruch auf Nachhaltigkeit im Umbauprojekt Langensand.
-sr
Die Lage von Sonnenschutzelementen hängt von vielen Faktoren ab, wie etwa bauphysikalischen Vorgängen, potenziellen Kosten oder ortsgebundenen Klimadaten.
Markisen
Fallarmmarkisen
Diese Markise erhielt ihren Namen durch die zwei Stützarme, die das Tuch führen und in Position halten.
Grundlagen
Sonnenschutz und Überhitzung
Zahlreiche Einstellmöglichkeiten an Fassade, Fenster und Sonnenschutz können eine Überhitzung des Innenraums verhindern oder sie bewirken. Der Beitrag zeigt, worauf es ankommt.
Textilien
Vorhänge
Vorhänge bieten im Innen- wie Außenbereich einen dekorativen Sonnenschutz mit vielen weiteren Qualitäten.