Ein Naturschutzgebiet wie Serra do Guararu ist sicher nicht
der ideale Bauplatz für ein privates Wohnhaus. Doch genau dort
steht Casa Azul, entworfen von studio mk27. Das 2020
fertiggestellte Anwesen liegt inmitten des üppigen Grüns einer vom
atlantischen Regenwald bewachsenen Küstenregion, die zum
Bundesstaat São Paulo gehört. Nur 500 Meter entfernt ist der Strand
von Iporanga.
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Strenge Umweltauflagen
Das Projekt wurde unter sehr strengen Auflagen realisiert. Es
dauerte fast zwei Jahre, bis die erforderlichen Genehmigungen der
Umweltbehörde vorlagen, die eine zwei Meter breite
Schutzzone um die Grundfläche des Hauses herum verlangte, um
den Wald vor den Bauaktivitäten zu schützen. Täglich waren Beamte
vor Ort, um die Auswirkungen des Projekts auf die umliegende Flora
zu überprüfen. Die Planer*innen waren gerne bereit, die strengen
Umweltauflagen zu erfüllen, denn das ihr Ziel war es, das Haus in
den umliegenden Wald zu integrieren und ihn unberührt zu lassen.
Nach Angaben des Studios erhielt das Bauwerk die höchste
Zertifizierung des brasilianischen Green Building Councils.
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Pilotis für schattenspendende Auskragung
Das 350 Quadratmeter große Wohnhauses steht auf einem
komprimierten Erdgeschoss und zwei schlanken Betonfüßen. Die
Rundstützen erinnern an die „Pilotis“ von Le Corbusiers Villa
Savoye und ermöglichten, das gesamte Erdgeschoss zu öffnen.
Die darüber liegende Betonplatte überspannt 12 Meter von der Wand
bis zum tragenden Pilotis und kragt dann um weitere drei Meter aus.
Darunter breitet sich eine rund 15 mal 8 Meter große, organisch
geformte Terrasse mit Pool aus.
Das mit Holz beplankte Deck wurde zum Schutz vor Feuchtigkeit
leicht angehoben. Der Pool liegt teilweise im überdeckten Bereich,
teilweise ragt er in den Regenwald hinein. Die amorphe Terrasse
soll eine Hommage an das Werk von Roberto Burle-Marx darstellen.
Sie kontrastiert mit den rechteckigen Volumina, die das Haus
darüber definieren. Doch die Terrassenform ist nicht nur eine
Erinnerung an den Landschaftsarchitekten, sondern auch Resultat der
Bestrebungen jeden einzelnen Baum auf dem Grundstück zu
erhalten.
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Betonboxen in den Obergeschossen
Eine rustikale Mauer aus grob behauenen Steinen trennt im
Erdgeschoss die Wirtschaftsräume – darunter ein Badezimmer, eine
Sauna und ein Waschraum – von der Terrasse. Vor der Mauer führt
eine Stiege in die Obergeschosse mit den Wohn- und Schlafzimmern.
Diese in zwei leicht versetzt gestapelten, länglichen Betonrahmen
untergebracht, die weit über die Mauer auskragen. Die
Dreigeschossigkeit nimmt Rücksicht auf die Umweltauflagen, die
einen möglichst kleinen Fußabdruck für den Bau vorsahen. So ist
dieses Gebäude höher als viele andere Projekte der
Architekturschaffenden, die für eher langgestreckte flache Volumina
bekannt sind.
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Glasschiebetüren und Muxarabi
Die Betonbox des ersten Obergeschosses hat einen offenen
Grundriss mit Küche und Wohnräumen, von denen aus in die
umliegenden Baumkronen und Richtung Atlantik geblickt werden kann.
Die beiden Längsseiten sind mit großen Glasschiebetüren
ausgestattet, mit denen sich die Fassaden fast vollständig öffnen
lassen. Das ermöglicht nicht nur eine energiesparende, kühlende
Querlüftung, sondern transformiert den Innenraum auch in eine große
Veranda.
Im zweiten Obergeschoss befinden sich vier Schlafzimmer,
ebenfalls mit Blick in den Regenwald. Hier werden Fassaden von
Holzgittern geprägt, die vor den Glasscheiben angebracht sind. Sie
erinnert an Maschrabiyya, oft ornamentale Gitterstrukturen
aus Holz, die anstelle von Fenstern die Leibungen ausfüllen und so
einen Sicht- und Sonnenschutz bieten. Sie verbreiteten sich
während der arabisch-maurischen Eroberung in Südportugal und
später, durch die portugiesische Kolonisierung, auch in Brasilien,
wo sie als Muxarabi bezeichnet werden.
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Ursprünglich hatten die Planer*innen vor, das Haus in einem
hellen Blau zu gestalten, wie es auch typisch für die
portugiesischen Kolonialbauten in Brasilien ist. Laut Angaben des
Architekturbüros kontrastierte dies jedoch zu sehr mit dem
Regenwald, sodass stattdessen Holz- und Betonflächen sichtbar
blieben. Dennoch behielt seinen ursprünglichen Namen Casa Azul
(Blaues Haus).
Bautafel
Architektur: studio mk27 (Marcio Kogan und Samanta Cafardo), São Paulo Projektbeteiligte: studio mk27 - Diana Radomysler (Innenarchitektur); Rodrigo Oliveira (Landschaftsplanung); Inner engenharia, São Paul (Bauingenieur); DLameza Engenharia, São Paulo (Haustechnik-Ingenieur); Lock engenharia (Bauunternehmer); Santana Toti (Möbelschreinerei); Marvelar (Tischlereiarbeiten an Türen, Paneele und Fassaden); Artsteel (Schlosserarbeiten) Bauherrschaft: privat Standort: Guarujá, Brasilien Fertigstellung: 2020 Bildnachweis: André Scarpa (Fotos)
Fachwissen zum Thema
Arten und Formen
Feststehender Sonnenschutz
Vom massiven Brise Soleil bis zum filigranen Maschrabiyya reicht die Formvielfalt der starren Verschattungselemente.