Kita Flugfeld in Böblingen
Textiler Fassadenscreen mit Pusteblumen-Druck und minimaler Unterkonstruktion
Als nach Abzug der amerikanischen Armee das Flugfeld zwischen Böblingen und Sindelfingen nicht mehr gebraucht wurde, nutzten die beiden eng miteinander verbundenen, schwäbischen Städte diese Chance, um gemeinsam ein neues Stadtquartier auf der frei gewordenen Fläche zu entwickeln. Während an den Rändern eine Mischnutzung aus Produktion, Dienstleistung, Forschung, Bildung und Wohnen entsteht, wird das Gebiet rund um die Landebahn zur öffentlichen Parklandschaft umgestaltet, aus der Landebahn selbst wurde bereits ein Wasserbecken.
Gallerie
Den zentralen Identifikationspunkt für das neue Quartier bildet ein markanter Solitärbau am Übergang zwischen Wohnbebauung und Park, entworfen vom Stuttgarter Büro (se)arch Architekten: die Kita Flugfeld. Sie besteht aus einem mit Textil umhüllten, quaderförmigen Gebäude und einem von einer Ziegelmauer eingefassten, rechteckigen Hof. Die beiden Elemente verschneiden sich über Eck. Das Gebäude beherbergt eine Kindertagesstätte, ein Stadtteilzentrum und ein Bürgerbüro. Seine durchscheinende Stoffhülle ist mit feinen, dafür überdimensionalen und weithin sichtbaren Pusteblumen bedruckt. Sie lässt das Gebäude ein wenig wie eine temporäre Kunstinstallation wirken, während das Motiv Assoziationen mit dem Fliegen oder mit Kinderspielen weckt und dadurch die alte und die neue Nutzung des Ortes vergegenwärtigt.
Der Spielhof definiert in dem offenen Parkgelände einen Maßstab und schafft Geborgenheit. Er dient als geschützter Außenbereich sowie als Zugang für die Kita. Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich das Stadtteilzentrum mit Bürgerbüro, der Mehrzweckraum der Kita sowie Küche, Garderobe und Toiletten, die von den Einrichtungen gemeinsam genutzt werden. Das Stadtteilzentrum öffnet sich unmittelbar zu einer Promenade die das Wohngebiet und den Park verbindet. Zwei geräumige, aus entgegengesetzten Richtungen zugängliche Foyers lassen sich zu einer großzügigen Erschließungszone zusammenschalten. Beide Eingänge besitzen große Vordächer, die zu Aktivitäten im Außenraum und zum Kontakt mit den Quartiersbewohnern einladen.
Die sechs Kita-Gruppen sind in den drei oberen Geschossen untergebracht und paarweise organisiert: Je zwei Gruppenräume schließen an eine Spielstraße an, die Raum für Aktivitäten in großer Gruppe bietet. Innerhalb der Spielstraße liegt ein gemeinsamer Essbereich, gleichzeitig bildet sie den Zugang zu den WCs, zu Atelierräumen sowie zur vertikalen Erschließung. Auf jeder Ebene stellen Terrassen einen direkten Außenbezug her. Jeder Gruppenraum verfügt über einen Nebenraum zum Toben, Kuscheln und Schlafen. Die Gruppen sind mit unterschiedlichen Farben codiert, um eine spielerische Orientierung der Kinder im Gebäude zu ermöglichen.
Der textile Fassadenscreen umhüllt die drei Obergeschosse und lässt dadurch den an mehreren Stellen eingeschnittenen Baukörper als ruhigen Quader erscheinen. Wenige Öffnungen sind gezielt in der Textilhaut platziert, sodass jeder Gruppen- und Schlafraum ein Panoramafenster erhält. Alle übrigen Öffnungen in der Fassade sowie die Terrassen und eine Außentreppe sind von dem Screen umschlossen. Von den Innenräumen aus ist das Textil kaum spürbar und lässt sowohl eine natürliche Belichtung als auch Blickbezüge zu.
Fassade
Die Hülle der Kita Flugfeld besteht aus mehreren Elementen und
Schichten: Als Wetterschutz dient zunächst ein gewöhnliches
Wärmedämmverbundsystem (WDVS), mit
Standardanschlüssen an den Fenstern, welches die
Schlagregendichtigkeit gewährleistet. Das WDVS verschwindet jedoch
vollständig hinter einem hauchdünnen Textilscreen, der wie ein
leichter, stoffbespannter Lampenschirm wirkt. Dieser Effekt
entsteht durch die gewählte Unterkonstruktion und das Befestigungssystem: Auf
Stahlkonsolen, die die Dämmung durchstoßen und an der
dahinterliegenden Stahlbetonwand befestigt sind, ist ein Rahmen aus
Stahl-Rechteckhohlprofilen aufgeschraubt. An den Stahlrohren sind
wiederum spezielle Aluminiumprofile für Textilfassaden
befestigt.
Da der Screen homogen wirken und durch möglichst wenige Sprossen unterbrochen sein sollte, entwickelten die Architekten gemeinsam mit den Herstellern des Gewebes und des Befestigungssystems ein spezielles Verfahren zur Produktion und Montage der Textilfassade: Zuerst wurden die Textilbahnen im Werk exakt nach der Vorlage der Architekten bedruckt, dann die einzelnen Bahnen miteinander verschweißt und auf eine große Rolle aufgewickelt. Statische Berechnungen ergaben, dass die Stoffbespannung nur an den Rändern gehalten werden muss, daher sind die Alu-Profile nur am oberen Attikarand, am unteren Abschluss des WDVS, an den Gebäudeecken sowie rund um die Panoramafenster befestigt. Das Gewebe wurde schließlich vor Ort per Kran entrollt und eingespannt.
Bei dem verwendeten Textil handelt es sich um ein Polyestergewebe, auf das nach dem Digitaldruck ein zusätzlicher UV-Schutzlack aufgetragen wurde. Das Material wird während des Beschichtungsprozesses von allen Seiten vorgespannt, wodurch es eine hohe Dimensionsstabilität erhält, später keine Falten wirft und nahezu nicht nachgespannt werden muss. Durch einen Öffnungsanteil von 28% ist es durchlässig für Blicke nach außen und wirkt dabei gleichzeitig als Blend- und Sonnenschutz.
Die den Spielhof umgebende Mauer besteht aus Ziegeln in einem
dunklen Rotbraun. Auf der Ostseite setzt sie sich in der
Erdgeschoss-Außenwand der Kita fort. Der nördliche Teil des
Gebäudes, der über die Ziegelmauer hinaus und in den Park
hineinragt, ist im Erdgeschoss raumhoch verglast. Einige der Gläser
sind in transparenten, zum Muster auf der Textilhaut passenden
Pastelltönen eingefärbt. -sm
Bautafel
Architekten: (se)arch Architekten BDA, Stefanie Eberding und Stephan Eberding, Stuttgart
Projektbeteiligte: Pfefferkorn Ingenieure, Stuttgart (Tragwerksplanung); DK Architekten, Stuttgart (Bauleitung); Hölscher Stahlbau-Leichtmetallbau, Kleve (Fassadenbau); Serge Ferrari, La Tour du Pin (Gewebe Textilscreen); EPS Profiled Solutions, Siegen (Spannsystem); Sto, Stühling (WDVS); Hagemeister, Nottuln (Klinker); Glas Trösch, Ulm-Donautal (Farbiges Glas); Eböck Planung und Entwicklung, Tübingen (Planung HLS/Bauphysik); Faktorgruen, Freiburg (Landschaftsarchitektur)
Bauherr: Zweckverband Flugfeld Böblingen / Sindelfingen
Standort: Liesel-Bach-Str. 12 - 14, 71034 Böblingen
Fertigstellung: 2012
Bildnachweis: (se)arch Architekten, Stuttgart; Fotos: Zooey Braun, Stuttgart
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