Umbau: Ociciwan Contemporary Art Centre in Edmonton
Spiegelfassade für erhöhte Sichtbarkeit
Ociciwan, ausgesprochen Otsi-tsi-wan, heißt in etwa „Von dort kommt die Strömung“. Der Begriff stammt aus dem Wortschatz der Plains Cree, der einer größten First-Nations-Gruppe Nordamerikas. In Edmonton wählte ein Künstler*innenkollektiv Ociciwan als Namen und nahm damit Bezug auf den North Saskatchewan River, der durch die Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta fließt. Nicht weit vom Ufer eröffnete das Kollektiv nun ein Zentrum für zeitgenössische indigene Kultur. Das kleine, vormals leerstehende Gebäude hat das ortsansässige, nur fünfzehn Straßenblöcke weiter westlich beheimatete Büro Rockliff Pierzchajlo Kroman Architects umgestaltet.
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Downtown, am Ostrand des Central Business Districts, direkt zwischen den Ausläufern der Skyline und einer weiten Flussschleife des North Saskatchewan River – hier, an einer prominenten Straßenecke, fanden die Architekten einen anonym wirkenden, zweigeschossigen Mauerwerksriegel vor. Das Ociciwan Contemporary Art Collective hatte sie damit beauftragt, den eher schmucklosen Ort schließlich in Szene setzten.
Heute hat hier das Ociciwan Contemporary Art Centre seinen Sitz. Es erkennt die vielen First Nations und das angestammte und traditionelle Gebiet der Cree, Métis, Dene, Blackfoot, Saulteaux und Nakota Sioux an. Das Center unterstützt die Arbeit indigener Künstler*innen und Designer*innen, fördert das Bewusstsein für deren Kunstpraktiken und engagiert sich für einen kritischen Dialog. Finanziert werden die Programme und der Betrieb vom Canada Council for the Arts, der Alberta Foundation for the Arts, dem Edmonton Arts Council und der Stadt Edmonton.
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Sichtbarkeit und Sicherheit im Stadtraum
Der unterkellerte, straßenseitig mit Gelbklinkern verblendete Bau verfügt über eine Grundfläche von gut 10 x 25 Metern und ein Flachdach. Eine Schaufensterfront öffnet das Erdgeschoss an der östlichen Stirnseite, südseitig reihen sich Lochfenster des Obergeschosses auf. Im Osten und im Westen gibt es je ein Treppenhaus. Im Zuge des Umbaus erhielt das Gebäude lediglich im Obergeschoss eine facettenartig spiegelnde Metallverkleidung. Auf eine Behandlung der Erdgeschossfassade wurde verzichtet. Trotzdem wurde – mit minimaler Kapitalinvestition der Stadtverwaltung – erreicht, dass das Gebäude jetzt nicht nur die Blicke von Vorbeikommenden auf sich zieht, sondern Dank der neuen Nutzung das Quartier belebt.
Sichtbarkeit und soziale Kontrolle prägten Planungsentscheidungen, zum Beispiel beim Beleuchtungskonzept. Dunkle Bereiche und tote Winkel wurden vermieden, die Eingangsnischen mit zusätzlichen LED-Leuchten ausgestattet. Diese Maßnahmen resultieren aus den Prinzipien der Crime Prevention Through Environmental Design – CPTED (Kriminalprävention durch Umweltgestaltung). Das Konzept entstand um das Jahr 1960 in den USA, unter anderem auf der Prämisse der Broken Window Theory fußend, die besagt, dass vernachlässigt erscheinende Orte in Städten Kriminalität begünstigen.
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Flexibilität und Zugänglichkeit im Innenraum
Bei der Umgestaltung lag der Schwerpunkt auf der Schaffung flexibler Räume für unterschiedlichste künstlerische Arbeiten. Wo immer möglich, wurden natürliche Materialien eingesetzt. Trennwände wurden teils transluzent mit Doppelstegplatten ausgeführt, Deckenkonstruktion und Gebäudetechnik sichtbar belassen. Hinter weißen Wandtafeln verbirgt sich die neue Innendämmung.
Alle drei Geschosse sind über einen Aufzug barrierefrei zugänglich. Während das Erdgeschoss weitgehend von einem offenen Galerieraum ausgefüllt ist, wurde im Untergeschoss ein Blackbox-artiger Raum für Installationskunst und audiovisuelle Präsentationen eingerichtet. Im Obergeschoss befinden sich Büros, ein Gemeinschafts- und ein Besprechungsraum, eine Küche und ein Lager. Sanitärräume sind auf jeder Ebene vorhanden. um an eine frühere Nutzung als Jugendzentrum zu erinnern, wurden die im Treppenhaus vorhandenen Graffiti beibehalten.
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Fassade:
Vor die bestehende Mauerwerkswand wurden über ein Clipleisten-System vertikale Metall-Verbundpaneele vorgehängt, die zu unterschiedlich tiefen Kassetten mit Rechteck- und Trapezprofilen gefaltet sind. Dadurch entsteht an der Fassade ein lebendiges Spiel aus vor- und zurücktretenden, planen sowie wechselnd in beide Richtungen verdrehten Elementen. Diese reflektieren diffus die gegenüberliegenden Bauten und das Treiben auf den Straßen und fragmentieren dabei die städtische Umgebung durch die mehrfachen Richtungswechsel.
Die Metallpaneele sind in drei Reihen übereinander angeordnet: eine schmalere in der Mitte, die die Lochfenster bandartig zusammenführt und je eine breitere darüber und darunter. Erstere reicht bis zum Attikaabschluss, letztere bis hinunter zur Oberkante der Erdgeschossfenster. In die schmalen Vertikalfugen zwischen den Paneelen sind lineare LEDs eingelegt. Wer nachts das Gebäude passiert, bekommt eine dynamische Fassade zu Gesicht, mit zwischen den Vor- und Rücksprüngen erscheinenden und verschwindenden Lichtern.
Die reflektierende Fassade kann auch symbolisch für das Engagement des Ociciwan-Kollektivs um Innovation und Kreativität gelesen werden: Die sich ständig ändernden Spiegelungen könnten als Kommentar verstanden dazu werden, wie Gebäude und Kunst einen lebhaften zeitgenössischen Dialog über indigene Traditionen anregen und normative Erwartungen brechen wollen. In einer zweiten Lesart ließe sich die Fassade auch als assoziative Neuinterpretation traditioneller Perlenstickereien verstehen, die die Métis anfertigen, eine Gruppe kanadischer Menschen mit europäischen und indigenen Wurzeln.
Bautafel
Architektur (Umbau & Erweiterung): Rockliff Pierzchajlo Kroman Architects (RPK), Edmonton, Alberta
Projektbeteiligte: Jan Kroman, Dania Atassi, Robert Maggay, Teagan MacNeil, Dan Letourneau (Projektteam Architekten); Entuitive, Edmonton (Statik); MCW Hemisphere, Edmonton (Mechanik- und Elektroplanung); Quarters Arts Society (Kuratorische Leitung); Stantec, Edmonton (Generalunternehmer, Projketmanagement)
Bauherr: City of Edmonton
Standort: Ociciwan Contemporary Art Centre, 10124 96 St, Edmonton, AB T5H 2G5, Kanada
Fertigstellung: 2020
Bildnachweis: Adam Borman, Edmonton/Calgary, Katelyn Astaire, Edmonton (Fotos); RPK Architects, Edmonton (Pläne)
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