Sanierung: Collège Anne Frank bei Paris
Metallgitter und Außendämmung an einem Frühwerk von Jean Nouvel und Gilbert Lézènès
Es ist keine leichte Aufgabe, technisch-funktionale Anpassungen an einer Architektur vorzunehmen, die sich – mit jeder Stütze, jeder Fuge und jedem Farbstrich – als komplexe künstlerisch-philosophische Denkwelt präsentiert. Vor dieser Aufgabe standen MARS Architectes aus Paris bei der Sanierung des Collège Anne Frank, einem Frühwerk von Jean Nouvel und Gilbert Lézènès. Von 1978 bis 1980 entstand die Mittelschule in der 65.000 Einwohner*innen zählenden Stadt Antony, südlich von Paris. 2023 wurde die Sanierung abgeschlossen.
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Der Virilio-Schüler Nouvel hatte mit Lézènès, der auch am Institut du Monde Arabe beteiligt war, einen Entwurf realisiert, der gemeinhin als kritisches Architekturmanifest gegen das serielle Bauen und das funktionalistische Denken der Spätmoderne galt. Dessen ungeachtet drängten ein übermäßig hoher Energieaufwand und Mängel an Heizung und Lüftung seit Längerem auf Anpassungen, die Nouvel jedoch mehrfach abgelehnt hatte. Schließlich wurde das junge Büro MARS Architectes um Stéphane Bauche, offenbar nach Rücksprache mit Nouvel, mit einer Komplettsanierung beauftragt.
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Störer mit System
Der Entwurf aus den späten 1970er-Jahren suchte seinerzeit starre administrative Schulbauvorgaben durch postmoderne Überspitzung bloßzustellen. Aus einem 50 Teile umfassenden Baukastensystem des Bildungsministeriums übernahmen die beiden Architekten nur ein Minimum: Pfosten, Balken, Kassettendecke und Fassadentafeln. Mit diesen Elementen schufen sie eine streng durchkomponierte, weitgehend spiegelsymmetrische Anlage für 600 Schüler. Durch seine hohe, zentrale Eingangshalle und die einen Hof umklammernden Seitenflügel kommt der Baukörper vormodern, fast schlossartig daher – ein lustvoll provozierter Widerspruch zu Serialität, Vorfertigung und den zeitgenössischen Materialien Beton und Glas.
Der Grundriss folgt strikt einem Quadratraster, das sich bei den Ansichten leicht gestaucht fortsetzt. Im Atrium wird das Raster in der dritten Dimension ad absurdum geführt. Hinzu treten weitere irritierende, ironisch sinnentstellte Details, die in Kooperation mit dem Künstler Pierre-Martin Jacot entstanden sind: abgeschnittene Säulenkapitelle und -basen, grelle Neonröhren ein auf den Kopf gestellter Modulor, in Corbusier-Typographie schablonierte Nummern, die – teils in Spiegelschrift – auf Bauabläufe hindeuten könnten.
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Grenzen des Erhaltens
Das Spielerisch-Eklektizistische war Systemkritik und sinnliche Hinwendung zu den Schüler*innen zugleich. Jedes Detail ist ein Statement, dessen Haltung auch bei notwendigen Änderungen erhalten bleiben sollte. Dennoch waren bereits vor der Generalsanierung eine Reihe von Eingriffen vorgenommen worden. Sie wurden nun lediglich zum Teil rückgängig gemacht. Beispielsweise entfernte man die abgehängten Zwischendecken in den Klassenräumen, um die prägenden Betonkassettendecken wieder freizulegen. Im Laufe der Zeit beseitigte, postmoderne Details wie Säulenzitate und Porzellantürgriffe wurden hingegen nicht wiederhergestellt.
Ersetzt wurden die Fassade sowie die Lüftungs- und Heizungsanlage. Außerdem wurden die Dächer erneuert und zum Teil begrünt und an einigen Stellen die Raumorganisation modifiziert. So wurden etwa Flure verbreitert, Verbindungsstege und Höfe reaktiviert. Des Weiteren verlegten die Planer*innen die Kantine, den Musikraum und die Büros.
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Fassade: bewahren, ohne zu imitieren
Ursprünglich präsentierte sich die Schule als Komposition aus unterschiedlichen Kuben mit ornamentierten Sichtbetonrahmen und Glasflächen mit pixelhaften Mustern in Weiß, Blau, Gelb und Rot. Die sichtbaren Pfosten und Balken der Betonstruktur stellten jedoch Wärmebrücken dar, zudem war der Wärmewiderstand der Vorhangfassaden recht gering. Hier mussten die Architekt*innen bei der Sanierung ansetzen, während sie gleichzeitig das Ziel verfolgten, ohne „Nostalgie“ den kritischen Geist des Entwurfs zu bewahren. Aus diesem Grund vermieden sie, das ursprüngliche Erscheinungsbild zu imitieren.
Die Entscheidung fiel für eine neue Außendämmung und eine mit Vorhangfassade, die per Siebdruck die Originalfarben erhielt. Punktgehaltene Metallgitter legen sich um die charakteristische Betonstruktur, ohne die leicht vergrößert wieder aufgebrachten Zahlen an den Stützen-Träger-Knoten zu verdecken.
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Die Gesetze der Geometrie bringen es mit sich, dass sich die Oberflächenproportionen verändern mussten. Entlang der Gebäudekanten ist die Rasterstruktur kräftiger, kompakter geworden: Hatten die Betonpfeiler früher eine Ansichtsbreite von 50 cm, sind die Metallgitter vor den innenliegenden Pfeilern jetzt 63 cm, vor den Eckpfeilern sogar 92 cm breit. Insgesamt sind 40 cm Aufbau hinzugekommen, davon 22 cm Wärmedämmung zuzüglich dem 3 cm starken Metallgitter sowie der Unterkonstruktion plus Luftspalt.
Trotz dieser bedeutenden Veränderung, scheint das im Ursprungsentwurf angelegte Spiel mit der Mehrdeutigkeit fortgeführt zu sein: Obwohl die semitransparenten Metallgitter zunächst Durchblicke auf den Bestand suggerieren, hängen sie doch tatsächlich vor einer neuen Außenhaut. Die Sanierungszeitschicht offeriert sich so als Weiterbauen im besten Sinne und hat damit mehr als nur Erinnerungswert.
Bautafel
Architektur: Jean Nouvel und Gilbert Lézénès (Bestand 1980); MARS Architectes, Paris (Sanierung 2023)
Projektbeteiligte: Stéphane Bauche (Projektleitung MARS Architectes), Batiserf Ingénierie, Fontaine (Statik), RFR, Paris (Fassadenplanung), Paris (Freiraumplanung), BET Choulet, Aubiére (Sanitär- und Elektroplanung), Omnis, Grésy-sur-Aix (Küchenplanung), bmf, Paris (Baukostenmanagement), Travaux-Pratiques, Paris (Signaletik), Bouygues Bâtiment Île-de-France (Generalunternehmer)
Bauherr*in: Conseil Départemental des Hauts de Seine, Nanterre
Fertigstellung: 2023
Standort: Collège Anne Frank, 112 Rue Adolphe Pajeaud, 92160 Antony, Frankreich
Bildnachweis: Nicolas Grosmond, Paris (Fotos); MARS Architectes, Paris (Pläne)
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