Anbau: Lew-Tolstoi-Schule in Berlin
Wandfliesen, Spaltklinkerplatten und Betonfertigteile
Weltliteratur überdauert Weltraum-Prestige: Die erste Frau im All musste einem Schriftsteller weichen, als 1995 in Berlin-Lichtenberg die ehemalige 15. Polytechnischen Oberschule „Valentina Tereschkowa“ zur Lew-Tolstoi-Schule wurde. Tolstoi – schon zu Lebzeiten einflussreich – war nicht nur Literat, sondern auch leidenschaftlicher Reformpädagoge, der mehrere Schulen gegründet und selbst unterrichtet hatte. Die nach ihm benannte deutsch-russische Europaschule mit bilingualem Unterricht wurde 2022, im Zuge der Schulbauoffensive des Berliner Senats, nach Plänen des Büros AFF erweitert.
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Der Bestandsbau von 1967, ein typisierter, einbündiger Plattenbau-Riegel – zwischenzeitlich gedämmt – liegt eingebettet in ein suburbanes Einfamilienhausgebiet im Stadtteil Karlshorst, im Süden des Bezirks Lichtenberg. Haupteingang, Klassenräume und nördliches Treppenhaus sind nach Westen orientiert, zum schmalen, verkehrsberuhigten Römerweg. Die Erschließungsflure erstrecken sich entlang der Hoffassade. Im Südosten, gegenüber des Haupteingangs, bilden das zweite Treppenhaus und die Nebenräume einen Appendix. Hier dockt die Erweiterung an, deren konkav-konvexe Grundrissfigur aus einem Rechteck und einem hierzu nach Südosten verschobenen Trapez zusammensetzt ist.
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Valentina Tereschkowas Kosmonautenazug
Da der Anbau sich vom Bestandsriegel wegstreckt, wurde der Außenraum neu gegliedert: Auf der Südseite bildete sich ein kleiner Vorplatz, während auf der anderen Seite der Schulhof liegt, der die freistehende Einfeld-Sporthalle im Nordosten räumlich einbindet. An der breiten Freitreppe des Haupteingangs werden Besucher*innen seit 1969 durch die von Eberhard Bachmann geschaffene Bronzeplastik „Mutter und Kind“ empfangen. Östlich davon, auf dem kleinen Vorplatz zwischen Bestand und Erweiterung, kam nun eine Aluminiumguss-Skulptur von Sven Kalden hinzu, die in Form eines halben, von hinten begehbaren Kosmonautenanzugs an den früheren Namen der Schule erinnert und zugleich augenzwinkernd auf das Space Race des Kalten Krieges anspielt.
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Lernen entlang der Schulstraße
Der Baukörper beginnt viergeschossig am Bestand, verspringt dann und ist im Osten nur noch dreigeschossig. Da der Haupteingang erhalten blieb, konnte bei laufendem Betrieb gebaut werden. Über das bestehende Treppenhaus werden heute auch die als Zweispänner organisierten Obergeschosse des Anbaus erschlossen. Vom Bestandsfoyer führen wenige Stufen hinab ins Erdgeschoss, wo ein durchgesteckter Flur durch die Erweiterung führt. Er wird von einigen Büros und dem Zugang zum südlichen Vorplatz flankiert und endet mit einer Tür zum Schulhof.
Nach Südosten schließen sich das langgestreckte Lehrerzimmer und die Mensa im trapezförmigen Teil des Neubaus an. Über ein weiteres, an der Ostfassade gelegenes Treppenhaus erreichen die Schüler*innen, die Obergeschosse, wo sich abwechselnd Räume für Unterricht, Gruppenarbeiten und Nachmittagsbetreuung in den hier s-förmigen Flur, die sogenannte Schulstraße, schieben. Bei der Innenraumgestaltung wurden Sichtbeton und Estrich kombiniert mit Industrieglas, Oberflächen in Grüntönen und einzelnen Akzenten in Neon-Orange.
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Fassade als Reminiszenz
Während der Erweiterungsbau von AFF in Baumassengliederung und Raumorganisation die Situation zeitgemäß fortschreibt, zeigen sich Materialität und Fassadendetails – trotz WDVS vor der Stahlbetonkonstruktion – als reduzierte, qualitätvolle Reminiszenz an die Ästhetik der Typenbauweise. An den monochrom sandsteinfarbigen Fassaden wechseln sich horizontale Bänder aus mineralischem Feinputz, die die Lage der Deckenplatten anzeigen, mit texturierten Außenwandoberflächen ab. Die Wärmedämmung besteht aus 160 Millimeter starken EPS-Platten.
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Glatte, glasierte Fliesen im stehenden Format (126 x 300 mm), mit zehn Millimeter breiten Fugen verlegt, dominieren die geschlossenen Flächen. Unterbrochen werden sie von Feldern mit profilierten Spaltklinkerplatten (Doppelspitzplatten), die auch Brüstungen und Stürze der liegenden Fensterformate von Büros und Unterrichtsräumen verkleiden. Vor die Fensterflächen der Erschließungszonen wurden Sichtbeton-Fertigteile gehängt, die über jeweils drei Reihen von sieben kreisrunden Öffnungen mit gut 60 Zentimetern Durchmesser verfügen. Die Elemente sind 355 Millimeter tief und über Winkelprofile dreiseitig mit der Stahlbetonwand verschraubt. Dahinter liegen bodentiefe Aluminiumfenster mit Kippflügeln und unterer Festverglasung.
Auch die restlichen Fenster haben Aluminiumprofile. Als außenliegender Sonnenschutz sind Raffstores verdeckt in die Fensterstürze integriert. Betonfertigteile wurden außerdem für die Rahmenelemente der bodentiefen Erdgeschossfenster sowie der beiden Eingänge im Süden und Osten verwendet, letztere mit flügelartigen Vordächern.
Bautafel
Architekten: AFF Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: GEORGI architektur +, Chemnitz (Bauleitung), CRP Bauingenieure, Berlin (Tragwerksplanung/Brandschutz), Passau Ingenieure GmbH, Berlin (TGA, HLS), Ingenieurbüro Thomas, Berlin (TGA, ELT), WohnWertPlan, Berlin (Projektsteuerung), POLA Landschaftsarchitekten, Berlin (Landschaftsplanung), Sven Kalden, Berlin (Kunst am Bau)
Bauherr: Bezirksamt Lichtenberg von Berlin
Fertigstellung: 2022
Standort: Römerweg 120, 10318 Berlin
Bildnachweis: Tjark Spille, Braunschweig; Hans-Christian Schink, Berlin (Fotos); AFF Architekten, Berlin (Pläne)
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