Schulsanierung in Neustadt an der Waldnaab
Entmaterialisierter Brutalismus
Neustadt, das liegt doch... ja, wo? Und welches überhaupt? Der vielleicht häufigste Ortsname sorgt oft für Verwirrung, hat aber auch die größte Städtefreundschaft hervorgebracht: „Neustadt in Europa“ verbindet als Arbeitsgemeinschaft 37 gleichnamige Städte, Gemeinden und Ortsteile in Deutschland, Österreich, Ungarn, der Tschechischen und der Slowakischen Republik sowie in Polen, Rumänien und den Niederlanden. Eine davon ist die 6.000-Einwohner-Stadt Neustadt an der Waldnaab. Hier, in der Oberpfalz, auf halber Strecke zwischen Hof und Regensburg, sanieren Brückner & Brückner Architekten aus dem nahegelegenen Tirschenreuth ein Gymnasium für 600 Schülerinnen und Schüler.
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1977 hatten die regional ansässigen Architekten Georg Rembeck, Xaver Bogner und Ferdinand Hasl auf einer Waldlichtung, 800 Meter südlich des Zentrums von Bayerns kleinster Kreisstadt, den Schulbau in Beton-brut-Optik fertiggestellt. Der zwei- bis viergeschossige Bau mit angebundener Dreifeldhalle und 11.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche reagiert mit Splitlevels und kreuzförmig in die Landschaft greifenden Gebäudeflügeln auf die leichte Hanglage.
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Energetische Modernisierung unter Beibehaltung des
Erschließungssystems
Umbau und Sanierung dienen vor allem
der Anpassung an veränderte Lernformen sowie an aktuelle
energetische und sicherheitstechnische Anforderungen. Brückner &
Brücker haben im ersten Bauabschnitt die Zugangssituation
verändert, den nördlichen, eingeschossigen Klassentrakt
abgebrochen, die so freigestellte foyerartige Aula im Erdgeschoss
verglast und hier einen neuen nordseitigen Haupteingang
geschaffen. Zwei in Stahlkonstruktion erstellte, neue
Fluchttreppenhäuser bilden zusammen mit einem Vordach ein breites,
außen verspiegeltes und innen holzverkleidetes Portal. Durch
Entfernen der Auladecke ist ein höherer, offener Foyerraum mit
Galerie und LED-Tageslichtdecke entstanden.
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Das interne Erschließungssystem der Schule wurde weitgehend beibehalten. Die Flure sind nun an ihren Enden verglast. Durch seitliche Durchbrüche wurden Sichtfenster in die Klassenräume geschaffen und mit Eichenholzpaneelen gerahmt. Aus den Flurgarderoben wurden Sitznischen, die ebenfalls mit Eichenholz verkleidet sind. Das Sichtmauerwerk der Flure wurde weiß getüncht. Insgesamt wurden in den sanierten Bereichen einheitlich weiße Wände mit Holzoberflächen und den bauzeitlichen Natursteinböden beziehungsweise neuem Linoleum in den Klassenräumen kombiniert. In einem zweiten Bauabschnitt werden Klassen- und Fachräume im südlichen Teil der Schule neu sortiert und der Innenhof zu einer Bibliothek umgebaut, als dritter Bauabschnitt ist eine Turnhallensanierung vorgesehen.
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Fassade: Glänzend polierte Aluminium-Verbundplatten und Beton
brut
Die ursprünglich monolithisch wirkende Bestandsfassade
war schon bauzeitlich aufwendig gearbeitet. Die
Beton-Fertigteilelemente haben eine lebendige Vertikalstruktur, die
durch Einlegen schmaler Leisten in die Schalung und anschließendes
Stocken der vorstehenden Kanten erzeugt wurde. Dazu gliedern
schiffskehlenartige Aussparungen im Sturz- und Solbankbereich die
Fassaden in der Horizontalen.
Die Ergänzungen an der Nordfassade mit dem neuen Haupteingang und den verspiegelten Fluchttreppenhäusern kontrastieren jetzt maximal zum Beton brut. Auf nahezu postmodern-ironische Weise treten die glatten, entmaterialisierten Flächen aus spiegelpolierten Aluminium-Verbundplatten in Beziehung zur Bestandsfassade und markieren so den Substanzverlust des abgebrochenen Klassentrakts: Einerseits vervielfachen sie durch die Reflexionen die noch vorhandenen Strukturbetonelemente, andererseits schieben sie sich seitlich unter den schweren Betonkörper und bringen ihn scheinbar als nunmehr flächig auskragenden Torso zum Schweben.
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Spielerisch aufgelöst wurden zudem die geschlossenen Fassadenbereiche und Fensterbrüstungen: In einige der Strukturbetonrillen haben die Architekten 30 Millimeter breite, spiegelnde Aluminiumstreifen geschraubt, die – abgekantet zu 20 Millimeter tiefen U-Profilen – die feinen Rillen fast ausfüllen und sich je nach Lichtsituation und Abstand zur Fassade als Intarsien oder Einschnitte in den Beton deuten lassen.
Die Brüstungen und Säulen der vorgehängten, hinterlüfteten Betonfassade mit bauzeitlich 40 Millimeter Mineralwolldämmung wurden mit einer zusätzlichen, 80 Millimeter dicken, mineralischen Innendämmung ertüchtigt. Die bauzeitlichen Aluminiumfenster wurden ersetzt durch außenseitig dunkle gefasste Eichenholzfenster mit grauen Fallarmmarkisen als textilem, außenliegendem Sonnenschutz. Treppenhäuser wurden bodentief verglast. Die vier Millimeter starken Aluminium-Verbundplatten, die im Eingangsbereich vor die Fluchttreppenhäuser und darüber hinaus zum Teil auch vor die Strukturbetonelemente gehängt wurden, sind mit Blindnieten auf 50x50 Millimeter große Hutprofile montiert, welche auf U-Profil-Wandhalter geschraubt sind.
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Die Kontrastierung des rauen Strukturbetons mit den glatten Spiegelflächen und den in die Rillen geschraubten Aluminiumleisten mag zunächst irritieren, sie bietet aber Lehrern, Schülern und Gästen Anregungen zur Diskussion über Architektur im Spannungsfeld zwischen Kunst- und Baugeschichte, Erhalt und Neukreation sowie Identitätsstiftung und Ressourcenschonung.
Bautafel
Architekten: Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth / Würzburg
Projektbeteiligte: Ing.-Büro Ederer, Bechtsrieth (Tragwerksplanung); DAI Dorn Architekten Ingenieure, München (Brandschutz); EAS Systems, Neustadt an der Waldnaab (Elektro); BSK Büro Siegfried Kleber, Etzenricht (Sanitär); Gammel Engineering, Abensberg (Heizung/Lüftung/MSR); Wolfgang Sorge Ingenieurbüro für Bauphysik, Nürnberg (Bauphysik); Block Umweltberatung, Lappersdorf (Schadstoffbeurteilung); Galileo-ip Ingenieure, Altenstadt a.d. Waldnaab (Vermessung)
Bauherr: Landkreis Neustadt an der Waldnaab
Fertigstellung: 2021 (1. Bauabschnitt)
Standort: Bildstraße 20, 92660 Neustadt an der Waldnaab
Bildnachweis: mju-fotografie, Marie Luisa Jünger, Hümpfershausen / Brückner & Brückner, Tirschenreuth / Würzburg
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