Ofenturm des Ziegelei-Museums bei Cham
Vorgespannte Stampflehm-Holz-Struktur
Zwischen Cham und Sins ist die letzte Handziegelei der Deutschschweiz erhalten geblieben. Doch vorab: Wer den Namen der 17.000-Einwohner-Gemeinde Cham korrekt aussprechen möchte, beginnt mit kratzendem „Ach-Laut“, dem ein langgezogenes „aah“ folgt, wie in „Rahm“. Hier also, genauer gesagt, auf einer Waldlichtung des Ortsteils Hagendorn, rund vier Kilometer nordwestlich des Zuger Sees, befindet sich eine alte Ziegelhütte aus dem Jahr 1873. Seit zehn Jahren wird sie vom einzigen Ziegeleimuseum der Schweiz betrieben, mit Ziegelsammlung, kleiner Forschungsstelle mit Bibliothek sowie Führungen und Kursen. Für den besonderen Ort haben Boltshauser Architekten aus Zürich gemeinsam mit Studierenden einen außergewöhnlichen Ofenturm entworfen.
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Das denkmalgeschützte Ensemble besteht aus Lehmgrube, Ziegeltrocknungshütte, Brennofen und einem Wohnhaus mit Garten. Hinzu kommt der Museumsbau, der sich am Standort einer 1982 abgebrannten Scheune befindet. Der historische Brennofen darf aus Brandschutzgründen nicht mehr betrieben werden. Zudem wünschten sich die Betreiber*innen des Museums einen Aussichtspunkt mit Blick über das Areal, zu dem auch eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Lehmgrube gehört. So entstand in Zusammenarbeit mit Roger Boltshauser und Studierenden der TU München und der ETH Zürich der schmale Kubus des Ofenturms – fast neun Meter hoch, keine viereinhalb Meter breit und knapp vierzehn Meter tief. Er vereint den Brennofen mit einem vorgelagerten, ins Volumen integrierten Ausstellungsraum und der gewünschten Aussichtsplattform auf dem Dach.
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Spindeltreppe mit Ausblick
Der Bau wird über ein fast sechs Meter hohes Horizontal-Falttor in der östlichen Schmalseite betreten. Gegenüberliegend, vor der Ofenwand, befindet sich eine skulpturale Spindeltreppe aus dunklem Stahl. Vier Stufen führen zunächst auf ein Podest mit Stahltür, über die der Brennraum beschickt wird. Hingegen wird der darunterliegende Feuerraum von außen, über zwei ebenerdige Schüröffnungen in der Westfassade bedient. Die Treppe führt von der Brennraumebene hinauf auf die Dachterrasse. Auf halber Höhe erlaubt ein Bullaugenfenster einen Blick auf das Brenngut. An beiden Längswänden des Ausstellungsraumes werden in drei Reihen übereinander rund 100 unterschiedliche Dachziegel präsentiert.
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Geschichtete Hülle
Der Mehrzweckraum des Ofenturms ist auch in konstruktiver Hinsicht ein Hybrid. Es handelt sich um den weltweit ersten vorgespannten Lehmbau, bei dem Wand- und Deckenkonstruktion eine untrennbare Einheit bilden. Die Wände sind aus großen, vorgefertigten Stampflehmblöcken aufgeschichtet. Sie sind jeweils 2,75 m breit, 1,10 m hoch und ihre Wandstärke verjüngt sich Schicht für Schicht von 50 cm unten auf knapp 40 cm ganz oben. Nach sechs Schichten folgt, auf einer auch außen sichtbaren Balkenlage, in etwa 7,50 m Höhe eine aussteifende Holzdecke, darüber noch eine siebte Stampflehmblock-Schicht: die Brüstung der Aussichtsplattform.
Die Blöcke sind nicht wie bei Mauerwerksverbänden miteinander verzahnt, sondern – getrennt durch insgesamt vier je 25 cm schmale Vertikalfugen – exakt übereinander gestapelt. Die Blöcke liegen noch auf den Brettschichtholzplatten, auf denen die feuchte Lehmmischung in den Schalungen aufgestampft wurde. Diese Platten dienten im Bauprozess als Transportunterlagen und gliedern jetzt den Bau in der Horizontalen. Außenseitig sind leicht auskragende Wetterschenkel aufgebracht, die das Regenwasser abführen, den Lehm so vor Auswaschung schützen und zudem das Prinzip des schichtenden Fügens betonen.
Außenseitig umfassen die Stampflehmwände mit Ausnahme der Feuerraum-Öffnungen auch den aus Schamottsteinen aufgemauerten Brennofen. Im Ausstellungsraum ist die Ofenwand jedoch mit gebrannten Terrabloc-Lehmsteinen verblendet. Damit wurde eine Anregung des Museums-Teams aufgegriffen, den Baustoff Lehm an ein und demselben Bauwerk in seiner ungebrannten und gebrannten Form zu zeigen.
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Mit Stahlseilen verspannt
Stabilisiert wird die Konstruktion durch eine Verspannung mit Stahlseilen, die vom Fundament bis zur Dachbalkenlage beidseitig vor den schmalen Lichtschlitzen entlanggeführt sind. Dabei dienen die innenliegenden Seile gleichzeitig als Aufhängung für die Stahlrahmen des Ausstellungsregals. Die Vorspannung macht das Gebäude erdbebensicher. Denn in der Schweiz werden mehr als 1.000 Beben jährlich registriert, wenngleich nur ein Bruchteil davon wirklich spürbar ist.
Der Ofenturm wurde zwar nur zeitlich beschränkt auf zehn Jahre genehmigt, doch durch eine wissenschaftliche Projektbegleitung soll der innovative, zeitgemäße Einsatz der traditionellen Stampflehmtechnik erforscht werden. Hintergrund ist dabei auch die Überlegung, dass sich mit Lehm gegenüber Baustoffen wie Beton und Backstein, die aufwändiger zu produzieren sind, bis zu 40 Prozent Graue Energie im Neubaubereich einsparen ließe.
Bautafel
Architektur: Boltshauser Architekten, Zürich, mit Studierenden der TU München und ETH Zürich, auf Basis des Entwurfs der Studierenden Regina Pötzinger und Robert Gentner
Projektbeteiligte: Boltshauser Architekten, Zürich (Generalplanung/Kostenplanung/Bauleitung, Projektteam: Felix Hilgert, Giuseppe Pascoli, Léon Bührer, Miklós Doma, Yves Péclard); SEFORB, Uster (Statik); Reflexion, Zürich (Fachplanung Licht); LEHMAG, Brunnen, mit Studierenden verschiedener Hochschulen (Stampflehmbau); Terrabloc, Genf (Lehmsteinmauerwerk); Ziegelei Schuhmacher, Gisiken (Erdmaterial); Nüssli, Hüttwilen (Holz- und Metallbau); Jakob, Trubschachen (Vorspannungstechnik); Keller Unternehmungen, Pfungen (Gründung); KIBAG, Bäch (Tiefbau); Ineichen, Baar (Baumeister)
Bauherr: Verein Ofenturm Ziegelei-Museum, Cham
Fertigstellung: 2020
Standort: Ziegelhütte, Hagendorn/Cham, Schweiz
Bildnachweis: Kuster Frey, Zürich (Fotos); Boltshauser Architekten, Zürich (Pläne)
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