Haus der fliegenden Dachziegel in Pifo
Sonnenfänger auf Zeit
Den Sonnenschutz als eine Art Aushängeschild zelebriert das House of Flying Tiles in Pifo, einem Vorort von Quito: Entkoppelt von der Architektur umfängt ein haushohes frei stehendes Stahlgerüst mit darin eingehängten, scheinbar schwebenden Dachziegeln das kleine Haus auf zwei Seiten. Der junge Architekt Daniel Moreno Flores arbeitete bei diesem Projekt in enger Abstimmung mit der Bauherrin, einer Illustratorin aus Ecuador.
Gallerie
Entstanden ist eine Architektur zum Lesen und zur kontemplativen Beobachtung der Landschaft, gebaut aus vielen recycelten Baumaterialien, zusammengetragen aus umliegenden Ruinen. Ziel war es, eine Behausung zu schaffen, in der sich der Charakter der Besitzerin widerspiegelt. Darüber hinaus speist sich die Form zu großen Teilen aus dem direkten Kontext.
Frühmorgendlicher Sonnenfänger
So soll den Bewohnern und Besuchern durch die Architektur ermöglicht werden, eine intensive Beziehung zu der umgebenden Landschaft aufzubauen. Protagonisten sind dabei ein nahegelegener Berg, die niedrige Vegetation, der Himmel und der „Guirachuro“. Der Gelbbürzelstärling ist ein kleiner Vogel mit gelber Brust, der nur in einigen Regionen Südamerikas beheimatet ist. Die umgebende Flora und Fauna sollte das Gebäude sprichwörtlich umarmen und durch die Baumaßnahmen weder beeinträchtigt noch entfernt werden.
Auch ein schöner Spagat gelingt dem kleinen Haus: Trotz des
prominenten Sicht- und Sonnenschutzes wird hier der Sonnenaufgang
zelebriert – in jedem Winkel. So wurden der genaue Bauplatz und die
Ausrichtung des Gebäudes in Begehungen durch Architekt und
Bauherrin zum Zeitpunkt des Sonnenaufgangs ermittelt.
Drei Zimmer mit Ausblick
Hinter dem Dachziegelschirm taucht der dekonstruktivistisch anmutende Baukörper auf. Er setzt sich aus drei asymmetrischen Raumvolumina zusammen, deren Wand- und Dachflächen aus dem Lot gebracht zu sein scheinen. Insgesamt umfasst das Raumgefüge 68 Quadratmeter, auf denen ein Wohn- und Essbereich, ein Schlafzimmer und ein Bad untergebracht sind.
Das Schlafzimmer ist zum Teil in den doppelgeschossigen Wohnbereich mit Küche eingeschoben, sodass dort eine Empore bzw. ein Galeriegeschoss entsteht. Erreichbar ist dieses über eine Holztreppe, die über eine Seilwinde hochgekurbelt werden kann. Oben ist ein Arbeits- und Lesebereich untergebracht, mit einem vor der Fensterfront positionierten Schreibtisch. Von hier reicht der Blick in die Ferne: eine Wohltat für die Augen als Abwechslung vom Blick ins Buch oder auf den Bildschirm.
Das keilförmige Bad ist als drittes Raumvolumen angefügt. Es hat ein volltransparentes Dach aus Acrylglas. Am schmalen Ende des Keils befindet sich ein Fenster, welches auf einen hohen Baum ausgerichtet ist. Mit seinen Ästen und Blättern überfängt er das Kunststoffdach und ergänzt es um einen natürlichen Sicht- und Sonnenschutz.
Inspiriert vom „atrium impluviatum“
Die übrigen Dachflächen sind nicht – wie der Name des Hauses
andeuten könnte – mit Ziegeln, sondern mit Terrakottafliesen
bedeckt. Sie sind, wenn auch geneigt, begehbar und als Terrasse
nutzbar. Die Form des Daches über dem Hauptwohnbereich wirkt wie
ein Ausschnitt aus einem römisch-antiken atrium impluviatum, dessen
nach innen geneigte Dachflächen das Regenwasser zu einer zentral
gelegenen Öffnung leiten, um es dort zu sammeln. Hier wurde der
Tiefpunkt in die südwestliche Ecke verschoben, wo das Wasser in
zwei Tanks gesammelt wird. Darüber hinaus dient eine dort
positionierte Öffnung als Zugang zur Dachterrasse. Wie ein Teil der
Dachziegel und der Fliesen wurde auch das fürs Tragwerk verwendete
Eukalyptus- und Fichtenholz von baufälligen Gebäuden der Umgebung
entnommen und wiederverwendet.
Sonnenschutz: Mehr als nur außen liegend
Geschosshohe
Fensterfronten auf allen Seiten lassen viel Tageslicht in
den Hauptwohnbereich. Damit sich dieser nicht in ein Gewächshaus
verwandelt, wenn die Sonne scheint, wurde der markante außen
liegende Sonnenschutz installiert: Zwei haushohe Stahlgestelle mit
scheinbar schwebenden Tonziegeln schirmen direktes Sonnenlicht,
aber auch Blicke von der Süd- und Westseite ab.
Die Ziegel sind teils neu, teils historisch. Letztere stammen von drei Ruinen aus der näheren Umgebung. Befestigt sind sie mit Vielzweckklammern und Kabelbindern an Drähten. Ausblicke sind möglich, denn im mittleren Bereich, auf Kopfhöhe, sind die Ziegel in einer offeneren Winkelstellung positioniert als oben.
Die beiden frei stehenden Ziegelschirme und das invertiert
geneigte Dach verschatten das Haus in den Mittagsstunden, wenn die
Sonne hier in unmittelbarer Nähe des Äquators fast senkrecht steht,
sowie nachmittags, wenn die Sonne im Westen untergeht. Die
aufgehende Morgensonne aus östlicher Richtung hingegen darf
ungehindert in die Wohnräume eindringen. Durch die Form und
Ausrichtung der Räume werden die Strahlen dann förmlich
eingefangen.
Ein weiterer Sonnenschutz ist das Grün, in das das Haus
eingebettet wurde. Die Bäume und Sträucher spenden Schatten und
stehen so dicht, dass sie teilweise umbaut und in die Architektur
integriert wurden. Die Vegetation verbessert zudem die Luftqualität
und verhindert Hitzeinseln. -sr
Bautafel
Architekten: Daniel Moreno Flores, Quito
Projektbeteiligte: Luis Guamán (Konstruktion); Patricio Cevallos (Tragwerksplanung)
Bauherrschaft: Emilia Andrade
Fertigstellung: 2018
Standort: Pifo, Quito, Ecuador
Bildnachweis: JAG Studio – Juan Alberto Andrade and Cuqui Rodriguez, Guayaquil
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