Museumserweiterung Nancy and Rich Kinder Building in Houston
Gläserne Halbschalen mit Structural-Glazing-Verklebung
Bei vielen Bautypologien ist natürliches Tageslicht zentraler Bestandteil der Planung, vor allem beim Wohnen und Arbeiten. In Museen hingegen kann direktes Sonnenlicht störend sein und lichtempfindliche Exponate irreversibel zerstören. Daher ist der Einsatz von Tageslicht bei der Planung von Museumsbauten generell eher unüblich. Der Erweiterungsbau des Museum of Fine Arts in Houston, das sogenannte Nancy and Rich Kinder Building von Steven Holl Architects, ist daher ein Exot unter den Ausstellungshäusern: Auf der Grundlage akribischer Material- und Formentwicklungsversuchen, zahlreicher Tageslichtsimulationen und Mock-Ups entwickelten die Planungsbeteiligten eine außergewöhnliche transluzente Fassade: Unzählige Glas-Halbröhren umhüllen das kompakte Bauwerk, deren Lichttransmission präzise auf die Anforderungen der Kunstwerke angepasst wurde.
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Das Museum of Fine Arts in Houston (MFAH) besteht seit 1924 und bildet mit einer Sammlung von mehr als 60.000 Exponaten eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Stadt. Das Nancy and Rich Kinder Building zeigt als Erweiterungsbau klassische Kunst aller Art. Fünf Leitprinzipien stellten die Planungsbeteiligten von Steven Holl Architects bereits im Rahmen des Wettbewerbs vor. Eine der konzeptionellen Ideen bestand darin, eine dicke, transluzente Fassade im Kontrast zu den architektonischen Nachbarn auf dem Museumsgelände – das transparente Glas-Stahl-Gebäude von Mies van der Rohe und der opake Steinbau von Rafael Moneo – zu entwickeln.
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Prägend für das Erscheinungsbild ist daher die ca. 15.000 m² große vorgehängte und hinterlüftete Kaltfassade aus transluzenten Halbröhren – die sogenannte Cool Jacket. Die satinierte Oberfläche erhalten sie durch Ätzung der äußersten Glasoberfläche. Dabei wurden im Voraus lichttechnische Untersuchungen durchgeführt, aus denen die Anforderungen an die Tageslichttransmission ermittelt werden konnten. Die Tageslichtdurchlässigkeit wurde auf diese Weise in allen Geschossen des Neubaus optimiert.
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Innere Organisation
Sieben Gärten, die in Einkerbungen der Gebäudehülle integriert sind, umgeben das gesamte Bauwerk. Der größte Gartenhof befindet sich an der Ecke Bissonnet und Main Street. Dieser bildet gleichzeitig den zentralen Eingang zum neuen Bestandteil des Museum of Fine Arts. Von der Eingangslobby des Kinder-Buildings aus sind die Gärten und deren üppige Vegetation in alle vier Himmelsrichtungen zu sehen. Das zentrale Galerie-Atrium bietet großzügige Räume für die Ausstellung von Kunst und die vertikale Erschließung der oberen Stockwerke. Die einzelnen Galerien sind um dieses Foyer herum angeordnet.
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Konkave Dachstruktur
Nicht nur die vertikale Fassade ist besonders, sondern auch das Dach: Über mehrere Dachabschnitte verläuft die Dachgeometrie in konkaven Kurven und lässt ebenfalls kontrolliert natürliches Tageslicht in den Innenraum. Die Unterseiten der gewölbten Decke muten wie Sonnensegel an und fungieren als Lichtreflektoren, die das Licht einfangen und durch die einzelnen Galerien der drei Geschosse gleiten lassen. Dadurch ist die Lichtwirkung im Innenraum nicht statisch und konstant gleich, sondern verändert sich je nach Wetterlage und Bewegung im Außenraum.
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Gläserne Halbschalen aus Verbundsicherheitsglas
Die 1.103 gläsernen Halbschalen weisen einen Durchmesser von ca. 75 Zentimetern und Längen zwischen 3 und 6 Metern auf. Die Halbschalen bestehen aus Verbundsicherheitsglas aus 2 x 10 mm thermisch entspanntem Floatglas mit einer Zwischenschicht aus 1,52 mm PVB. Während das Eigengewicht der Glaselemente am Fußpunkt jeder Verglasung mechanisch abgetragen wird, werden horizontale Einwirkungen aus Wind und das aus Eigengewicht der Gläser resultierende Moment dauerhaft über statisch wirksame Verklebungen (Structural Glazing) in den Ecken jeder Halbschale abgetragen. Besonders ist, dass die Verklebung nicht wie sonst üblich mit schwarzem, sondern mit grauem Silikon ausgeführt wurde. Dadurch konnte die Sichtbarkeit der Lagerung auf ein Minimum reduziert werden.
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Aufgrund des engen Biegeradius konnten diese Gläser nur im Schwerkraft-Biegeverfahren hergestellt werden. Eine Serie an Tests war erforderlich, um die Trag- und Restfähigkeit der Gläser zu untersuchen. Darüber hinaus wurden detaillierte numerische Berechnungen zur Verklebung durchgeführt. Neben der architektonischen und tageslichtsteuernden Funktion trägt die Fassade auch erheblich zur Reduktion des Energieeintrages und zur Reduzierung der damit verbundenen Kühllasten bei: Durch die Öffnung des Fassadenzwischenraums nach unten und oben stellt sich ein kühlender Kamineffekt ein. Dadurch konnte der solare Energieeintrag um bis zu 70 % reduziert werden. Im Rahmen von bauphysikalischen Untersuchungen wurde identifiziert, dass der 1,5 Meter hohe Sockel ohne gläserne Vorsatzschale diesen Effekt optimiert.
Bautafel
Architektur: Steven Holl Architects, New York
Projektbeteiligte: Josef Gartner, Gundelfingen (Fassadenengineering und Ausführung); Knippers Helbig, Stuttgart (Fassadenplanung); ShenNanYi Glass Product, ShenZhen (Produktion gebogene Verglasungen); McCarthy Building Companies, Houston (Bauleitung); Guy Nordenson and Associates, New York und Cardno, Houston (Tragwerksplanung); Transsolar Energietechnik, Stuttgart (Bauphysik Fassade); L'Observatoire International, New York (Fachplanung Beleuchtung); SGS Schütz Goldschmidt Schneider, Heusenstamm (statischer Detailnachweis und Beartung SG Verklebung)
Bauherr/in: The Museum of Fine Arts, Houston
Fertigstellung: 2020
Standort: 5500 Main St, Houston, TX 77004, USA
Bildnachweis: Steven Holl Architects; Richard Barnes; Peter Molick; Iwan Baan
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