Polin – Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau
Hinterlüftete bedruckte Glasschuppen und Glasschwertfassade
Angesichts der bewegten Geschichte, von der an diesem Ort erzählt wird, strahlt der monumentale gläserne Quader eine gewisse Ruhe aus. Errichtet wurde das POLIN – Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau im Stadtteil Muranów gegenüber dem Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos. Das Gebäude, das an die über Jahrhunderte währende polnisch-jüdische Geschichte erinnern soll, folgt einem Entwurf der finnischen Lahdelma & Mahlamäki Architects.
Gallerie
Bis zum zweiten Weltkrieg galt Warschau als ein wichtiges kulturelles Zentrum der europäischen Juden; etwa eine halbe Million Menschen jüdischen Glaubens lebten dort. Der heutige Park mit dem Mahnmal war unter deutscher Besatzung Teil des jüdischen Ghettos. Doch nicht allein aufgrund der Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs ging dieser Ort in die Geschichte ein: 1970 bat der damalige Bundeskanzler Willy Brand hier mit einem Kniefall um Vergebung für die Verbrechen des Naziregimes. Bereits seit Mitte der Neunziger Jahre gab es Bestrebungen, an dieser Stelle ein Museum zur Geschichte der polnischen Juden zu errichten. Doch erst 2003 hatten 150 Forscher aus Europa, Israel und Nordamerika genügend Material als Grundstock des Museums zusammentragen können. Nachdem Lahdelma & Mahlamäki Architects den zwei Jahre später ausgelobten, internationalen Wettbewerb für sich entschieden hatten, wurde das Gebäude 2013 fertiggestellt – 70 Jahre nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto.
Mit der diffus reflektierenden und bedruckten Glas-Kupfer-Fassade bildet das Ausstellungshaus einen starken Kontrast zu dem Mahnmal aus schwarzem Granit. Die Glasscheiben der geschuppten Hülle tragen den mit Siebdruck applizierten Begriff Polin als lateinischen und hebräischen Schriftzug. Im Jiddischen steht er für das Land Polen, kann aber auch mit „Hier verweile“ übersetzt werden. Auf der Eingangsseite im Nordosten und zum Park im Südwesten ist die transluzente vertikale Fassadenstruktur großflächig durchbrochen und gibt den Blick in das dramatische Innere frei: Geschwungene Wände aus sandfarbenem Beton ziehen sich gleich einer Schlucht durch das Gebäude. Diese symbolische Darstellung des biblischen Weges der Juden durch das Rote Meer verdeutlicht den Ansatz, sich verschiedenen Phasen und Ausprägungen der jüdischen Kultur zu widmen. Lediglich ein Teil der Ausstellung befasst sich mit dem Holocaust.
Insgesamt fünf Ebenen liegen hinter der Glashülle verborgen, ergänzt durch ein erweitertes Untergeschoss. Dort befindet sich auf insgesamt 5.000 Quadratmetern die Dauerausstellung. Die künstliche Betonschlucht durchzieht das Gebäude – als Foyer, Aufenthalts- und Erschließungsraum verbindet sie sämtliche Etagen. Vom Eingang im Nordosten betreten die Besucher den gigantischen Luft-Zwischenraum, eine breite Treppe führt hinab zur Dauerausstellung. Nordwestlich schließen die Räume des Archivs an. Im Erdgeschoss ist neben dem Empfang, der Garderobe und einem Restaurant Platz für Wechselausstellungen, die im ersten Obergeschoss fortgeführt werden. Ein großes Auditorium erstreckt sich im oberen, nordwestlichen Gebäudeteil über drei Etagen. Angrenzend sind die Labor- und Technikräume auf mehrere Etagen verteilt. In der gegenüberliegenden südöstlichen Raumfolge befinden sich auf der ersten Etage Schulungsräume und darüber die Büros der Verwaltung.
Glas
Die Fassade ist im wesentlichen gekennzeichnet
durch eine vertikale Struktur abgewinkelter, paralleler Lamellen.
Diese sind zusammengesetzt aus hinterlüfteten Glasschuppen (Abb.
18,19), die über Punkthalter (Senkkopfhalter) an
Stahlträgern befestigt sind. Die Stahlkonstruktion verläuft im
Grundriss zickzackförmig. Zwischen den Glasscheiben im Wechsel sind
perforierte Kupferbleche montiert (Abb. 32). Bei den Glasschuppen
handelt es sich um thermisch vorgespanntes und
siebbedrucktes Einscheibensicherheitsglas in 10 mm
Stärke, die Regelabmessungen betragen 440 x 1.690 mm oder 440 x
1.800 mm.
Die transparenten Durchbrüche innerhalb der Fassade, am Eingang und Richtung Park im Südwesten, sind eine konsequente Fortführung der Betonschlucht, die das Gebäude durchzieht und auf diese Weise von außen wahrnehmbar ist. Sie ermöglichen die Durchsicht auf das Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos; eine spannungsvolle räumliche Dramatik wird erzeugt. Die größte Verglasung mit einer maximalen Breite von 50 Metern und einer maximalen Höhe von 16 Metern ist als geometrisch losgelöste Glasschwertfassade konstruiert. Die einzelnen Glasschwerter bestehen aus Verbundsicherheitsglas (4 x 10 mm ESG) und wurden aus Segmenten im Format 800 mm x 3.420 mm vor Ort zusammengesetzt. Da derartige Glasschwerter im statischen System vereinfacht einem Einfeldträger entsprechen, sind die Stöße zwischen den Segmenten über biegesteife Anschlüsse mittels Stahllaschen und Glasbohrungen verbunden. Die äußere Verglasung ist über jeweils sechs Punkthalter (in den Ecken sowie in der Scheibenmitte entlang der vertikalen Kanten) an den Glasschwertern befestigt und besteht aus Dreifach-Isolierverglasungen (Aufbau: 10 mm/16 mm/10 mm/16 mm/10 mm). Die einzelnen Glasscheiben haben eine maximale Breite von 1.800 mm; das Höhenraster orientiert sich mit 3.420 mm an den Stößen der Glasschwertsegmente.
Bautafel
Architekt: Lahdelma & Mahlamäki Architects, Helsiniki
Projektbeteiligte: ARBO Projekt, Warschau (Tragwerksplanung); AGC Flat Glass (Hersteller Glasschwerter); Biuro Techniczne Tuscher, Gdynia (Fassadenberater und -planer Glasschwertfassade); Aluprof, Bielsko-Biała (hinterlüftete Fassade)
Bauherr: Stadt Warschau und das Kulturministerium
Standort: Anielewicza 6, 00-157 Warschau, Polen
Fertigstellung: 2013
Bildnachweis: Wojciech Krynski / POLIN Museum of the History of Polish Jews, Warschau; Photoroom, Warschau; Juha Salminen, Helsinki
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