Museen und Kultureinrichtungen haben oftmals den Ruf, elitäre,
avantgardistische Grenzen aufzutun. Diesem Image will die
Albright-Knox Art Gallery in Buffalo entgegenwirken und ist
bestrebt, allen Menschen den Zugang zu Kunst und Kultur zu
ermöglichen. Das Ensemble aus der neoklassizistischen
Albright-Gallery von 1905 und dem Seymour H. Knox Building von 1962
wurde kürzlich um ein extraordinäres Element ergänzt, das die
Vision einer zeitgemäßen, inklusiven Kunstinstitution
wiederspiegeln soll: Über dem Innenhof des Knox-Gebäudes erhebt
sich ein komplexes Freiformdach aus Stahl mit unzähligen
verspiegelten, sich zum Teil überlappenden Dreiecken.
Gallerie
Common Sky heißt die Installation von Studio Other
Spaces, die die architektonische Handschrift und Einstellung des
Bürogründers und Licht-Künstlers Olafur Eliasson trägt. Wie so oft
im skandinavischen Raum ist der Isländer damit aufgewachsen, dass
das Individuum der Natur ebenso wie der Gemeinschaft untersteht.
Common Sky soll dementsprechend – wie der Name verrät – den Himmel
als Gemeingut würdigen und alle Menschen, unabhängig vom sozialem
Milieu, unter sich vereinen. Flüchtige Qualitäten der Atmosphäre
werden in den Fokus gerückt: die wechselnden Jahreszeiten, das
gedämpfte Licht und die bewegten Wolkenformationen.
Kaleidoskopische Wirkung durch verspiegelte
Isolierverglasungen
Besucher*innen sind hier aufgefordert, sich mit ihrer
unmittelbaren Umgebung zu verbinden. Nicht nur der Himmel, auch
Teile des Bestands und die Menschen selbst spiegeln sich vielfach
in den rund 600 dreiecksförmigen Glaselementen – die zum Teil
transparent, zum Teil verspiegelt sind. Die asymmetrisch gewölbte
Konstruktion aus weißen Stahlrohren lagert seitlich auf dem Bestand
auf und findet ihren Schwerpunkt in einer trichterförmigen, hohlen
Stütze. Die baumähnliche Form führte dazu, dass keine weiteren
konstruktiven Verstärkungen am Bestand notwendig waren. Die Stütze
markiert zudem die ehemalige Position des Baums der vor dem Umbau im Hof
gestanden hatte. Zudem wird durch den tornadoartig zulaufenden
Bereich der Bezug zum Außenraum verstärkt: Sonne, Blätter, Regen
und vor allem Schnee – die Gegend um Buffalo ist bekannt für starke
Schneefälle von drei bis vier Metern – können bis in die Tiefe des
Trichters einfallen. Damit wird Innen und Außen – durch das Dach
zunächst voneinander getrennt – wieder verbunden.
Gallerie
Freiform-Konstruktion mit besonderer Geometrie
Die Geometrie des Glasdachs entstand mithilfe parametrischer
Planungstools. Der Einsatz mehrachsig gebogener Isoliergläser kam
aus zwei Gründen nicht infrage: Die Umsetzung wäre einerseits zu
teuer gewesen, andererseits hätten die gekrümmten Elemente zu
verzerrten Spiegelungen im Innenraum geführt. Um die organische
Wölbung des Daches mit planen Verglasungen umsetzen zu können, kam
eine besondere Struktur zum Einsatz: Sie entwickelt sich von einer
rein triangulierten Geometrie an den Rändern zu einer Kombination
aus Dreiecken und Hexagonen zur Trichterstütze hin. Dabei formieren
sich jeweils sechs Dreiecke um eine kleine, sechseckige Fläche. Die
sechs Dreiecke wiederum formen zusammen ein weiteres, größeres
Hexagon.
Im Querschnitt besteht die Dachstruktur aus zwei Ebenen, in
denen wechselnd spiegelnde und transparente Gläser eingesetzt sind.
Einige der Spiegel der äußeren Dachebene zeigen nach außen
und reflektieren einfallendes Sonnenlicht. Damit verringern sich
übermäßige Wärmeeinträge und daraus resultierend der
Kühlbedarf.
Gallerie
Spezielle Ausbildung der linienförmigen Lagerung
Während bei regulären Glasdachkonstruktionen angrenzende
Glasscheiben auf einem gemeinsamen Dichtprofil gelagert werden, war
dies bei Common Sky aufgrund der in der Aufsicht zueinander
versetzt angeordneten dreieckigen Gläser und deren
unterschiedlichen Neigungswinkeln nicht möglich. Stattdessen musste
jede Glasscheibe separat linienförmig gelagert werden. Dafür
konstruierten die Beteiligten ein projektspezifisches
Dichtungsprofil, das über den Schraubkanal gesteckt wird und
ausreichend Auflagertiefe für die Isolierverglasungen bietet. Eine
planerische Herausforderung bildeten dabei die sternförmigen Knoten
des Dachtragwerks.
Gallerie
Kein Glas gleicht dem anderen
Bedingt durch die Wölbung und die besondere konstruktive
Ausführung weisen alle 490 Isolierverglasungen unterschiedliche
Abmessungen auf und sind als Modellscheiben ausgebildet. Während die größte
Glasscheibe Abmessungen von rund 2,2 x 2,0 Metern aufweist, ist die
kleinste Scheibe nur in etwa so groß wie ein DIN A 4-Blatt. Zu den
Dachrändern hin und im Trichter wurden geometrisch bedingt nur
dreiecksförmige Gläser eingesetzt.
Die Neigungswinkel der Verglasungen variieren zwischen 1,4° und
101°, sodass im Dachtragwerk neben den Horizontalverglasungen auch
Vertikalverglasungen vorliegen. Eine weitere Besonderheit des
Projektes sind auch die statisch zu berücksichtigenden Belastungen.
Nicht zuletzt ist Buffalo für seine langen und schneereichen Winter
bekannt, sodass eine Flächenlast von 500 kg/m² angesetzt wurde.
Gallerie
Aufbau der Verbundsicherheitsgläser
Der Glasaufbau der zweifach-Isolierverglasungen besteht – innen
wie außen – aus Verbundsicherheitsglas mit 2 x 8 mm
Teilvorgespanntem Glas (TVG) und einem Scheibenzwischenraum von 20 mm mit statisch
wirksamer Randverbundausbildung (Structural Glazing). Der
Zwischenraum musste konstruktionsbedingt so groß sein, um die
Montage der Eindrehhalter zu ermöglichen. Diese wurden,
ebenso wie die Dichtungsprofile der Linienlagerung,
projektspezifisch als Sonderanfertigung entwickelt. Sie greifen in
die U-Profile im Randverbund ein und sichern die Verglasungen
gegenüber Windsogbeanspruchung. Die äußere der beiden
Verbundsicherheitsglasscheiben wird somit ausschließlich über die
Randverbundverklebung gehalten. Die Abdichtung des Glasfalzes
erfolgt über eine elastische Silikonfuge.
Komplexer Produktionsprozess
Die Tatsache, dass keine Verglasung einer anderen gleicht,
erforderte besondere Überlegungen zum Montageprozess. Die
Beteiligten kennzeichneten zunächst die Glasscheiben mit Aufklebern
und markierten die Standkante. Das Stahltragwerk wurde im Werk der
Hahner Technik in Deutschland gefertigt und in Gänze aufgebaut.
Anschließend wurde die Konstruktion wieder abgebaut, die
Einzelteile in Container verladen und in die Vereinigten Staaten
verschifft.
Bautafel
Architektur: Studio Other Spaces, Berlin Projektbeteiligte: Hahner Technik, Petersberg; ArtEngineering, Schorndorf (Tragwerksplanung und Montageplanung); Dr. Siebert und Partner Beratende Ingenieure, München (Tragwerksplanung und Beratung Verglasung); Bauherr/in: Buffalo AKG Art Museum Fertigstellung: 2023 Standort: 1285 Elmwood Ave, Buffalo, NY 14222, Vereinigte Staaten Bildnachweis: Marco Cappelletti; Studio Other Spaces
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