Museum Peter & Traudl Engelhornhaus in Mannheim
Gebogene Isolierverglasungen als Glas-Kunstwerk
Nach fast drei Jahren Bauzeit eröffnete im Januar 2023 das Museum Peter & Traudl Engelhornhaus der Reiss-Engelhorn-Museen (rem) in der Mannheimer Innenstadt. Vollständig getragen von der Brombeeren-Stiftung, widmet es sich schwerpunktmäßig den Themen Glaskunst und Fotografie. Den Bau ermöglicht hat das inzwischen verstorbene Unternehmer-Ehepaar, das seine ausgesuchte Glaskunst-Sammlung den Reiss-Engelhorn Museen vermacht und zudem zehn Millionen Euro für den Bau gestiftet hat.
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Erweiterung des Mannheimer Museumsquartiers
Der Grundstein für das Haus wurde im Juni 2019 im Beisein der im Herbst 2022 verstorbenen Stifterin Traudl Engelhorn-Vechiatto gelegt. Dem Entwurf vom ortsansässigen Büro motorplan Architekten BDA folgend, entstand der Neubau im Innenstadt-Quadrat C4 in direkter Nachbarschaft zum bereits 2011 eröffneten Museum Bassermannhaus für Musik und Kunst. Gemeinsam umfassen die beiden Museen – die über die Besucherbereiche miteinander verbunden sind – eine Ausstellungsfläche von insgesamt 2.500 Quadratmetern. Der repräsentative Haupteingang befindet sich an der bisherigen Toreinfahrt des Wohnhauses in C4, 12. Damit öffnen sich beide Museen prominent zum Toulonplatz und fügen sich harmonisch in das historisch gewachsene Museumsquartier mit dem frühklassizistischen Bau des Museums Zeughaus und dem 1988 entstandenen Museum Weltkulturen.
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Empfangen werden Besucher*innen im Inneren durch ein großzügiges, 10 Meter hohes Atrium mit Lichtdecke und Empore. Das Haus wartet im Erd- und ersten Obergeschoss mit großzügigen Ausstellungsräumen auf, in denen großformatige Objekte und raumgreifende Installationen Platz finden. Die Geschosse darüber behalten ihre ursprüngliche Nutzung als Wohnraum; Eigentümerin ist die Brombeeren-Stiftung, die damit weiterhin für ein sozialverträgliches Wohnen in Mannheims Mitte sorgt. Einen stadtklimatischen Beitrag leistet die Dachbegrünung mit bienenfreundlicher Bepflanzung.
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Kunstwerk: Glasfassade
Das Schwerpunktthema Glas setzt sich auch in der repräsentativen Glasfassade Richtung Toulonplatz fort: Die ursprüngliche, verputzte und in die Jahre gekommene Bestandsfassade wurde mit einer vorgesetzten hinterlüfteten Pfosten-Riegel-Fassade verkleidet. Die insgesamt 19 in der Gebäudeansicht sichtbaren Verglasungen sind mit je zwei Wölbungen, den sogenannten Bubbles, sphärisch gekrümmt ausgebildet. Durch die organische Geometrie der reflektierenden Elemente entstehen spezielle Licht- und Spiegeleffekte, die der Fassade einen dynamischen Charakter verleihen: Je nach Blickwinkel, Tages- oder Jahreszeit verändert sich Ansicht und Anmutung. Damit ist die Fassade zugleich das größte Glas-Kunstwerk der Sammlung.
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Anspruchsvoller Glasaufbau
Die maximalen Abmessungen (b x h) der Festverglasungen betragen ca. 1,4 m x 2,5 m. Trotz der Anordnung im Kaltbereich wurden die Verglasungen zur Erzielung der besonderen optischen Wirkung als 2-fach Isolierverglasungen ausgebildet. Der Glasaufbau besteht aus 2 × 8 mm thermisch gebogenem Floatglas (Weißglas) mit einer 2,28 mm starken Zwischenschicht aus PVB, einem Scheibenzwischenraum von 18 mm mit statisch wirksamer Randverbundverklebung und 6 mm thermisch gebogenem Floatglas (Weißglas).
Während auf Position 4 eine flächige Lasergravur auf die Glasoberfläche aufgebracht ist, ist Position 5 mit einer Chrombeschichtung veredelt. Die Geometrie der Verglasungen wurde im Schwerkraftbiegeverfahren hergestellt: Bei diesem Prozess wird die zunächst ebene Verglasung auf eine vorab erstellte Biegeform (Negativform) gelegt und in einem speziellen Ofen erhitzt. Nach Erreichen des Erweichungsbereiches sinkt der Glasrohling infolge der Schwerkraft in die Biegeform ein. Der Biegevorgang schließt mit einer kontrollierten Abkühlphase ab, sodass thermische Eigenspannungen im Glas minimiert werden. Alle Isolierverglasungen wurden mit identischer Biegegeometrie hergestellt. Der maximale Stich beträgt ca. 45 mm. Für Variation sorgt die jeweils um 180° verdrehte Anordnung der Elemente. Die ebenen, seitlichen Verglasungen des Haupteingangs sind mit identischer Oberflächenveredelung hergestellt. Auch die Stärken der Glasschichten sind identisch zur gebogenen Hauptfassade, bestehen jedoch aus heißgelagertem ESG.
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Statisch wirksame Verklebung für ungestörte Fassadenansicht
In der Fassadenkonstruktion sind die Vertikalverglasungen über eine Structural Glazing Verklebung befestigt. Bei diesem konstruktiven System wird das Eigengewicht des Glases über mechanische Glasträger entlang der unteren horizontalen Glaskante abgetragen. Gegenüber Windsogbeanspruchung erfolgt der Lastabtrag hingegen ohne sichtbare Anpressleisten ausschließlich über die statisch wirksame Randverbundverklebung der Isoliergläser und den darin befestigten Eindrehhaltern – die in der endgültigen Einbausituation optisch verschwinden. Damit ist die Tragstruktur außen nicht sichtbar, sodass im Ergebnis eine äußerst glatte, ungestörte Fassadenansicht entsteht. Zum Schutz gegenüber atmosphärischer Beanspruchung ist der Glasfalz mittels Wetterversiegelung flächenbündig mit der Glasebene verschlossen.
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Bauaufsichtlich ungeregelte Eigenschaften
Die
Fassadenkonstruktion weist die folgenden baurechtlich ungeregelten
Eigenschaften auf, sodass basierend auf einer
Sachverständigenbewertung eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) bzw.
eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBg) erforderlich war:
- Lagerung der äußeren Glasscheiben der festverglasten Isolierverglasungen über eine statisch wirksame Ausbildung des Randverbundes mittels Structural Glazing-Verklebung ohne mechanische Nothalter als Typ II Verklebung nach ETAG 002-1: Gestützte und ungestützte Systeme / Leitlinie für die Europäische Technische Zulassung für Geklebte Glaskonstruktionen
- Sphärische Formgebung der Verglasungen und Weiterverarbeitung
dieser zu Verbundsicherheitsglas nach DIN EN 14449: Glas im
Bauwesen - Verbundglas und
Verbund-Sicherheitsglas
- Flächige Oberflächenlasergravur als Abweichung zu DIN EN
572: Glas im Bauwesen - Basiserzeugnisse aus
Kalk-Natronsilicatglas
Im Rahmen der statischen Nachweisführung der Isolierverglasung
musste die Biegeform aufgrund der geometrischen Versteifung
berücksichtigt werden; insbesondere gegenüber den für
Isolierverglasungen typischen Klimalasten wurde dieser Effekt
bemessungsrelevant. Darüber hinaus mussten die besonderen
thermischen Bedingungen im Winter aufgrund der Anordnung im
Kaltbereich durch einen zusätzlichen Temperaturzuschlag
berücksichtigt werden.
Bautafel
Architektur: motorplan Architekten BDA, Mannheim
Projektbeteiligte: Glasbau Pritz, Engelskirchen (Fassadenkonstruktion); Schütz Goldschmidt Schneider, Heusenstamm (Tragwerksplanung und sachverständige Bewertung/Beratung Fassade); Finiglas Veredelung, Dülmen (Glasveredelung); Interpane Glas Industrie (Basisglas und Beschichtung); Isophon Glas, Hann. Münden (Laserung Glasoberfläche); Raico Bautechnik, Pfaffenhausen (Fassadensystem)
Bauherr/in: Brombeeren-Stiftung, Mannheim
Fertigstellung: 2023
Standort: C4, 12, 68159 Mannheim
Bildnachweis: Glasbau Pritz, Engelskirchen
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