Elbphilharmonie in Hamburg
1.100 unterschiedliche Glaselemente
Es begann mit einer gewellten Linie, die Jacques Herzog Ende 2001 auf den alten Kaispeicher A in der werdenden Hafencity skizzierte, und mündete in nichts Geringerem als einem neuen Wahrzeichen der Stadt Hamburg. Was in den Jahren nach der Planvorstellung für die Elbphilharmonie von den Architekten Herzog und de Meuron im Juni 2003 folgte, ist gemeinhin bekannt: Zwistigkeiten unter den Projektbeteiligten, massive Bauverzögerungen, sogar ein Baustopp und eine Kostenexplosion von anfänglich veranschlagten 77 auf 789 Millionen Euro. Doch bereits seit der Bauübergabe im Oktober 2016, spätestens aber seit der Eröffnung im Januar 2017 scheint all dies in weite Ferne gerückt. Vielmehr legen die überschwänglichen Reaktionen von Medien und Öffentlichkeit nahe, dass die Elbphilharmonie tatsächlich zum Wahrzeichen taugt.
Gallerie
Das insgesamt 26-geschossige Bauwerk in prominenter Lage nahe
den Landungsbrücken auf der westlichen Spitze der Elbinsel
Grasbrook setzt sich aus zwei Teilen zusammen: dem acht Stockwerke
umfassenden, backsteinernen Kaispeicher aus dem Jahre 1966 und
einem gläsernen Aufbau mit wellenförmigem Dach. Zwischen beiden
befindet sich eine breite Fuge, die sogenannte Plaza, die in 37
Meter Höhe einen 360-Grad-Panoramablick über den Hafen und die
Stadt gewährt und mit kostenlosen Tickets zugänglich ist.
Der Glaskörper umfasst einen großen Konzertsaal mit 2.100 Plätzen,
einen kleineren für 550 Personen, ein Viersternehotel in der 9. bis
20. Etage im Ostteil des Gebäudes und 45 Eigentumswohnungen im
elbseitig gelegenen Westteil. Der historische Speichersockel
beherbergt ein Parkhaus sowie die Wellness- und Konferenzräume des
Hotels, einen musikpädagogischen Bereich und nicht zuletzt den
dritten Saal, das Kaistudio 1, für ca. 170 Personen.
Der alte Speicher, der früher der Lagerung von Kakao, Tee und
Tabak diente und vollständig entkernt wurde, hat einen dem
Baugrundstück folgenden keilförmigen Grundriss, den auch die
Kubatur des kristallenen Aufbaus aufnimmt. Damit ist der Baukörper
im Osten 68 Meter breit, im Westen nur 22 Meter. Vom an der
Ostseite gelegenen Eingang im Erdgeschoss führt eine 82 Meter lange
Rolltreppe hinauf zu einem Aussichtsraum unterhalb der Plaza. Diese
Tube genannte Auffahrt ist leicht konvex gebogen, sodass ihr
Ende erst ab dem Scheitelpunkt sichtbar wird. Zusätzlich stehen
weitere 29 Aufzugsanlagen sowie elf Treppenhäuser für die
Erschließung des Hauses zur Verfügung.
Das Herzstück der Elbphilharmonie ist der Große Saal, an den
bezüglich Akustik und Komfort höchste Ansprüche gestellt wurden.
Für ein optimales Klangerlebnis soll die sogenannte Weiße
Haut sorgen – 10.000 Gipsfaserplatten, die basierend auf
3-D-Berechnungen millimetergenau mit unterschiedlichen
Oberflächenstrukturen gefräst wurden. Wand- und Deckenflächen gehen
dabei optisch ineinander über und erzeugen eine lebendige, fast
organisch anmutende Wirkung. Das Orchester befindet sich in der
Mitte des Saals und ist allseitig von terrassenartigen
Zuschauerrängen umgeben. Aus Schallschutzgründen wurde der 12.500
Tonnen schwere Saal vom Rest des Gebäudes entkoppelt.
Glas
Die Glashülle lässt den Bau abhängig von Tages- und Jahreszeit
immer wieder anders aussehen – von leuchtend Blau über Tiefgrau bis
zu Sonnenuntergangsrosa reicht das Farbspektrum der spiegelnden
Fassade. An der Kaispitze schwingt sie sich bis zu 110 Metern auf,
der tiefste Punkt liegt etwa 30 Meter niedriger. Konzipiert wurde
sie als einschalige Glasfassade in Elementbauweise. Für die Planung
bedeutsam war die Möglichkeit zur natürlichen Belüftung der Räume.
Insgesamt wurden 1.100 Gläser auf einer Fläche von etwa 21.800
Quadratmetern verbaut. Zur Ausführung kamen dabei je nach
Einsatzort verschiedene Arten.
Auf der Plaza sind wellenförmige, bis zu sechs Meter hohe, gläserne
Windschotts eingesetzt. Die 2,70 Meter breiten Scheiben wiegen rund
1.000 Kilogramm und sind zum Teil als Öffnungsflügel ausgebildet.
Es handelt sich um 24 mm starke VSG-Scheiben bestehend aus zwei 12
mm dicken Floatglasscheiben und einer PVB-Folie.
Die Gläser der Hauptfassade sind zwischen 3,00 und 4,00 Meter breit
und über 3,00 Meter hoch, im Foyerbereich sogar bis zu 5,00 Meter;
es gibt plane, aber auch konkav und konvex gewölbte. Sie wurden mit
unzähligen basaltgrauen Punkten und reflektierenden Chrompunkten
bedruckt, die sowohl als Gestaltungsmittel als auch dem Sicht- und
Sonnenschutz dienen. Durch die Bedruckung können 25 Prozent der
Wärme reflektiert werden. Außerdem sind die Gläser dadurch auch für
die Radare der Schiffe erkennbar. Die Dichte und Anordnung des
Rasters wurde mittels Computer abhängig von der dahinter liegenden
Raumnutzung berechnet. Jede Scheibe ist somit ein Unikat. Eine
Herausforderung bestand darin, dass der Aufdruck den hohen
Temperaturen von bis zu 600 Grad standhielt, die für das Verformen
der Scheiben notwendig waren. In den Wölbungen sind ovale
Öffnungsflügel integriert. Die flachen Scheiben sind laminiert, d.
h. sie wurden unter Druck zu Doppelscheiben verbunden, dann zu
vierfachem VSG zusammengefasst. Die Glaselemente wiegen bis
zu 1,2 Tonnen und sollen Orkanböen und Windgeschwindigkeiten von
bis zu 150 km/h oder sintflutartigen Regen aushalten. Ohne
Bedruckung haben die Scheiben einen U-Wert von 0,33
W/m²K.
Neben der aufschwingenden Silhouette sind speziell angefertigte Öffnungen innerhalb der Glasebene prägend für den Neubau. Es handelt sich dabei um unterschiedlich große Rechteckelemente aus GFK, Stahl und sphärisch gebogenem Glas, mit u-förmigen Ausschnitten, die an Stimmgabeln erinnern sollen. Sie fungieren als eine Art Loggia und sind knapp 100 mal im Bereich von Konzertfoyer und Wohnungen über die gesamte Glashaut verteilt. Das größte Exemplar dieser Art misst 6,45 x 5,00 Meter und wiegt rund zwei Tonnen.
An der Nord- und Südseite ist jeweils ein weiteres Sonderelement aus Stahl und weißem GFK montiert, wie ein Minischalentragwerk bricht es über der Plaza die Fassade auf und ermöglicht den Besuchern einen geschützten Außenraum (siehe Abb. 4).
Bautafel
Architekten: Herzog & de Meuron, Basel
Projektbeteiligte: Höhler + Partner Architekten und Ingenieure, Hamburg; Hochtief Solutions, Essen (Bauunternehmer); Josef Gartner, Gundelfingen (Fassade, Glaselemente); R+R Fuchs, München (Fassadenplanung); Interpane, Lauenförde (Glasveredler); Guardian Flachglas, Thalheim (Basisglas und Sonnenschutzbeschichtung); BGT Bischof Glastechnik, Bretten (Bedruckung)
Bauherr: Freie und Hansestadt Hamburg vertreten durch die ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft
Fertigstellung: Oktober 2016
Standort: Platz der Deutschen Einheit 1, 20457 Hamburg
Bildnachweis: Thies Rätzke, Iwan Baan, Michael Zapf, Maxim Schulz, Sophie Wolter, Oliver Heissner
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