Bibliothek und Akademie Utopia in Aalst
Backsteindialog über hundert Jahre hinweg
Utopia liegt im belgischen Aalst — zumindest in Form eines Kulturbaus, bestehend aus einer Bibliothek und einer Akademie der darstellenden Künste. Die Namensgebung ist eine Reminiszenz an den Aalster Buchdrucker Dirk Martens, der im 16. Jahrhundert als erster das bekannte sozialutopische Werk von Thomas Morus vervielfältigt haben soll. Im historischen Ortskern fügen sich am alten Getreidemarkt ein Erweiterungsbau und ein sanierter Bestandsbau zu einem Gebäude mit 8.309 Quadratmeter Bruttogrundfläche. Der bestehenden sogenannten Pupillenschool wurde ein Neubau unmittelbar angefügt; das Konzept stammt vom Büro Kaan Architecten. Einst eine Militärschule, werden hier heute Studierende in den Bereichen Musik, Theater und Tanz unterrichtet.
Gallerie
Klare Kanten
Bei dem Bestandsgebäude handelt es sich um eine zweigeschossige Eckbebauung aus dem Jahr 1880, die durch roten Backstein, Satteldach und die für Flandern typischen Staffelgiebel charakterisiert ist. Der dreigeschossige Erweiterungsbau mit Klinkerfassade schließt direkt an die West- und Südfassaden des Bestands an; sie verzahnen sich gewissermaßen. Durch seine klare, kantige Form und das Flachdach ist er auf den ersten Blick als zeitgemäßer Baukörper zu erkennen. Gleichzeitig fügt er sich dezent in die bestehende Struktur ein und schafft neue räumliche Qualitäten entlang der ihn flankierenden Straßen. Seine Traufhöhe ist dem Altbau angepasst.
Gallerie
Auch in der Materialität der Fassaden wird der Bezug zum
historischen Gebäude gesucht: Der Neubau ist in roten Backstein
gehüllt, der sich jedoch in Form eines Läuferverbands mit einem
dunkleren Farbton vom rostroten Kreuzverband des Bestands absetzt.
Die langen schmalen Fassadenziegel schaffen einen horizontalen
Fassadeneindruck und kreieren einen Kontrapunkt zur vertikalen
Strukturierung der Altbaufassade.
Gallerie
Großzügige, unregelmäßig verteilte und zum Teil geschossübergreifende Glaselemente verschiedener Größe ermöglichen Einblicke in das Gebäudeinnere und Aussichten auf das städtische Treiben. An der Ostseite können Flanierende beispielsweise von außen einen Blick auf ein 11,50 Meter hohes Bücherregal werfen, das von den Stadtbewohner*innen bestückt wird.
Offener Lesesaal im Neubau
Der Haupteingang befindet sich an der Südseite und führt, vorbei
an Lesecafé und Auditorium, in den ausgedehnten Lesesaal der
Bibliothek, der das Zentrum des Erweiterungsgebäudes bildet.
Oberlichter versorgen die Halle mit Tageslicht. Die historische
Fassade der Pupillenschool bildet durch den Anbau nun eine
Innenwand und wird kontrastierend zum vorherrschenden hellen
Sichtbeton in Szene gesetzt. Massive Betondecken ragen als Galerien
in den Raum hinein. Sie erwecken trotz ihrer Dicke einen
schwebenden Eindruck und scheinen lediglich durch die raumhohen,
eichenholzverkleideten Bücherregale getragen zu werden. Im
Deckenbereich und an den Unterseiten der Galerien befindet sich
eine Steinwolledämmung, verborgen hinter einer Verkleidung aus
Streckmetall. Diese soll die Akustik des von schallharten
Oberflächen – Sichtbeton, Ziegel und weiß verputzte Wände –
geprägten Innenraums verbessern.
Gallerie
Musizieren und Tanzen im Altbau
Im Altbau befindet sich der Großteil der Unterrichts- und Trainingsräume sowie die Büros der Akademie für darstellende Künste. Dazu zählt auch ein Übungsraum für Percussionisten. Das ungestörte Nebeneinander der unterschiedlichen Nutzungen – dem konzentrierten Lesen in der Bibliothek einerseits und dem Musizieren, Tanzen und Theaterspielen in der Akademie andererseits – wurde durch eine sorgsame Akustikplanung ermöglicht. An den Decken der Lesebereiche, der Musik- und Theaterräume, aber auch der Klassenzimmer und der Proberäume für Schlagzeug sowie des Auditoriums im Neubau wurde ein Akustikputz aufgetragen. Der akustisch wirksame Spritzputz auf Zellulosebasis macht eine fugenlose Decke möglich. Sowohl im Alt- als auch im Neubau wurden die Räume der Akademie zusätzlich mit Samtvorhängen zur Schallabsorption ausgestattet.-ik
Bautafel
Architekten: KAAN Architecten, Rotterdam und São Paulo
Projektbeteiligte: UTIL Struktuurstudies, Schaarbeek (Tragwerk); Studiebureau R. Boydens NV, Brugge Sint-Michiels (TGA und Nachhaltigkeit); ABT, Delft (Brandschutz); Tractebel Engineering, Brüssel (Akustik); wienerberger, Hannover (Ziegelhersteller, Produkt: Terca-Sortiment)
Bauherr: Autonoom Gemeentebedrijf Stadsontwikkeling Aalst (AGSA)
Fertigstellung: 2018
Standort: Utopia 1, 9300 Aalst, Belgien
Bildnachweis: © Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti, Mailand
Fachwissen zum Thema
Wienerberger | Kontakt 0511 / 610 70-0 | www.wienerberger.de