Museumsdepot Boijmans Van Beuningen in Rotterdam
Sphärisch gekrümmte und verspiegelte Fassade
Archive liegen oft im Dunkeln und werden der Öffentlichkeit in versteckten Räumen oder bunkerartigen Kellern vorenthalten. So verhält es sich auch mit der Sammlung des führenden Rotterdamer Kunstmuseums Boijmans Van Beuningen mit 151.000 Werken, die bislang verteilt an mehreren Orten der Stadt gelagert wurde – unter anderem auch im Keller des Museums selbst. Da Rotterdam aber unterhalb des Meeresspiegels liegt, ist es aus nachvollziehbaren Gründen nicht ratsam, unschätzbare Kunstwerke unterirdisch zu lagern. Daher wurde 2013 ein Designwettbewerb für einen Depot-Neubau ausgeschrieben, den das Architekturbüro MVRDV mit seinem Entwurf für sich gewinnen konnte.
Gallerie
Das äußere Erscheinungsbild des Depots ist durch eine auffällige, sphärisch gekrümmte, verspiegelte Ganzglasfassade geprägt. Diese besteht aus insgesamt 1.664 Glaspaneelen, die wie die Geometrie des Gebäudes ebenfalls doppelt gekrümmt sind. Daraus resultiert eine glatte Schalenform mit einer homogenen Spiegeloberfläche.
Kleine Grundfläche, große Nutzfläche
Der Hintergrund für diesen außergewöhnlichen Entwurf leitet sich aus der sozialen Wirkung sowie dem städtebaulichen Kontext des Gebäudes ab: Das Depot liegt in direkter Nachbarschaft zum Boijmans-Museum am nördlichen Ende des Rotterdamer Museumsparks – einem 1994 vom Architekturbüro OMA und dem Landschaftsarchitekten Yves Brunier entworfenen Freiraum, der nicht nur vom Boijmans-Museum, sondern von weiteren architektonischen Blickfängen wie der Kunsthal, dem Het Nieuw Instituut, dem Naturhistorischen Museum Rotterdam, dem Chabot Museum und der Villa Sonneveld umgeben ist.
Der Vorschlag, dem öffentlichen Museumspark Platz wegzunehmen, um ihn durch ein Gebäude von der Größe des Depots zu ersetzen, war von Beginn an umstritten. Daraus ergab sich die besondere Form des Depots: Über eine Höhe von 36,5 Metern verändert sich der Durchmesser des runden, schalenförmigen Volumens von 40 auf 60 Meter, sodass auf einer möglichst kleinen Grundfläche ausreichend Platz für die geforderte Nutzfläche entstehen konnte. Dadurch konnten wichtige Wege durch den Park erhalten werden; gleichzeitig wurde durch die Form die Ausbildung einer Rückseite vermieden. Die Parkfläche, die das Gebäude nun einnimmt, wird nun durch den Dachgarten ersetzt. Der Spiegeleffekt sorgt indes dafür, dass das Depot die Bedeutung seiner Umgebung gegenüber seiner eigenen Präsenz im Museumspark hervorhebt.
Sichere Lagerung und ansprechende Präsentation
Der Entwurf von MVRDV bietet sichere Archivierungsmöglichkeiten und greift gleichzeitig auf die Prinzipien der offenen Lagerung zurück, sodass Gäste insgesamt 70.000 Kunstwerke betrachten können, die nicht in der offiziellen Ausstellung des Museums präsentiert werden. Das Gebäudekonzept bietet zudem die Möglichkeit, die Forschungs-, Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten zu beobachten, die üblicherweise hinter den Kulissen und geschützt vor den Blicken der Öffentlichkeit stattfinden.
Das Erdgeschoss empfängt die Besucherinnen und Besucher zunächst mit einem öffentlichen Lobbybereich mit anschließendem Atrium, das durch kreuzweise verlaufende Treppen durchdrungen wird. Über diese Treppen gelangen Gäste durch die Ausstellung bis nach oben zum Dach, wo eine Pavillonstruktur aus Stahl und Glas mit kreuzförmigem Grundriss den krönenden Abschluss bildet und mit einem Restaurant aufwartet. Insgesamt 75 Birken umgeben den Pavillon und sorgen für eine behagliche Gartenatmosphäre inmitten der Stadt.
Komplexität der Glaspaneele
Die Suche nach einem geeigneten Glasproduzenten führte die Planenden zu einem chinesischen Hersteller, der den Biegeprozess, den Beschichtungsprozess für die Verspiegelung sowie das Hinzufügen eines Farbverlaufs im Bereich der Fenster beherrschte.
Die Produktion der Glasscheiben erfolgte im Schwerkraftbiegeverfahren, nachdem zunächst für den Zuschnitt die Abwicklungsfläche aus dem 3D-Modell berechnet wurde und die spiegelnde Beschichtung aufgebracht wurde. Die Verglasungen bestehen aus Verbundsicherheitsglas (2 x 8 mm Floatglas), sodass der thermische Formgebungsprozess paarweise durchgeführt wurde. Die Spiegelbeschichtung ist jeweils der Zwischenschicht zugewandt. Durch einen kontrollierten Abkühlungsprozess wurde sichergestellt, dass kein unplanmäßiger Eigenspannungszustand aus der thermischen Behandlung im Glas resultiert. Nach der Formgebung wurden die Scheiben mit einer Zwischenschicht aus PVB (1,52 mm) laminiert.
Da es bislang keine Norm zu Toleranzvorgaben von thermisch gebogenen Gläsern gibt, wurden die Toleranzvorgaben aus dem Merkblatt des Bundesverbands Flachglas 009/2011 herangezogen, sodass die Maßtoleranzen auf ± 4 mm und eine Abweichung der Krümmung von ± 2 mm berücksichtigt wurden. Hierdurch werden Verzerrungen, welche insbesondere durch die Verspiegelung sichtbar werden, weitestgehend vermieden.
Montage der Glaspaneele
Die insgesamt 1664 Glaspaneele verteilen sich über die Höhe des Gebäudes auf 26 umlaufende Ringe, wobei jeder Ring aus 64 Paneelen besteht. Die Anzahl der Paneele je Ring war dabei eine Abwägung zwischen äußerer Wirkung – der Eindruck einer Discokugel sollte vermieden werden – und den Montagevorgaben.
Zwecks Montage der Glaspaneele wurde jedes Element in einen umlaufenden Adapterprofilrahmen aus schwarz eloxiertem Aluminium geklebt. Die Structural Glazing Verklebung ist dabei umlaufend 15 mm breit und lediglich entlang der unteren horizontalen Glaskanten zur Entwässerung unterbrochen. Über die Dicke der Verklebung können auch Toleranzen aus der thermischen Formgebung der Verglasung kompensiert werden. Bedingt durch baurechtliche Vorgaben der Stadt Rotterdam mussten auch mechanische Nothalter vorgesehen werden, welche je Glaspaneel aus 12 filigranen Klemmhaltern bestehen; je vier Klemmhalter sind entlang der horizontalen und zwei je vertikaler Glaskante angeordnet. Die Montage der Elemente erfolgte über Edelstahlkonsolen am Rohbau. Der hinterlüftete Fassadenzwischenraum ist mit Mineralwolle gedämmt, die aufgrund der dreidimensionalen Geometrie des Gebäudes mittels Laserzuschnitt präzise maßgefertigt wurde.
Sphärisch gekrümmte Isoliergläser für Fenster in Warmbereichen
Auch die Fenster und Türen des Depots sind einzigartig: Sie folgen der gleichen sphärischen Form wie der Rest der Fassade. Die Fensterverglasungen sind somit ebenfalls mit sphärisch gekrümmten Isoliergläsern verglast. Insgesamt wurden am Gebäude 186 sphärisch gekrümmte Glasscheiben verbaut. In den unteren Ebenen weisen diese Widerstandseigenschaften der Klasse RC4 auf. In den höheren Ebenen werden RC3 Verglasungen verwendet. Der Übergang zwischen der verspiegelten Kaltfassade und dem transparenten Teil der Warmfassade ist stufenweise ausgeführt.
Bautafel
Architektur: MVRDV, Rotterdam
Projektbeteiligte: Sorba Projects, Winterswijk (Fassadenkonstruktion); BAM Bouw en Techniek, Mastricht (Baunternehmen); IMd Raadgevend Ingenieurs, Rotterdam (Tragwerksplanung); Royal Haskoning, Amersfoort (TGA); ABT Consulting Engineers, Arnhem (Tragwerksplanung Fassade und Fassadenberatung); Peutz, Zoetermeer (Bauphysik)
Bauherr/in: Museum Boijmans Van Beuningen, De Verre Bergen Foundation, Municipality of Rotterdam
Fertigstellung: 2020
Eröffnung: Oktober 2021
Standort: Museumpark 24, 3015 CX Rotterdam, Niederlande
Bildnachweis: MVRDV, Rotterdam; Ossip van Duivenbode, Rotterdam; Rob Glastra, Schoonhoven
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