Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel
Gläserne Erweiterung mit transparentem Tragwerk
Ein neues öffentliches Museum gehört seit 2017 zum Brüsseler Europaviertel: Das Haus der Europäischen Geschichte ist das Ergebnis eines vom EU-Parlament ausgelobten Wettbewerbs. Entworfen und geplant wurde es von JSWD Architekten aus Köln in Zusammenarbeit mit Chaix & Morel et Associés aus Paris. Die Architekten haben ein in den 1930er-Jahren errichtetes Klinikum saniert und um einen gläsernen Aufsatz ergänzt. Auf 4.300 Quadratmetern Ausstellungsfläche können sich Besucher über die Historie Europas informieren und sich kritisch mit gegenwärtigen Fragen auseinandersetzen.
Gallerie
Unweit des Place Schuman, einem Kreisverkehr mit repräsentativen Bauwerken der Europäischen Union, ist das Maison de l’Histoire européenne Teil des mehr als zehn Hektar großen Leopold Parks. Dieser bildet als grüne Insel das Herz des sich stetig wandelnden Stadtteils. Der 1935 nach Plänen von Michel Polak errichtete Altbau wurde einst von George Eastman, dem Begründer von Kodak, gestiftet und als Zahnklinik für mittellose Kinder und Jugendliche genutzt.
Mit hellen Räumen aufgestockt
Der Zentralbau mit zwei Seitenflügeln fasste ursprünglich einen gen Nordwesten offenen Hof, den der gläserne Anbau nun gänzlich füllt. Er überragt den Bestand außerdem um drei Etagen und hebt sich durch seine Materialisierung klar von der originalgetreu wiederhergestellten Natursteinfassade ab.
Durch die Umgestaltung entstanden 4.000 Quadratmeter Raum für die Dauerausstellung, 800 Quadratmeter Fläche für Wechselausstellungen und ein großzügiger Veranstaltungsraum für rund 100 Personen. Von der Parkseite wird das Sockelgeschoss des Museums über einen Eingangsbereich mit Café und Shop erschlossen. Funktionsbereiche wie Empfang, Auditorium, Verwaltung und Ausstellungsräume sind um das zentrale Atrium mit Freitreppe angeordnet, dessen Glasdach eine Lichtfuge ausbildet. Die Ausstellungsräume befinden sich in asymmetrisch angeordneten, eingestellten Kuben, die von außen durch die Glasfassade ablesbar sind und einen starken Kontrast zur Symmetrie des Bestands bilden. Für die Fassaden- und Tragwerksplanung wurde die Ingenieure von Werner Sobek beauftragt.
Bedrucktes Glas als zweite Haut
Für unterschiedliche Anforderungen an die Belichtung in den Ausstellungsbereichen wurden sowohl opake als auch transparente Glaspaneele in der Fassade eingesetzt. An den Stellen, an denen opake Elemente verbaut wurden, ist der Abstand zwischen der äußeren Glasscheibe und der thermischen Hülle verhältnismäßig gering, während bei den transparenten Elementen der Abstand zwischen äußerer und innerer Glasfassade zwischen 1,60 und 5,60 Metern beträgt. Die geschlossenen Raumkörper hinter der differenzierten Glashülle, die als eine Art Vitrine konzipiert ist, erzeugen eine variierende Tiefenwirkung. Ein weißes Streifenmuster, als Siebdruck aufgebracht, filtert das einfallende Licht und sorgt für alternierende Schatteneffekte.
Die Luftschicht im unterschiedlich dimensionierten Fassadenzwischenraum dient auch als thermischer Puffer zwischen Außenluft und klimatisierter Ausstellungsfläche. Durch horizontale Fassadenöffnungen im Bereich der Geschossdecken und Dächer, verdeckt durch Metallpaneele, wird diese Zone belüftet.
Tragende Glasschwertfassade
Alle konstruktiven Glaselemente bestehen aus 12 mm dickem, mit SGP-Folie laminiertem ESG (Weißglas). Das Tragwerk der Glashülle besteht aus vertikalen und horizontalen Glasschwertern (Abb. 20). Mit einer Breite von 52 bis 80 mm spannen die konstruktiven Glaselemente je nach Position vertikal drei bis 14 Meter und horizontal 1,6 bis 5,6 Meter. Im Gegensatz zur starken Varianz in Spannweite und Breite, ist die Tiefe der Glasschwerter aus gestalterischen Gründen auf zwei Werte (350 mm bei unter zehn Metern und 500 mm bei zehn bis 14 Metern) beschränkt.
Dadurch, dass die konstruktiven Elemente aus Glas bestehen, sind die statischen Knotenpunkte besonders in den vier Eckbereichen äußerst komplex: Die 2 x 10 mm großen TVG-Elemente der Vertikalfassade sowie die Dachverglasung dienen der Aussteifung und bilden eine dreiseitig steife Ecke. Durch Kontakt der Glasscheiben untereinander werden Druckkräfte aufgenommen. Zugkräfte werden über Zugstäbe in einer horizontalen Fuge abgeleitet. Da Temperaturlastfälle und Auflagersetzungen zu zusätzlichen Spannungen in den Glaselementen führen können, wurde das statische Verhalten der Verbindungen, Elemente und Eckbereiche in Vorversuchen eingehend geprüft.
Glasverbund mit Stahl und Silikon
Um Glasschwerter und Glasscheiben miteinander verschrauben zu können, haben die Ingenieure eine Sonderlösung entwickelt. So wurden Edelstahlprofile und Glaselemente in der Vorfertigung mit Silikon verklebt. Langlöcher ermöglichen den Toleranzausgleich und stellen damit sicher, dass Windsoglasten die Klebeflächen nur senkrecht zur Fuge beanspruchen (Abb. 21). Über Edelstahlbolzen werden die horizontalen und vertikalen Elemente miteinander verbunden (Abb. 22). Um den direkten Kontakt von Glas und Stahl zu vermeiden, werden an diesen Stellen weiße Kunststoffhülsen eingesetzt. Hier bestehen die Glasschwerter jeweils aus sechs Scheiben, von denen drei im Knotenbereich durchgehen.
In den vier Eckbereichen kreuzen sich die horizontalen Glasschwerter (Abb. 23). Ein Schwert ist jeweils durchlaufend, während die anderen von links und rechts durch zwei Edelstahlbolzen und Edelstahllaschen biegesteif anschließen. Die Überkopfverglasung wird durch Stahlprofile und Zwischenschichten ausgesteift.
Bautafel
Architektur: JSWD Architekten, Köln; Chaix & Morel et Associés, Paris
Projektbeteiligte: Werner Sobek Ingenieure, Stuttgart (Fassadenplanung und Atriumtreppe); Acciona Producciones y Diseño, Sevilla (Ausstellungskonzept); TPF Engineering, Brüssel (Statik, Gebäudetechnik, Technische Bauleitung); Bureau d’études Tribu, Paris (Bauphysik); Socotec, Belgien (Brandschutz); SPRL Venac (Akustik)
Bauherrschaft: Europäisches Parlament, Brüssel
Standort: Rue Belliard 135, 1040 Brüssel-Etterbeek / Belgien
Fertigstellung: 2017
Bildnachweis: Christian Richters, Christa Lachenmaier, Christian Fabris, Didier Boy de la Tour, JSWD Architekten, Köln; Werner Sobek Ingenieure
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