Von Weinbergen ist in der Gegend um Schorndorf, vor den Toren
Stuttgarts, heute nichts mehr zu sehen. Sie verschwanden im frühen
20. Jahrhundert, als die Reblaus die Ernte der Weingüter
vernichtete. Übrig blieb die Alte Kelter am östlichen Ortsrand von
Miedelsbach. In dem bereits im 14. Jahrhundert errichteten Gebäude
war schon lange kein Saft mehr aus Trauben gepresst worden, als es
demontiert und wiederaufgebaut wurde. 2022 eröffnete in dem Gebäude
ein Schulungs- und Kulturzentrum nach Plänen von Sigrid
Hintersteiniger Architects.
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In den Wirtschaftswunderjahren übernahm Alfred Arnold die Alte
Kelter und richtete dort eine Fertigungsstätte für das
Mehrscheiben-Isolierglas, das er 1959 entwickelt hatte und sich als
Industriestandard etablierte. Nachdem die wachsende Produktion
verlagert worden war, wurde das Gebäude zwischenzeitlich als
Turnhalle genutzt. Dann diente es über viele Jahre einem örtlichen
Unternehmen als Lagerhaus. Ab 2014 stand das Fachwerkhaus mit
Krüppelwalmdach leer und verfiel zusehends.
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Zurück in Firmenhand
Die Firmengruppe Arnold Glas hat seit einigen Jahren ihren Sitz
im nahegelegenen Remshalden. Rund 1.000 Mitarbeiter*innen
beschäftigt der Glasveredler an acht Standorten. Als sich der 100.
Geburtstag Alfred Arnolds näherte, begannen sein Sohn Hans-Joachim
Arnold, einer der geschäftsführenden Gesellschafter des
Unternehmens, und seine beiden Brüder, sich für die Alte Kelter zu
interessieren. Sie wollten das zerfallende Fachwerkhaus in eine
Schulungsakademie für die Firma umbauen und es dadurch
wiederbeleben. Schließlich erwarben sie das denkmalgeschützte
Gebäude und das angrenzende Grundstück im Erbbaurecht. Ende
November 2020 folgte der Spatenstich.
Seit dem Wiederaufbau nutzt Arnold Glas die Alte Kelter –
mittlerweile Arnoldakademie getauft – für jährlich 20 bis 30
interne Firmenworkshops und Seminare. Zugleich soll sie den 2.100
Miedelsbacher*innen für Firmenfeiern, Hochzeiten, Konzerte,
Ausstellungen und andere offenstehen. So soll auch vermieden
werden, dass das Gebäude die meiste Zeit des Jahres über
leersteht.
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Sorgsamer Wiederaufbau
Wer die Alte Kelter heute sieht, vermutet wahrscheinlich, dass
es sich um einen Umbau handelt. Auf alten Fotos ist jedoch zu
erkennen, dass ursprünglich auch das Erdgeschoss als Holzfachwerk
errichtet worden war, obwohl das Gebäude zum Teil im ansteigenden
Gelände steht. Über die Zeit setzte die Feuchtigkeit des Erdreichs
dem Fachwerk zu.
Tatsächlich war der Zustand der Außenwände unter statischen und
baubiologischen Gesichtspunkten derart schlecht, dass es abgetragen
werden musste und somit zwangsläufig auch der noch tragfähige
Kehlbalkendachstuhl. Das Gebälk und das Fachwerk der Giebelwände
wurden demontiert, zwischengelagert, gereinigt und wiederaufgebaut.
Heute steht das historische Dachgeschoss auf neu errichteten
Betonwänden.
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Raumbox mit Aussicht
Ganz unversehrt blieb der Dachstuhl jedoch nicht. Was von außen
aussieht, wie eine lange, gläserne Gaube, ist in Wirklichkeit das
Obergeschoss einer Raumbox. Die Architektin entwarf sie, um
einerseits den hohen Raum und den Blick in den mächtigen,
historischen Dachstuhl freizuhalten. Andererseits fungiert die
Glaskonstruktion wie ein Dachfenster, das den Innenraum mit
gleichmäßigem Nordlicht versorgt.
Im aus Beton gegossenen Erdgeschoss der Box sind Sanitär-,
Technik- und Lagerräume untergebracht, im rundum verglasten
Obergeschoss – über eine innenliegende Treppe erreichbar – ein
Seminarraum und eine Lounge für Besprechungen. Damit die Glasbox
das Pfettendach auf so großer Breite durchbrechen konnte, waren
Eingriffe in die historische Konstruktion nötig. Mehrere
Deckenbalken wurden durchtrennt. Die Lücke wurde mit einer im
Betongeschoss der Box verankerten Stahlrahmen-Konstruktion
geschlossen.
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Beton: Außen Fachwerk, innen Dämmung
Obwohl völlig neu, wirkt die Sichtbetonfassade nicht ganz fremd.
Das mag daran liegen, dass die Außenseite der 16 Zentimeter dünnen
Betonwände Spuren des vormaligen Fachwerks zeigt. Für diesen Effekt
wurde eine Schalungsmatrize entwickelt, bei der sägeraue
Holzbretter, die das historische Fassadenbild nachbildeten, auf die
großflächigen Außenwandschaltafeln aufgebracht wurden.
Innenseitig wurden die Wände der Alten Kelter mit
Kalziumsilikatplatten gedämmt und anschließend verputzt. Auch der
neue Bodenbelag im Erdgeschoss erhielt eine an den Bestand
angelehnte Struktur. Dazu wurde der frisch eingebaute Sichtestrich
mit einer Riffelwalze durchzogen.
Bautafel
Architektur: Sigrid Hintersteiniger Architects, Stuttgart Projektbeteiligte: Mayer-Vorfelder Dinkelacker Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Sindelfingen (Tragwerksplanung); Bauberatung Brandschutz Fakesch, Biebesheim am Rhein (Brandschutzgutachten) Ingenieurbüro Stapf, Frankfurt am Main (HLS-Planung); Horstmann + Berger, Altensteig (Ingenieurbüro für Bauphysik); GEP Gebäudetechnik, Stephanskirchen (Elektroplanung); BFI Zeiser, Ellwangen (Büro für Ingenieurgeologie, Bodengrundgutachten); Käser Ingenieure, Fellbach (Ingenieurbüro für Vermessung); Kalis Innovation, Künzelsau (Bauausführung) Bauherr*in: Grundstücksverwaltung Arnold Fertigstellung: 2022 Standort: Bronnfeldstraße 34, 73614 Schorndorf Bildnachweis: Brigida González (Fotos); Sigrid Hintersteiniger Architects (Pläne)
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