Erweiterung Kasematten, Wiener Neustadt
Zurück in die Zukunft
Ein Bollwerk gegen Bedrohungen aus dem Osten sollte sie sein, die Planstadt 50 Kilometer östlich von Wien, die schon im 12. Jahrhundert gegründet wurde. Die sogenannte Nova Civitas wurde zunächst zur Neustadt eingedeutscht und später zur besseren Unterscheidung als Wiener Neustadt bezeichnet. Noch heute lassen Pläne des Zentrums klar die ursprünglich rechteckige Konzeption erkennen, von den damaligen Verteidigungsanlagen wie etwa der fünf Meter hohen Stadtmauer sind allerdings nur wenige Reste erhalten.
Gallerie
Anders sieht es bei den Kasematten aus, die im 16. Jahrhundert an der Südwestecke der Stadt ergänzt wurden. Die Gewölbekeller dienten ursprünglich in erster Linie der Einlagerung von Waffen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie mehrmals umgebaut und teilweise zerstört. Zuletzt war die denkmalgeschützte Anlage für die Öffentlichkeit gesperrt. Für die Niederösterreichische Landesausstellung 2019 wurden sie nach einem Entwurf von Bevk Perović Arhitekti aus Ljubliana instandgesetzt, zum Veranstaltungs- und Besucherzentrum umgebaut und um den Neubau einer Ausstellungshalle ergänzt.
Architektur mit Tiefgang
Der Entwurf der Architekten ging aus einem 2016 durchgeführten Architekturwettbewerb siegreich hervor – wohl auch, weil sich ihre Anbauten so weit zurücknehmen, dass die Fläche auf den Kasematten als Aussichtsterrasse den höchsten Punkt bildet. Zudem wählten sie eine Lösung, bei der Bestand und Neubauten integrativ zusammenwirken und räumlich ein neues Ganzes bilden. Gestalterisch lassen sich die Ergänzungen durch die Materialien Sichtbeton und perforiertes Aluminium jedoch klar als solche erkennen.
Ein Vorteil der Lösung des slowenischen Büros war auch, dass die archäologischen Ausgrabungen weitgehend parallel zum Bauprozess stattfinden konnten, um so die Eröffnung pünktlich zur Landesausstellung gewährleisten zu können. Die Kasematten befinden sich heute an der Hauptverbindungsachse zwischen Bahnhof und Innenstadt. Dorthin orientiert sich der Eingang des Besucherzentrums, der über eine Rampe auf das Bodenniveau der Anlage hinabführt.
Durch historische Schichten
Ein flaches, von außen formal reduziert wirkendes Bauwerk formt den neuen Zugang. Über der verglasten Eingangsebene scheint ein Sichtbetonquader zu schweben, der dem Gebäude Präsenz im Stadtraum verleiht. Während im denkmalgeschützten Bestand die Decken gewölbt sind, sind es in diesem neuen Vorbereich die Wände, die in geschwungenen Formen zu den Kasematten überleiten.
Dort wurde das Mauerwerk weiß gekalkt; die Technik wurde im neuen Betonboden oder oberhalb des historischen Bauwerks beziehungsweise unter der Aussichtsterrasse untergebracht. Ein Gang führt im Zickzack vom Bestand zum dahinterliegenden neuen Gebäudeteil, der Ausstellungshalle. Diese ist teilweise eingegraben, um die Gebäudehöhe möglichst gering halten zu können.
Die Hülle der „Neuen Galerie“ besteht aus teilweise perforierten Wellprofil-Aluminiumblechen, die Belichtung erfolgt von oben durch eine Stahlkonstruktion mit fünf in gleichen Abständen aufgesetzten Lichtboxen, die für blendfreies Licht im Inneren sorgen. Die Ausstellungshalle verfügt über einen separaten Zugang, über den man in den angrenzenden Park gelangt. Dort finden sich auch oberirdische Festungsteile der sogenannten Alten Bastei, in denen heute ein Cafe untergebracht ist.
Beton: helle Fassade mit feiner Zeichnung
Die Sichtbetonfassade des Besucherzentrums ist zweischalig mit Kerndämmung ausgeführt. Der hellgraue Beton zeigt außen wie innen eine glatte Oberfläche und ein regelmäßiges Schalungsbild. Zum Stadtraum hin lässt sich auf der Eingangsfassade eine feine Zeichnung erkennen, die an ein Bergpanorama erinnert bzw. die Form der angrenzenden Mauerreste nachzuempfinden scheint. Ein Werk des Zufalls – die Struktur ist den Eigenschaften des Materials, seiner Verarbeitung und den Umgebungsbedingungen zum Zeitpunkt des Betonierens geschuldet.
Sandgestrahlte Böden, wasserundurchlässige Wände
Für die Wände im Inneren des Eingangsbauwerks verwendete das Planungsteam eine industrielle Trägerschalung mit darauf aufgelegter nicht-saugender Schalhaut aus Birkensperrholzplatten mit faserarmierter Kunstharzbeschichtung. Der Pfad durch die Kasematten sowie der Boden in der Ausstellungshalle wurden ebenfalls in hellem Beton erstellt und abschließend sandgestrahlt.
Die Neue Galerie befindet sich in Teilen unter der Erde;
konstruiert wurde dieser Bauteil aus WU-Beton mit
einer Flächenabdichtung aus Bentonit (sogenannte Braune
Wanne). Darauf setzt die Stahlkonstruktion auf, die die
sheddachähnliche Silhouette formt. Innen wurden die Wände
weitgehend in glattem Sichtbeton ausgeführt. -chi
Bautafel
Architektur: Bevk Perović Arhitekti, Ljubljana (Team: Matija Bevk, Vasa J. Perović, Johannes Paar, Christophe Riss, Mitja Usenik, Blaz Gorican, Irene Salord Vila, Maša Kovač Šmajdek, Juan Miguel Hererro, Vid Tancer)
Projektbeteiligte: Fröhlich & Locher und Partner Ziviltechniker, Wien (Tragwerksplanung); Günter Schrittesser, Wien (Geschäftliche Oberleitung); Edelmueller | Architektur | Management Ziviltechniker (örtliche Bauaufsicht); Die Haustechniker, Jennersdorf (HLS-Planung); Hamp-Armbruster Bauphysik, Mitterndorf an der Fischa / Gramatneusiedl (Bauphysik); Norbert Rabl Ziviltechniker, Graz (Brandschutz);
Bauherrschaft: Landesausstellungs-, Planungs-, Errichtungs- und Organisationsgesellschaft, Wiener Neustadt
Standort: Bahngasse 27, 2700 Wiener Neustadt, Österreich
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: David Schreyer, Tirol
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