Zwischen den grünen Hügeln im Vorland von Allgäu und Bodensee
fließen zahlreiche kleine Flüsse und Bäche – einer von ihnen ist
der Flappach, der das Ravensburger Stadtzentrum gen Süden verlässt.
Hier befand sich einst eine der sechs örtlichen Papiermühlen,
nämlich die der Gebrüder Holbein, die einen Teil ihres Grundstücks
an den Maschinenbauer Bezner verkauften. Mittlerweile ist auch
seine Fabrik verschwunden und das Areal ist heute vor allem ein Ort
zum Wohnen – aber nicht nur: Bächlemeid Architekten Stadtplaner
knüpften sich gemeinsam mit der Pius Luib Zimmerei Schreinerei die
Werkhalle vor, in der heute Kulturveranstaltungen und kreative
Köpfe ihr Zuhause haben.
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Die Stadtverwaltung lobte einen Wettbewerb für das Bezner-Arela
aus, mit dem Ziel, dort Wohnraum zu herzustellen sowie Handel,
Gastronomie und Kulturbetriebe anzusiedeln. Ende 2014 erwarb die
Bauunternehmung Georg Reisch das rund 12.000 Quadratmeter große
Grundstück. Teil der Vertragsbedingungen war, dass die zu Reisch
gehörige Projektgesellschaft einen Teil der Gebäude abbricht und
rückbaut, eine Tiefgarage und eine zentrale Heizanlage errichtet
und gemeinschaftliche Freianlagen anlegt. Die Projektgesellschaft
taufte das Bezner-Areal außerdem in „Mühlenviertel“ um – ein
Hinweis auf die Mühlen am Flappach, der hier aus der Stadt
herausfließt.
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Zwischen Eigentumswohnungen und inklusiver
Werkstatt
Heute sind noch drei Gebäude aus Bezner-Zeiten auf dem Gelände
zu finden: der Bezner-Turm, ein langgestrecktes Ziegelsteingebäude
und die Werkhalle. Hinzu kamen fünf Neubauten, in denen sich die 54
von Reisch selbst vermarkteten Eigentumswohnungen
befinden.
Im Bezner-Turm – einst das Verwaltungsgebäude der Fabrik – sind
zwölf weitere Wohnungen durch eine Bauherrengemeinschaft
entstanden. Das Ziegelsteingebäude am Ostrand des Areals bezog die
Bruderhaus Diakonie. Sie richtete hier eine Werkstatt für 60
Menschen mit Behinderung, ein öffentliches, inklusives Café und
einen kleinen Laden ein, in dem ökologisch angebauter Kaffee, Tee,
Schokolade und Gewürze in den Regalen liegen.
Der Bezner-Turm ist womöglich auch das Erste, was für all jene
zu sehen ist, die vom Ravensburger Zentrum kommen. Neben dem hohen
Gebäude mit seinen hellen Klinkern und auffälligen Bogenfenstern
breitet sich heute ein Quartiersplatz aus. Junge Bäume und Büsche
wachsen hier, dahinter ist die Fassade der Werkhalle zu sehen –
unten grauer Beton, oben rote Ziegel.
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Von der Industrie- zur Kreativarbeit
Die 1901 errichtete Werkhalle nutzen heute Kulturschaffende und
andere kreative Köpfe. Sie texten, zeichnen, fotografieren,
beraten, gestalten Verpackungen oder planen Gebäude. Dazu stehen
ihnen insgesamt 14 Schreibtische an den Längsseiten des Gebäudes
zur Verfügung – einige davon im Erdgeschoss, die übrigen auf den
Galerien darüber. Hier oben sind auch ein langer Besprechungstisch
für zwölf Personen sowie in den Gebäudeecken ruhigere Lese- und
Arbeitsplätze zu finden. Zwei neue, nahezu raumhohe
Sichtbetonkörper an den Stirnseiten der Halle fassen Treppen,
Teeküchen, Sanitäranlagen und Lagerräume kompakt zusammen.
In der Mitte ist auf 200 Quadratmetern Fläche Platz für
Lesungen, Konzerte, Theater, Artistik und andere Veranstaltungen.
Der bis unter den First reichende Raum eignet sich sogar für große,
hängende Installationen und imposante Projektionen, die aus der
Werkhalle ein Kino machen. Im Sommer erstreckt sich das
abwechslungsreiche Kulturprogramm bis auf den Quartiersplatz: Dann
sind die breiten Tore geöffnet und die Stühle werden
rausgestellt.
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Bewahrende Maßnahmen
Die multifunktionale, robuste Struktur ist eine Kombination aus
Massiv- und Holzbau, alten und neuen Elementen. Im Zuge des
Rückbaus blieben lediglich die Nordfassade und die innere
Holzkonstruktion erhalten. Die charakteristische Ansicht – unten
Stampfbeton, oben Klinker, dazwischen Holzkastenfenster mit
unzähligen, filigran wirkenden Sprossen – konnte weitgehend
erhalten bleiben. Beton und Ziegel wurden nur leicht gereinigt,
ohne dass dabei Fehlstellen und Graffitis verschwanden. Ersetzt
wurde auch das alte Falttor. An seiner Stelle sitzt nun ein
flächenbündig beplanktes Natur-Aluminiumtor, das auch für den
Eingang auf der Südseite verwendet wurde. Zwar konnten die äußeren
Fensterelemente nicht erhalten werden, dafür jedoch die
baugleichen, inneren nach vorne gerückt. Raumseitig wurde eine
Stahlverglasung ergänzt.
Im Innenraum restaurierte ein Zimmereibetrieb den Dachstuhl des
leicht geneigten Satteldachs und die Stützen und Balken der
Galerien. Neu, jedoch dem Bestand nachempfunden, sind die
Tannendielenböden. Sichtbar blieben viele Spuren der früheren
Nutzung: alte Stromkästen, rostige Haken und handschriftliche
Kritzeleien auf den Balken. Scharfkantig und rau harmonieren die
mit Plantafeln geschalten Wände der neuen Sichtbetonkörper mit der
gräulichen, von Rissen durchzogenen Holzkonstruktion. Ganz glatt
wirkt der Anhydridestrich des Erdgeschossbodens, der zusammen mit
einer Fußbodenheizung auf der Betonbodenplatte des Bestands
aufgebracht wurde.
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Beton: Schicht für Schicht
Die charakteristische Platzfassade der Werkhalle ist die einzige
der vier Ansichten, die erhalten blieb. Das Erdgeschoss
kennzeichnen sieben Schichten Stampfbeton, darüber sind unverputzte
Klinker zu sehen. Die übrigen drei Seiten der Außenhülle waren
nicht mehr im Original erhalten, sondern wurden durch neue
Sichtbetonwände ersetzt. Schicht für Schicht mit liegender Schalung
betoniert, führen sie die Lagen des Stampfbetons fort. Verwendet
wurde Normbeton der Druckfestigkeitsklasse C25/30. Damit beträgt
die charakteristische Zylinder-Druckfestigkeit des Betons 25
N/mm2, die charakteristische Würfel-Druckfestigkeit 30
N/mm2. Der C25/30- Beton gehört der Überwachungsklasse 1
an und hat eine Zugfestigkeit von 2,6 N/mm2. Diese lässt
sich jedoch durch geeignete Armierung erhöhen.
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