Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen
Monolithisch in Leichtbeton
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert eine Mahn- und Gedenkstätte an die Menschen, die in der Isenschnibber Feldscheune ermordet wurden. Zum 75. Jahrestags des Massakers unweit von Gardelegen in Sachsen-Anhalt kam ein weiteres Gebäude hinzu. Den monolithischen Bau, in dem die dunkle Geschichte des Ortes erforscht und vermittelt wird, hat das Berliner Architekturbüro BHBVT entworfen, realisiert wurde er in Stahl- und Leichtbeton.
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Der Gedenkort erinnert an eines der vielen schrecklichen Ereignisse der letzten Monate des Zweiten Weltkriegs: Als im Sommer 1944 die alliierten Truppen heranrückten, begann die SS die Konzentrationslager systematisch zu räumen und die Insassen auf Todesmärsche zu schicken. So erging es auch jenen 1.016 Häftlingen aus dem KZ Hannover-Stöcken und mehreren Außenlagern des KZ Mittelbau-Dora, die im April 1945 nach Gardelegen verschleppt und nach einem Fußmarsch in der Isenschnibber Feldscheune eingesperrt und lebendig verbrannt wurden.
Gewachsenes Flächendenkmal
Nur einen Tag nach dem Massaker erreichten US-amerikanische Soldaten den Ort. Auf ihre Anordnung mussten die männlichen Einwohner aus Gardelegen die Opfer in Einzelgräbern bestatten und einen Ehrenfriedhof anlegen, der 1953 um eine Gedenkmauer aus den Resten der einstigen Scheune ergänzt wurde. In den 1960er- und 1970er-Jahren ergänzten weitere Elemente das Flächendenkmal, darunter ein Eingangsgebäude, eine Rednertribüne, ein Aufmarschplatz mit Paradeweg und eine Bronzeskulptur. Zwischen den beiden Enden des winkelförmigen Grundstücks, die Gedenkmauer und Ehrenfriedhof markieren, wurde eine Parklandschaft angelegt.
Neue Eingangssituation
Der längliche Neubau liegt am südlichen Rand des Grundstücks, entlang des historischen Weges, den die Opfer beschritten haben. In Fortführung der vorhandenen Hecke bildet das neue Besucherzentrum einen räumlichen Abschluss der Gedenkstätte zur Landschaft hin. Zugleich empfängt es an dieser Stelle, als Auftakt zur gesamten Anlage, die Besucherinnen und Besucher. Das über den Eingang auskragende Dach streckt sich ihnen kantig entgegen. Darüber hinaus gliedern nur ein verhältnismäßig kleines Fenster und ein Erker am südlichen Ende die Hauptansichten des Betonkörpers.
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Der Weg als Thema
Wer zu dem Ort gelangen möchte, muss – mit dem Auto von der Bundesstraße oder der Stadt kommend – einen kleinen Umweg auf sich nehmen, vorbei an Feldern und der Gedenkmauer, bevor der dreieckige Parkplatz im Norden des Grundstücks erreicht wird. Von hier aus laufen die Besucherinnen und Besucher auf den Eingang des Besucherzentrums zu und treten schließlich, im Schutze des Einschnitts, durch eine doppelflüglige Glastür in einen windfangartigen Raum. An ihn schließt rechts die Garderobe an, die ein 13 Meter breites Panoramafenster mit Ausblick auf die Gedenkmauer sowie Zugang zum Untergeschoss mit den Sanitär- und Lagerräumen bietet. Wird der Windfang geradeaus durchschritten, beginnt an einem Tresen aus dunkel lasierter Eiche ein ca. 40 Meter langer Wandelgang entlang der Ostwand. Dieser erschließt die zur großzügig verglasten Westfassade orientierten Bereiche für Forschung, Verwaltung, Sonderausstellungen und begleitende Bildungs- und Vermittlungsangebote, die hinter dunklen Wandpaneelen und Glastüren liegen. Der Korridor mündet in der Dauerausstellung am Südende des Gebäudes, wo der großformatige Erker den Blick auf die Stadt Gardelegen, dem Ausgangspunkt der Geschehnisse, richtet.
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Beton: Unbewehrt mit leichter Körnung
Die
minimalistische architektonische Gestaltung wird unter anderem
ermöglicht durch die monolithische Bauweise der Außenwände. Für die
71 cm dicken Bauteile wurde ein gefügedichter Leichtbeton der
Festigkeitsklasse LC12/13 verwendet. Als Körnung
kamen Blähton (Korngröße 4-8 mm) und Leichtsand (Korngröße 0-4 mm)
zum Einsatz. Beim Bindemittel handelte es sich um Hochofenzement
(CEM III/B), der unter anderem wegen seiner im Vergleich mit vielen
anderen Zementarten geringeren Hydratationswärmeentwicklung gewählt
wurde. Auf eine Bewehrung der Wände konnte verzichtet
werden.
Hingegen in Stahlbeton ausgeführt wurden die übrigen massiven Bauteile: Neben den Fundamenten und den Boden- und Deckenplatten gehören dazu auch die Wände des unterirdischen Gebäudeteils, wo sich die Sanitärräume, die Treppe und der Aufzug befinden. Einen Kontrast zum Sichtbeton bilden die möbelartigen Innenausbauten wie die Schließfächer und der Empfangstresen aus dunkel lasierter Eiche. Die Böden wurden hingegen, um mit den Betonoberflächen zu harmonieren, als geschliffener veredelter Estrich ausgeführt. Die schwere, monolithische Bauweise soll aufgrund ihrer Speichermasse ein ausgeglichenes Raumklima ermöglichen.
Im Vorfeld der Baumaßnahmen wurden einige Musterwände errichtet,
um verschiedene Blähtonkörnungen, Schalungskonfigurationen und
Schalhäute bei Außen- und Innenoberflächen zu testen. Für die
äußere Oberfläche wurde schließlich eine sägeraue Brettschalung
verwendet, um eine einheitliche Wirkung ohne sichtbare
Schalungsfugen zu erzielen. Zum Schutz der Fassade wurde der
Sichtbeton abschließend mit einer transparenten Grundierung
behandelt. Die inneren Wände sind weitgehend glatt geschalt und
dienen dadurch den Exponaten als neutraler Hintergrund. Zu diesen
gehören auch via Digitaldruckfolie direkt auf den Beton
aufgebrachte Bilder, Grafiken und Zitate.
Bautafel
Architektur: BHBVT, Berlin
Projektbeteiligte: Kocmoc, Leipzig (Ausstellungsgestaltung); Extern, Berlin (Landschaftsarchitektur); ifb frohloff staffa kühl ecker, Berlin (Tragwerksplanung); ITG Energieinstitut, Magdeburg (Bauphysik, Elektro); Blume, Briesen (Brandschutz); Liapor, Hallerndorf (Hersteller Leichte Gesteinskörnung); Lichttransfer, Berlin (Lichttechnik/Beleuchtung); Klöpfer Construction, Dallgow-Döberitz (Hersteller Schalhaut); Happy Beton, Gardelegen (Hersteller Beton); Bautech, Ribnitz-Damgarten (Baustoffprüfung); Profitec, Bad Kreuznach (Hersteller Grundierung); Arlon, Den Haag (Digitaldruckfolie)
Bauherr/in: Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt
Standort: An der Gedenkstätte 1, 39638 Hansestadt Gardelegen
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Andreas Matthes, Leipzig (Fotos); Werner Huthmacher, Berlin (Fotos); BHBVT, Berlin (Pläne)
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