Kulturwerk am See in Norderstedt
Insektenhotel in genoppter Kalksandsteinfassade
Die Stadt Norderstedt liegt nördlich vor den Toren von Hamburg,
gehört jedoch zum Bundesland Schleswig-Holstein. Auf dem Gelände
des ehemaligen Potenbergwerk wurde die Industrieruine des alten
Kalksandsteinwerks nach Plänen des Hamburger Büros Medium
Architekten saniert und zum Kulturzentrum umgebaut. Ein
Erweiterungsbau für die Musikschule Norderstedt komplettiert das
Gebäudeensemble. In dem neuen Kulturwerk am See werden
bisher über das Stadtgebiet verteilte kulturelle Einrichtungen an
einem Standort zusammengeführt. Während der Landesgartenschau 2011
diente das Foyer des Kulturwerks als Haupteingang zum
Gartenschaugelände.
Für die Architekten war es wichtig, neben einem Platz zum
kulturellen Austausch auch die frühere Geschichte des Kiesabbaus
und der Steinproduktion, die diesen Ort geprägt hat, sichtbar und
erlebbar zu halten. Die Grundrissorganisation ist an den früheren
Produktionsablauf in der Kalksandsteinfabrik angelehnt: Im Zentrum
des Kulturwerks steht die ehemalige Pressenhalle, die jetzt als
Veranstaltungssaal mit Platz für 400 bis 450 Zuschauer genutzt
wird. Die industrielle Vergangenheit ist in der räumlichen
Gestaltung bewusst spürbar gehalten, so wurden auch die Ebene der
Silos und die erhöhten Revisionsbalkone dem großen Saal
zugeschlagen.
Die ehemalige „Verschiebebahn“ des Kalksandsteinwerks wurde zum
Foyer umgestaltet, die frühere Funktion des Raumes bei der
Gestaltung berücksichtigt. So können analog zu der linearen
Bewegung der „Loren-Schiebebühne“, heute der Kassen- und Bar-Tresen
sowie die Sitzbänke im Foyer verschoben werden.
Gallerie
Ergänzend zum Veranstaltungszentrum wurde der Kubus der
Musikschule als Erweiterungsbau auf dem Gelände errichtet. Der
weiße Würfel der Musikschule soll dabei der ehemaligen Fabrik als
modernes Pendant gegenüberstehen und gemeinsam mit dem Kulturwerk
ein Ensemble aus Alt und Neu bilden. Das lang gestreckte Foyer
verbindet Kulturwerk und Musikschule miteinander. Im Kellergeschoss
des Kubus befinden sich die Musikprobenräume für elektrisch
verstärkte Musik sowie Proben- und Aufnahmeräume. Ein großer
Chorprobenraum ist im Erdgeschoss angeordnet. Das erste
Obergeschoss beherbergt insgesamt sechs Musikprobenräume der
Musikschule. Im zweiten Obergeschoss, mit Blick über den Stadtpark,
liegt der Ballettsaal.
Mauerwerk
„Zurück zur Natur“ – so könnte man die Ziele nennen, die unter
anderen bei der Sanierung und Umnutzung des Kalksandsteinwerkes
berücksichtigt wurden und dem Gebäude zu einer ungewöhnlichen
Ansicht mit teilweise genoppten Fassaden verholfen haben.
Als Schnittstelle zwischen dem Werk und der Natur fungiert die
Ostfassade. Ihr Wandaufbau ist ein zweischaliges Mauerwerk. In
Teilen konnte das vorhandene 24 cm starke Bestandsmauerwerk aus
Kalksandsteinen und in einigen Abschnitten auch die bestehende
Stahlbetonwand saniert und als tragendes Hintermauerwerk genutzt werden. Davor übernimmt
eine 14 cm starke Perimeterdämmschicht den nötigen Wärmeschutz. Die
Besonderheit der Ostfassade liegt in der Gestaltung des Mauerwerks.
Sie besteht aus einer Vormauerschale aus
Kalksandstein-Schallschutzsteinen im Format 2DF mit durchgehender
Lochung und weißen Fugen. Einige der Steine wurden aus der Fassade
herausgedreht und mit Blähtonkugeln befüllt, sodass sich mit der
Zeit eine unkontrollierte Begrünung der Fassade durch Flechten,
Farne, Moose einstellen wird. Die anderen gelochten Kalksandsteine
sind mit der Lochung nach vorne gedreht, sodass sich dort Bienen
und andere Insekten ansiedeln können. Dazwischen wurden in
Absprache mit dem Naturschutzbund Nisthilfen aus Faserzement im
selben Steinformat in das Mauerwerk integriert. Ganz bewusst soll
sich die Natur an dieser Stelle zurückholen können, was ihr hier
einst abgerungen wurde.
Die Westfassade ist ebenfalls als zweischalige Wand konzipiert. Vor
dem 24 cm starken Bestandsmauerwerk übernimmt eine 14 cm starke
Mineralwolledämmung den nötigen Wärmeschutz. Das Sichtmauerwerk
wurde aus Kalksandsteinen im Normalformat im märkischen Verband erstellt.
Auch die Nord- und Südfassade zeigen, welche Formenvielfalt mit dem
Baustoff Kalksandstein möglich ist. Analog zur Ost- und
Westfassade handelt es sich um eine zweischalige Wand mit einer 14
cm Kerndämmung. Die Vormauerschale besteht aus um
90° gedrehten Kalksandstein-Griffmuldensteinen im Format 2DF,
die im Läuferverband vermauert wurden. Die Fugen sind
weiß gehalten.
Der Neubau der Musikschule ist als Stahlbeton-Konstruktion mit
wandhohen Trägern und Betonstützen ausgeführt, im Obergeschoss
handelt es sich um eine Stahlkonstruktion. Die Fassade ist eine
Aluminium-Elementfassade und abgehängte Aluminium-Riegelfassade mit
einer Vormauerschale aus gelochtem Kalksandstein und
Profilglas-Ausfachung. Die Vorsatzschale wurde aus den gelochten
2DF-Kalksandsteinen erstellt und mit Maueranschlussanker aus
Edelstahl mit der tragenden Konstruktion verbunden.
Bautafel
Architekten: Medium Architekten Roloff Ruffing und Partner, Hamburg
Projektbeteiligte: Höhler + Partner Architekten und Ingenieure, Hamburg (Ausschreibung/ Bauleitung); Assmann Beraten und Planen, Hamburg (Tragwerksplanung/ Bauphysik); Transsolar, Stuttgart (Energietechnik/ Simulation); Frank Fleischhauer, Gettorf (Brandschutzberatung); Taubert und Ruhe, Halstenbek (Raumakustik); Annabau, Berlin (Landschaftsarchitektur); Emsländer Baustoffwerke, Haren (KS-Lochsteine Musikschule und KS-Griffmuldensteine Kulturwerk ); KS-Weser-Ems Kalksandsteinwerke, Ahlhorn (übrige Kalksandsteine Kulturwerk)
Bauherr: Stadt Norderstedt vertreten durch die Stadtpark Norderstedt Gesellschaft
Fertigstellung: 2012
Standort: Am Kulturwerk 1, 22844 Norderstedt
Bildnachweis: Medium Architekten Roloff Ruffing und Partner, Hamburg; Klaus Frahm, Arturimages
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