Kantonales Museum für bildende Kunst in Lausanne
Der bewegte Monolith
Das zehnte Gleis im Lausanner Bahnhof ist nicht mehr den Zügen vorbehalten, sondern der Kultur. „Plateforme 10“ nennt sich die neue Kulturmeile, die nach dem Masterplan des spanischen Büros Barozzi Veiga realisiert wird, das 2011 den internationalen Wettbewerb für sich entschied. Der Plan umfasst unter anderem drei Museumsneubauten – der erste von ihnen für das Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne (MCBA), das Kantonale Museum für bildende Kunst. Es wurde 2019 an der Südseite des langgestreckten Areals fertiggestellt.
Gallerie
Wo früher Lokremisen standen, ist ein öffentlicher Platz für Kunstinteressierte und Flaneure entstanden. Der lange Riegel des MCBA schmiegt sich an die Gleise und schützt ihn so vor Bahnlärm. An die industrielle Vergangenheit erinnert nur noch die zu den Gleisen auskragende Spolie mit Rundbogenfenster der historischen Hallenstirn. Ansonsten bleibt der dreigeschossige Bau ein mehrheitlich in sich geschlossener gewaltiger Quader: 145 Meter lang, 22 Meter hoch und 21 Meter tief. Das Rundbogenfenster an der südlichen Längsseite ist dort die einzige größere Öffnung. Zur Nordseite und damit zum Vorplatz hin öffnet sich die Fassade über vereinzelte, vertikale Fensteröffnungen zwischen haushohen Lamellen aus weißgrauen Klinkern, welche die lange Fassade rhythmisieren. Im Bereich der Treppe, die vom ersten in den zweiten Stock führt, wurden über zwei Geschosse reichende Verglasungen eingesetzt, die einen Blick durch die gesamte Gebäudetiefe ermöglichen. Ost- und Westseite sind fensterlos, der Umriss des alten Portals wurde jedoch in der Ostfassade als Vertiefung im Verblendmauerwerk nachgebildet.
Sakraler Eingang und zurückhaltende Ausstellungsräume
Ein auch an den Seiten geschlossenes, auskragendes und aus der
Mittelachse verschobenes Vordach an der Nordseite markiert den
Haupteingang und wirkt wie ein Tunnel, der die Besucher in die
Tiefe des Baukörpers zu ziehen scheint. Das Parterre ist als
Erweiterung des öffentlichen Platzes angelegt und beherbergt ein
Restaurant, ein Café und einen Museumsladen. Der Haupteingang führt
in ein Foyer, das die gesamte Höhe des Baus einnimmt und von einem
gewaltigen Oberlicht überdacht wird. Die Dachkonstruktion der
ehemaligen Lokremisenhalle interpretieren Barozzi Veiga als
Gewölbe
und erreichen damit eine fast sakrale Atmosphäre. Der Besucher
steigt über eine breite Treppe zum großen Rundbogenfenster auf, von
wo der Blick über die Gleise schweifen kann.
Schmale Treppenhäuser zu beiden Seiten führen die Kunstinteressierten nun weiter in die Ausstellungsräume. Auf allen Erschließungswegen ließen die Architekten hellen Terrazzo verlegen. Die Dauerausstellung befindet sich im Ostteil des Baus, während die Wechselausstellungen im Westteil untergebracht werden. Durch die getrennte Erschließung können die Besucher wahlweise beide oder nur eine der Sammlungen besuchen. Die Museumsräume mit hellem Parkettboden im ersten Obergeschoss sind als Enfilade arrangiert. Natürliches Licht erhellt das zweite Obergeschoss über Sheddächer und ein eingehängtes Deckenraster aus Metall. Dort befindet sich zudem eine 700 Quadratmeter großer flexibel nutzbarer Saal, der mit verschiebbaren Wänden unterteilt werden kann.
Mauerwerk: Bewegter Monolith
Aus der Ferne wirkt der Bau monolithisch, bei genauer Betrachtung aber scheint die Fassade belebt. Die vertikalen Lamellen brechen mit der Massivität des Gebäudes und enthüllen plötzlich bei frontaler Betrachtung die Fenster. Bei Dunkelheit dienen die Lamellen als Leinwand, auf der das künstliche Licht aus den Innenräumen zerstreut wird. Darüber hinaus zeigen die hellgrauen Klinkersteine brandbedingt unterschiedliche Färbungen und die Fugen wurden nachträglich aufgerauht, was die Fassaden auch haptisch interessanter macht. Mit der Materialwahl für die Gebäudehülle verweist der Museumsbau einerseits auf die Geschichte des Standorts und die dort zuvor erbauten Lokremisen, andererseits korrespondiert der helle Farbton auch mit den Natursteinbauten von Lausanne. Das Gebäude wurde als Stahlbetonbau umgesetzt und mit einer vorgemauerten Schale im Läuferverband umhüllt. Mit Riemchen der gleichen Klinker wurden auch die 84 Lamellen an der Nordfassade bekleidet, die jeweils aus vier vorfabrizierten Elementen bestehen und mit dem Rohbau verbunden sind.
Die Klinker mit den Maßen 11,5 x 24 x 7 cm wurden eigens für den Bau von den Planenden mit dem Hersteller zusammen ausgearbeitet und gestaltet. Das Team hat zudem bei der Entwicklung der Verankerungen und den präfabrizierten Elementen mitgearbeitet. -sh
Bautafel
Architekten: Barozzi Veiga, Barcelona
Projektbeteiligte: Pragma Partenaires, Lausanne (Projektmanager); Ingeni, Lausanne (Tragwerk); Röben Tonbaustoffe, Zetel (Ziegelsteine Fassade)
Bauherr: Kanton Waadt, Generaldirektion Gebäude und Kulturerbe
Fertigstellung: 2019
Standort: Place de la Gare 16, 1003 Lausanne
Bildnachweis: Simon Menges, Berlin
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