Mary’s Mantle Chapel auf dem Domberg in Freising
Kraftvolles architektonisches Statement aus wiederverwendeten Dachziegeln
Mit der Ausstellung 724. Männer. Macht. Geschichten. feierte das Diözesanmuseum in Freising im vergangenen Jahr sein 1.300-jähriges Bestehen. Es ist Christoph Kürzeders, Direktor des Diözesanmuseums, ein wichtiges Anliegen, starke weibliche Positionen zeitgenössischer Kunst auf den über ein Jahrtausend von Männern geprägten Domberg zu bringen. Zuletzt konnte er die New Yorker Künstlerin Kiki Smith gewinnen, die in München ein zweites Zuhause gefunden hat. Gemeinsam mit den Architekt*innen vom Büro Brückner & Brückner gestaltete sie eine kleine, bescheidene Kapelle in direkter Nachbarschaft des weiß strahlenden Diözesanmuseums: Mary’s Mantle Chapel, benannt nach der Schutzmantelmadonna. Den Standort auf der westlichen Kante des Plateaus wählte die Künstlerin selbst. Der Blick über die Freisinger Altstadt und hinüber nach Weihenstephan war ihr dabei wichtig.
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Der Domberg in Freising ist nicht nur topografisch, sondern auch kulturell ein herausragender Ort. Bereits 2022 öffnete Brückner & Brückner den 1870 als Knabenseminar errichteten und ab 1974 museal genutzten Bau des Diözesanmuseums an der Südkante des Dombergs nach allen Seiten und transformierte ihn zu einem Licht durchflutetem Ort (siehe auch Bauwerke zum Thema). Zwei Jahre später folgte nun Mary‘s Mantle Chapel – ein schlichter, dunkler Monolith mit einer Grundfläche von gerade einmal vier mal vier Metern. Und dennoch ist er nicht minder wirkungsvoll, wenn auch auf gänzlich andere Weise.
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Wiederverwendete und zweckentfremdete Kirchenbiber
Die Kapelle wurde aus über fünfzig Jahren alten Kirchenbibern aufgemauert, die zuvor das Dach der Pfarrkirche St. Georg von Ruhpolding bedeckten. Kirchenbiber sind Biberschwanzziegel, die etwas größer und dicker sind als gewöhnlich; in diesem Fall 38 x 18 x 2 cm. Die „Nase“ zum Einhängen an den Dachlatten wurden für den neuen Verwendungszweck entfernt. Drei Lagen Ziegel nebeneinander bilden nun ein dreischaliges, insgesamt 57 cm starkes Mauerwerk aus. Die Biber wurden mit der glatten Kante nach außen verlegt. Die dünnen Trasszementmörtelfugen und eine ausgleichende Ziegelschicht sind um einige Zentimeter nach innen versetzt. So entstand eine stark reliefierte Schichtung.
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Außen gehen die Wände fließend in ein Kreuzdach über. Innen formen sich bereits nahe dem Boden die Grate des Kreuzgratgewölbes aus, das den oberen Raumabschluss bildet. Ein L-förmiges Zugband mit Gewindestäben in der mittleren Ziegellage nimmt die Schubkräfte aus dem Gewölbe auf. In den Kehlen sorgen mit Blei ausgekleidete Öffnungen dafür, dass das Regenwasser unauffällig abfließt.
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Materialität und Licht als gestalterisches Element
Durch eine elliptische, zweiflügelige Tür an der Südostseite betritt man den sakralen Innenraum. Gegenüber befindet sich in einer Höhe von über zwei Metern ein mundgeblasenes, elliptisches Fenster – das Einzige in dem kleinen Raum – auf das Kiki Smith in den Werkstätten der Mayer’schen Hofkunstanstalt einen großen Vollmond in blassem Blau gemalt hat. „Das Schönste auf der Erde ist der Blick auf den Mond“, findet die Künstlerin. Im schummrigen Halbdunkel unterhalb des Fensters hängt ein blauweißes, wollenes Tuch – der Schutzmantel Marias, den sie dort kurz abgelegt zu haben scheint. Daneben befindet sich eine kleine gemauerte Nische, die die elliptische Form des Eingangs aufgreift. Zwei weitere, deutlich größere und niedrigere Nischen an den Seitenwänden laden dazu ein, Platz zu nehmen und länger zu verweilen. Oberhalb der Tür platzierte Kiki Smith eine Taube mit weit ausgebreiteten Schwingen in einer goldenen Gloriole – Symbol des Heiligen Geistes. Auch auf dem First der Kapelle thront eine vergoldete Taube.
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Der gesamte Baukörper besteht ausschließlich aus den dunkelbraun engobierten Kirchenbibern. Ihre frühere Nutzung hat viele kleine Bruchstellen hinterlassen, durch die das ursprüngliche Ziegelrot schimmert. Auch der Boden wurde aus stehend verlegten Dachziegeln gefertigt. Außen wie innen erzeugen Licht und Schatten ein wechselvolles Spiel auf den strukturierten Wandflächen, die beinahe in Bewegung scheinen – verstärkt durch die Verschiebung des Fugenbildes, die von den gemauerten Nischen ausgeht.
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Handwerkliche Präzision
Für dieses handwerklich anspruchsvolle Bauvorhaben war ein erfahrener Gewölbebauer erforderlich, der bereit war, mit Biberschwanzziegeln statt konventionellem Mauerwerk zu arbeiten. Gefunden wurde er schließlich in Alois Huber. Um die komplexe Geometrie der elliptischen Öffnungen und Konchen präzise umzusetzen, errichteten er und sein Team vorab Modelle im Maßstab 1:1.
Mary’s Mantle Chapel ist ein stiller, präzise gefügter Bau, der historisches Material, handwerkliche Sorgfalt und künstlerische Haltung zu einem verdichteten, zeitgenössischen Sakralraum verbindet – zurückhaltend im Ausdruck, aber kraftvoll in seiner Wirkung auf den Ort.
Bautafel
Architektur: Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth u. Würzburg
Projektbeteiligte: Alois Huber - Gewölbe und Stuck, Bruckmühl / Gröll Gewölbebau, Waging am See (Gewölbebau); Mayer’sche Hofkunstanstalt, München (Fenster); Kiki Smith, München (Kunst); Ernst & Young, München (Projektsteuerung), Sailer Stepan und Partner, München (Tragwerk); Ottitsch, München (Technische Gebäudeausrüstung)
Bauherr*in: Erzdiözese München und Freising vertreten durch Museumsdirektor Dr. Christoph Kürzeder
Fertigstellung: 2023
Standort: Nordhof des Diözesanmuseums Freising, Domberg 21, 85354 Freising
Bildnachweis: Thomas Dashuber, München
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