Grabkapelle in der Steiermark
Bruchsteinmauerwerk aus 800 Jahre alten Steinen
„Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an: Das Grabmal und das Denkmal. Alles andere, alles, was einem Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst auszuschließen“, schrieb Adolf Loos 1908 in seiner populären Schrift Ornament und Verbrechen. Entsprechend löste der Auftrag einer Familie in der Steiermark beim österreichisch-finnischen Büro Berger+Parkkinen großes kreatives Interesse aus: Sie wurden angefragt, eine Grabkapelle für den privaten Schlosspark der Familie zu entwerfen.
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Mystische Atmosphäre im Schlosspark
„Wir hatten es mit einem Grenzbereich der Architektur zu tun,
einem Bereich wo sonst bestimmende Themen wie etwa die Funktion
wenig Einfluss auf den Entwurf haben.“, erzählen Architekt Alfred
Berger und Architektin Tiina Parkkinen. Entstanden ist eine
freistehende Kapelle in archaisch minimalistischer Turmform, die
die tradierte Grabkultur der Menschheitsgeschichte ebenso als
Bezugspunkt heranzieht, wie auch den besonderen Standort inmitten
alter Bäume. Die Architekt*innen schufen zudem eine Verbindung zum
in Sichtweite gelegenen Schloss und erzeugten mittels Licht und
einer Betonung der Vertikalen die für ein Grabmal passende Mystik
und spirituelle Atmosphäre.
800 Jahre alte Steine bestimmen Entwurf
Blickt man auf die Menschheitsgeschichte so zeigt sich in vielen
Kulturen, dass beim Bau von Gräbern der Wunsch nach Dauerhaftigkeit
im Vordergrund stand. Viele historische Grabmale sind daher aus
Stein gefertigt. Das Team von Berger+Parkkinen konnte für den Bau
der Kapelle auf altes Bruchsteinmauerwerk zurückgreifen, das sie auf
dem Grundstück fanden. Es stammte von einem bereits vor über 800
Jahren urkundlich erwähnten Wirtschaftsgebäude, das vor langer Zeit
eingestürzt war. Das Material stimmt mit jenem der Stützmauern und
der Grundmauern des Schlosses überein. Die neuen Mauern entstanden
somit aus den Resten alter Mauern – ein schönes Beispiel für
Nachhaltigkeit und einen Kreislauf durch direkte Wiederverwendung
von vorhandenem Abbruchmaterial.
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Der Bruchstein brachte allerdings so seine Eigenheiten mit.
„Grob behauen und sehr rustikal eignet er sich nicht für feine
geometrische Formen; selbst Kanten sind schwierig herzustellen.
Dieses Material bringt seine Wirkung am besten in der Fläche zur
Geltung.“, meint Berger. Die Eigenschaften der Mauersteine wurden
somit bestimmend für Entwurf und Formgebung. Die Lösung fand
sich in der Entwicklung einer sehr schlichten Form ohne Kanten: Ein
runder Solitär, der ruhig und kraftvoll seine Position in der
Landschaft einnimmt – in der Präzision der Ausformung aber
eindeutig zeitgenössisch ist.
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Vergoldetes Licht
Der nach oben leicht konisch zulaufende Turm, weist nur drei
Öffnungen auf. Eine doppelflügelige, goldfarbene Metalltür führt
auf der dem Schloss abgewandten Seite von einem kleinen Vorplatz
mit einer Bank in den Kapellenraum. Ein schmales Fenster gegenüber
gibt den Blick auf den Schlossturm frei. Über diese Sichtachse ist
die Kapelle der Toten an das Schloss der Lebenden angebunden. Tür
und Fenster erhielten Rahmen aus Sichtbeton. Ein rundes Oberlicht
schließlich lässt auch bei geschlossener Tür ausreichend Tageslicht
einfallen, um den geweihten Innenraum zu erhellen. Es ist mit einem
umgekehrten Konus mit vergoldeter Innenfläche ausgekleidet. Dieser
streut das Licht gleichmäßig nach unten in den Raum. Der goldene
Lichtschein von oben erzeugt auf den rauen Steinmauern ein warmes
Leuchten, dass das handwerklich verarbeitete Material inszeniert.
Die Öffnung gibt zudem den Blick in den Himmel frei, betont die
Höhe des Raumes und schafft eine vertikale Orientierung.
-sh
Bautafel
Architektur: BERGER+PARKKINEN, Wien
Bauherr*in: Privat
Fertigstellung: 2020
Standort: Steiermark, Österreich
Bildnachweis: Ana Barros, Wien
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