Kindertagesstätte in Memmingen
Transluzenter Spiel-Kokon
Nicht selten sind Umnutzungen von Bestandsarchitekturen die interessanteren Bauprojekte. Nicht nur ist der Erhalt von Bausubstanz immer nachhaltiger als der Abriss und Neubau. Auch entstehen durch die Umwidmung und Neuordnung von Nutzung, Raumdisposition und Baugestalt durch die Architekturschaffenden spannende Synergien und reizvolle Lösungen. Ein gelungenes Beispiel solch nachhaltiger Umbau-Architektur, das insbesondere aus energetischer Sicht interessant ist, hat das Kemptener Architekturbüro Heilergeiger mit der Kita Karoline Goldhofer realisiert.
Gallerie
Die in den 1960er-Jahren erbaute Villa der Familie Goldhofer steht auf einem weiträumigen Anwesen und wurde auf Initiative der Alois Goldhofer Stiftung zu einer Kindertageseinrichtung umgebaut und durch eine zusätzliche Hülle aus Polycarbonat erweitert und energetisch ertüchtigt. Als Betreiberin der Kita konnte die Stadt Memmingen gewonnen werden. Heilergeiger überzeugte bei einer Mehrfachbeauftragung unter drei Büros mit einem Entwurf, der den Bestand respektierte und sich mit dessen Erhalt auseinandersetzte.
Der Wert des Bestands
Dem Konzept der Architekturschaffenden liegt die auf Wunsch der
Alois Goldhofer Stiftung in der Kindertageseinrichtung zur
Anwendung kommende sogenannte Reggio-Pädagogik zugrunde. Diese geht
zurück auf die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als Bürger
der italienischen Stadt Reggio Emilia einen Panzer fanden, seine
Einzelteile verkauften und mit dem Erlös den Bau eines
Kindergartens finanzierten. Gebrauchtes wiederzuverwenden und damit
kreativ umzugehen wurde zu einem der zentralen Werte der
Reggio-Pädagogik. Die drei Gebäudeteile der alten Villa wurden im
Kern erhalten, freigestellt und unter einer neuen Hülle aus
Polycarbonatstegplatten zusammengefasst. Entstanden ist eine
spannende Abfolge von umgenutzten Räumen und neuen Zwischenräumen,
die als flexibel anpassbare Gemeinschaftsbereiche genutzt
werden.
Der Zugang liegt auf der Nordwestseite. Hier, an der Fuge zwischen
Alt und Neu, liegt die sogenannte Piazza und dient als Treffpunkt.
Von hier aus geht es, dem Geländeverlauf folgend, über eine
großzügige Treppe oder alternativ über eine Rutsche in den
zweigeschossigen Multifunktionsraum, dessen Fußboden auf dem Niveau
es tiefer gelegenen Gartens liegt. In den ehemaligen Wohnräumen
sind die Gruppen- und Nebenräume der Kita untergebracht, in der
alten Garage befindet sich heute die Küche. Wo ehemals das
Schwimmbad war, ist heute die Kinderkrippe zu finden. In einem
Spielhaus können die Kinder in das alte Becken klettern. In den
Zwischenräumen von Hülle und Bestand entstanden großzügige
Gemeinschaftsbereiche. Durch die Lage am Hang konnte der
Bestandskeller freigelegt werden und profitiert nun von viel
Tageslicht. Im durch die neue Gebäudehülle stark erweiterten Unter-
bzw. Gartengeschoss sind Personalraum, Elternsprechzimmer,
Werkstatt, Atelier und weitere Nebenräume angeordnet. Auf insgesamt
865 Quadratmetern Nutzfläche werden in dem Haus 65 Kinder
betreut.
Energiekonzept und Nachhaltigkeit
Die transluzente Hülle ist Kollektor von Licht und Energie und
ermöglicht, die Bestandswände in ihrem ursprünglichen Aufbau sicht-
und erfahrbar zu machen. Das Energiekonzept ist ein kybernetisches
Zusammenspiel von Raum, Konstruktion und Gebrauch. Dank dieser
Lösung konnte die energetische Sanierung ohne herkömmliche
Dämm-Maßnahmen an den Außenwänden erfolgen, etwa durch Hinzufügen
eines Wärmedämmverbundsystems. Die Fassade dient in den
Wintermonaten als eine Art Sonnenkollektor, die gewonnene
passivsolare Energie wird für den Wärmehaushalt und die
kontrollierte Be- und Entlüftung genutzt.
Die über eine Photovoltaikanlage gewonnene Energie wird zum
Betrieb der Wärmepumpe und der Beleuchtung verwendet. Im Sommer
unterstützt die Speichermasse des Bestands und eine
Regenwasserzisterne die Kühlung des Hauses. Betriebs- und
Folgekosten werden dadurch minimiert. Die Dachfläche ist extensiv
begrünt und trägt damit zur Langlebigkeit der Konstruktion und zur
Verbesserung des Mikroklimas bei. Rund 75 Prozent des
Gebäudebestands blieben erhalten, dienen dabei als Speichermasse
und reduzieren den Anteil an zusätzlicher grauer Energie.
Wärmedämmung
Die zweischalige Polycarbonatfassade besteht aus zwei 40 mm
starken und recycelbaren Lichtelementen in thermisch getrennten
Aluminiumprofilen, die auf einer feuerverzinkten
Stahlunterkonstruktion montiert sind. Im Fassadenzwischenraum ist
ein vertikaler textiler Sonnenschutz angebracht, der im Sommer vor
Überhitzung schützt. Vor den Bestandswänden mit etwa 40 cm dickem
Ziegelmauerwerk ist eine einschalige Polycarbonatfassade
angebracht. Ebenfalls einschalig ist die Fassade beispielsweise im
Nordwesten. Die Fenster sind dreifachverglast, die Rahmen bestehen
aus Aluminium. Die Bodenplatte erhielt oberseitig eine 12 cm starke
Dämmung sowie eine Trittschalldämmung. Das Flachdach wurde mit
24 cm gedämmt und mit einer Kombination aus Gründach und
Photovoltaik belegt.
Bautafel
Architektur: Heilergeiger Architekten und Stadtplaner, Kempten
Projektbeteiligte: IHW Beratende Ingenieure, Kempten (Tragwerksplanung); Latz + Partner Landschaftsarchitektur Stadtplanung Architektur, Kranzberg (Außenanlagen); Güttinger Ingenieure, Kempten (HLS); Kettner & Baur GmbH, Memmingen (Elektroplanung); Ifes Institut für angewandte Energiesimulation, Köln ( 3d thermodynamische Simulation); Anwander, Sulzberg (Brandschutz); BL-Consult Piening, Petershausen (Akustikplaner); Generation Licht, Gaienhofen (Lichtplanung)
Bauherr: Alois Goldhofer Stiftung, Memmingen
Fertigstellung: 2019
Standort: Berwangweg 10, 87700 Memmingen
Bildnachweis: Nicolas Felder Fotografie, Wiggensbach
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