Verwaltungsbau des Unionhilfswerk in Berlin-Kreuzberg
Speichern statt dämmen
Zeitgenössische Arbeitswelten befinden sich im Wandel.
Angesichts der Wünsche nach flexiblerem Arbeiten und der Vorliebe
für das Homeoffice hinterfragen viele Unternehmen, ob sich
Investitionen in Büroräume und in deren teils hohen Betriebskosten
noch lohnen. Im Gegensatz zu dieser marktwirtschaftlichen Logik hat
sich die Stiftung Unionhilfswerk in Berlin-Kreuzberg zu einem
Verwaltungsneubau entschlossen. Auf einem ehemaligen
Brauereigelände am Tempelhofer Berg realisierten Baumschlager
Eberle Architekten einen energieeffizienten Neubau, der
zeitgenössischen Arbeitskulturen gerecht werden und dabei auch das
Miteinander der Angestellten fördern soll.
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Über 130 Einrichtungen der Wohlfahrtspflege werden von der
Stiftung unterhalten, die sich allesamt für die Begleitung,
Betreuung, Förderung und Unterstützung von Menschen in
unterschiedlichen, schwierigen Lebenslagen einsetzen. Die
Stiftungsverwaltung befand sich zuvor an zwei verschiedenen
Standorten und sollte nun in Kreuzberg in einem neuen Gebäude
vereint werden. Das Grundstück in der Schwiebusser Straße war
bereits in der Hand des Landesverbands, der das Eigentum an die
Stiftung übertrug.
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Heterogene Nachbarschaft
Aus städtebaulicher Sicht herausfordernd war, den Neubau zu dem
sehr heterogenen Bestand in der Nachbarschaft zu positionieren.
Westseitig des Grundstücks liegen Wohnbauten aus der
Nachkriegszeit. Südlich, auf der gegenüberliegenden Straßenseite
befindet sich ein Teil der denkmalgeschützten Anlage des ehemaligen
Flughafens Berlin-Tempelhof, mit seiner monumentalen Architektur
aus den 1930er-Jahren. Auch dieser Gebäudekomplex ist ein
Verwaltungstrakt, heute genutzt vom Hauptzollamt. Auf nördlicher
Seite schließt das Grundstück an eines der Pflegeheime an, die die
Stiftung betreibt. Dieses wird von der Parallelstraße aus
erschlossen. Baumschlager Eberle Architekten setzten sich in dem
nicht-offenen Wettbewerb mit einem Entwurf durch, der diesem
heterogenen Umfeld mit einer schnörkellos klaren Formensprache
begegnet.
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Strenge Formensprache der Fassade
Der Neubau orientiert sich mit seinen fünf Geschossen an der
Traufhöhe des gegenüberliegenden Verwaltungsbaus des Hauptzollamts.
Reihen von quadratischen Öffnungen mit vierseitig umlaufenden
Faschen, gefüllt mit stehenden Fensterformaten und ockerfarbenen
Lüftungsflügel, erzeugen eine streng gegliederte Fassade. Die sehr
tiefen, teilweise abgeschrägten Laibungen erzeugen markante
Schlagschatten und tragen so zu einem plastischen Erscheinungsbild
der weiß verputzten Außenwände bei.
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Einschnitte und Durchblicke
Ein Rücksprung im obersten Geschoss des 20 Meter tiefen
Gebäudevolumens schafft eine Dachterrasse, die als Erweiterung der
sogenannten Management-Lounge dient, aber prinzipiell allen
Mitarbeitenden des Hauses offensteht. Ein weiterer Rücksprung
befindet sich im Erdgeschoss und markiert hier den Eingang, der im
Inneren auf einen Empfangstresen hinführt. Rechtsseitig zweigen im
Erdgeschoss drei Konferenzräume ab, auf der anderen Seite befinden
sich Büroräume.
Ansonsten lassen sich alle Gebäudeebenen als Dreibund sowie als
offenes Großraumbüro nutzen. In der Mittelzone befinden sich
sogenannte Kommunikationsinseln. Auf jedem Geschoss sind zudem
Bereiche für Teamarbeit vorgesehen. Ein Oberlicht lässt Tageslicht
in einen mittig platzierten Lichthof, der durch die Überlappung der
versetzt angeordneten Deckenausschnitte erzeugt wird. Entlang der
Brüstungen bieten sich vielfältige Blickbeziehungen zwischen
Geschossen und atmosphärisch unterschiedliche, dem Lichthof
angegliederte Besprechungsräume und Wartebereiche.
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2226: Speichern statt dämmen
Zielvorgabe war, Behaglichkeit und bestmögliche
Raumkonditionen mit möglichst wenig Technik zu erreichen und dabei
einen Gesamtprimärenergiebedarf von 100 kWh/m²a nicht zu
überschreiten. Mit 62,1 kWh/m²a konnte dieser Zielwert sogar
deutlich unterschritten werden. Photovoltaikanlagen auf dem
Flachdach sorgen für einen hohen Eigenstromanteil.
Das Team von Baumschlager Eberle griff auf die bewährten
Erfahrungen ihrer sogenannten „2226“-Projekte zurück: Die hohe
thermische Masse der Gebäude sorgt für eine stabile
Innenraumtemperatur zwischen 22 und 26 Grad Celsius. Die Grundidee
ist laut Büropartner Gerd Jäger den Komfort für die Nutzenden nicht
mit Technik, sondern mit architektonischen Mitteln zu lösen. So
kann auf den Einbau teurer und wartungsintensiver technischer
Systeme verzichtet werden, die ansonsten die Lebenszykluskosten erhöht hätten und ihrerseits
einen hohen Energiebedarf aufweisen.
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Architektonische statt technische Lösungen
Eine kompakte Gebäudeform, eine doppelschalige Fassade sowie
eine optimierte Verglasung sorgen für geringe Wärmeverluste. So ist
der Flächenanteil der Verglasung gleichmäßig verteilt. Das
Einrücken der raumhohen Fenster sorgt für eine Eigenverschattung
der Fassade, wobei die Laibungschrägen zugleich ausreichenden
Lichteinfall gewährleisten. Dadurch sind außer innenliegenden
Folienrollos als Blendschutz keine weiteren Sonnenschutzmaßnahmen
erforderlich.
Die tragende Außenwand besteht aus 42,5 Zentimeter starken
Poroton Planziegel mit Mineralwollefüllung. Zusätzliche mit Perlit
verfüllte Ziegel verbessern den Wärmeschutz der Konstruktion. Der
insgesamt 59 Zentimeter dicke Wandaufbau erzielt damit einen
U-Wert
von 0,15 W/(m²K). Die Konstruktion wurde außen mit einem
zweilagigen Edelputz und innen mit einem raumklimaausgleichenden
Kalkputz versehen. Die Speicherfähigkeit der Steine überbrückt bis
zu drei Monate: Wenn die Wand im Spätherbst noch Wärme aufnehmen
kann, reicht das laut Architekt Jäger bis in den Februar hinein. So
muss das Gebäude nur an wenigen Tagen des Jahres temperiert werden.
Dies geschieht mittels einer Fußbodenheizung, die von einer
reversiblen Wärmepumpe gespeist wird und somit auch kühlen
kann. Die Nachtauskühlung wird über den zentralen Lichthof
aktiviert. -hs
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Bautafel
Architektur: Baumschlager Eberle Architekten, Berlin Projektbeteiligte: HochC Landschaftsarchitekten, Berlin (Landschaftsarchitektur); Knippers Helbig, Stuttgart (Tragwerksplanung); wienerberger, Hannover (Ziegelhersteller / verwendete Produkte: Poroton-S10-MW und Poroton WDF) Bauherrschaft: Stiftung Unionhilfswerk, Berlin Fertigstellung: 2021 Standort: Schwiebusser Str. 18, 10965 Berlin-Kreuzberg Bildnachweis: Ulrich Schwarz, Berlin (Fotos); Gerd Jäger, Berlin (Foto); Baumschlager Eberle Architekten Berlin (Pläne)
Außenbauteile tragen im Wesentlichen durch ihre Transmissionswärmeverluste zu einem höheren Energieverbrauch von Gebäuden bei und sind damit Bestandteil einer energieeffizienten bzw. nicht energieeffizienten Bauweise.
Baustoffe/-teile
Mauersteine
Die Hauptbestandteile Kalk, Sand, Ton, Lehm und Wasser werden überwiegend in heimischen Regionen abgebaut und benötigen keine langen Transportwege.
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Dank des Mauerwerks aus wärmedämmenden, verfüllten Hochlochziegeln konnte auf eine zusätzliche Dämmschicht verzichtet werden.