Glasdach im Victoria and Albert Museum in London
Kalt gebogenes Isolierglas über 73 Glasbalken
Mit weit mehr als vier Millionen Exponaten besitzt das Londoner Victoria and Albert Museum die nach eigenen Angaben größte Kunstgewerbe- und Designsammlung weltweit. Im Jahr 1852 unter dem Namen South Kensington Museum gegründet, beträgt seine Ausstellungsfläche rund 45.000 Quadratmeter, die sich auf insgesamt 145 Besucherräume verteilen. Jährlich strömen etwa drei Millionen Besucher ins Museum. Seit 2001 wird es in mehreren Bauabschnitten umfassend renoviert und teilweise in den architektonischen Ursprungszustand zurückversetzt.
Gallerie
Nach Plänen von McInnes Usher McKnight Architects (MUMA) aus London wurden unter anderem mehrere Galerien umgebaut, die aufgrund verschiedener Höhenversprünge nur schlecht zugänglich und zudem unübersichtlich waren. Durch den Abriss nachträglich eingefügter und nicht mehr benötigter Einbauten sowie einer geänderten Raumaufteilung erhielt man zudem Platz für neue Nutzungen. Neben einem Treppen- und Aufzugsturm beispielsweise entstand eine tageslichtdurchflutete, viergeschosshohe Halle mit imposantem Glasdach für große Architekturfragmente. Auf einer Seite grenzt sie an die geschwungene Rückwand der Apsis der East Hall, die anderen Begrenzungswände sind gerade.
Glas
Die in der Aufsicht u-förmige Glasdachkonstruktion in 14 Metern
Höhe ist mit Zweifach-Isolierverglasungen (6 mm ESG / 12 mm
SZR /
VSG aus 2 x
5 mm ESG) eingedeckt. In Deutschland wäre dieser Glasaufbau nicht
zulässig, da Horizontalverglasungen auf der Unterseite nur aus
Verbundsicherheitsglas aus grob brechenden
Glasarten wie etwa thermisch entspanntem Floatglas oder
teilvorgespanntem Glas (TVG) bestehen dürfen.
Die Dachform entspricht im Schnitt einem Pultdach mit einer verglasten Fläche von etwa 370 Quadratmetern. Seine Hoch- und Tiefpunkte verlaufen jeweils entlang einer geraden Linie am Bestand. Da diese aufgrund der unterschiedlichen Geometrien der raumbegrenzenden Flächen nicht auf einer Höhe liegen, ergaben sich verschiedene Neigungswinkel: sie liegen zwischen 20° und 40°. In der Folge weisen auch die unterhalb der Isolierverglasungen angeordneten Glasbalken geometrisch unterschiedliche Neigungen auf. Dies wiederum ergab eine Krümmung der obersten Glasebene, sodass die vier Eckpunkte einer einzelnen Isolierverglasung nicht in einer Ebene liegen und folglich doppelt (sphärisch) gekrümmt ausgeführt werden mussten. Bis zu 150 Millimeter wichen die Eckpositionen in der Scheibenebene voneinander ab.
Wegen der geringen Krümmung konnten die Verglasungen kalt bei der Montage gebogen werden. Im Vergleich zum thermischen Biegen, bei dem neben dem eigentlichen Biegeprozess für jede Scheibengeometrie eine eigene Biegeform entwickelt werden muss, ist dieses Verfahren deutlich weniger aufwendig. Für das Londoner Museumsdach hatte der Glashersteller vorab ein 1:1 Mock-Up errichtet, um die Dauerhaftigkeit und Machbarkeit der Konstruktion zu prüfen. Bei der Umsetzung wurden die zunächst ebenen Verglasungen in die nicht ebene Unterkonstruktion gezwängt und durch mechanische Punkthalterungen fixiert. Die auftretenden Kräfte aus Krümmung, Eigengewicht und äußeren Einwirkungen werden über ein mit Silikon linear auf die Glasbalkenoberkante geklebtes Stahlprofil in die Träger eingeleitet.
Insgesamt 73 Glasbalken übernehmen den Lastabtrag. Sie bestehen
aus Verbundsicherheitsglas aus 3 x 12 mm ESG und einer PVB-Folie als
Verbundmaterial. Um die direkte Sonnenlichteinstrahlung zu
minimieren, wurden transluzente, weißlich mattierte PVB-Folien
verwendet.
Bautafel
Architekt: MUMA - McInnes Usher McKnight Architects, London
Projektbeteiligte: Octatube, Delft (Glasdach); Dewhurst Macfarlane & Partners, London (Tragwerksplanung)
Bauherr: Victoria and Albert Museum, London
Fertigstellung: 2009
Standort: Cromwell Road, London SW7 2RL, Vereinigtes Königreich
Bildnachweis: Octatube, Delft; MUMA, London
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