Als das Hauptgebäude der Cusanus-Akademie in Brixen 1962
eingeweiht wurde, waren viele der Einwohner*innen schockiert: Wie
konnte man nur diesen großen Block mit seinem dunkelgrauen, rauen
Beton und rotbraunen Hartbrandziegeln in den dicht bebauten,
pittoresken Ortskern pflanzen? Dabei hatte der Architekt Othmar
Barth sich einige Mühe gegeben, Motive der Brixner Altstadt zu
zitieren. Rund vierzig Jahre später wird das vielgestaltige,
brutalistische Gebäude mit seinen Erkern, Lauben und
Sichtbetongewölben sehr geschätzt. 2019 und 2020 wurde es nach
Plänen von MoDus Architects runderneuert und unterirdisch
erweitert.
Gallerie
Der Campus befindet sich im Osten von Brixen (ital. Bressanone),
wo Rienz und Eisack zusammenfließen, umgeben von dem gebogenen
Flussufer, den Ausläufern der kleinteiligen Altstadt und dem im 18.
Jahrhundert errichteten Priesterseminar. Gegenüber säumt ein
langer, schmaler Flachbau mit Vordach den Weg. Othmar Barth entwarf
das Garagen- und Lagerhaus zusammen mit dem großen Haupthaus, das
auf einer gestreckt trapezförmigen Grundfläche hinter dem
Priesterseminar folgt.
Zu dem Ensemble zählen außerdem das Paul-Norz-Haus und das
Mühlhaus, zwei historische Stadthäuser mit Walmdächern, Gauben und
krummen Wänden. Gemeinsam mit dem Haupthaus umgeben sie einen
geschützten, T-förmigen Hinterhof. Zum Fluss hin ist dem Haupthaus
eine Terrasse vorgelagert, unter der sich zwei Konferenzräume
befinden.
Gallerie
Facettenreiche Fassade
Im Erdgeschoss verfügen die Stadthäuser über einige Seminarräume
und in den Obergeschossen über Gästezimmer. Darauf lassen die
scheinbar gleichmäßig befensterten, hell verputzten Lochfassaden
kaum schließen. Ganz anders ist das bei den vier Ansichten des
Haupthauses: An der nördlichen Schmalseite befindet sich der
Haupteingang, hinter der fensterlosen Ziegelwand darüber die
Kapelle. Zum Hof hin zeigt sich die Fassade als Betonskelett, das
teils ausgemauert, teils mit Fenstern gefüllt ist – je nachdem, ob
dahinter Schlafräume, die Kapelle, die Portierwohnung oder der
Speisesaal angeordnet wurden.
Im Süden öffnete Barth die Fassade, um den Speisesaal und den
Klubraum zu belichten. Die Ostseite charakterisiert die regelmäßige
Abfolge von Mauerflächen und weiß gefassten Erkern über einem
eingerückten Arkadengang aus rohem Beton. Ursprünglich befand sich
quasi hinter jedem Fenster eine Schlafzelle mit Schreibtisch und
Waschbecken.
Gallerie
Dadurch, dass Barth all diese Funktionen hinter den Fassaden
anordnete, blieb in der Mitte des Gebäudes ein großer Bereich frei.
Im Erdgeschoss befanden sich ursprünglich ein Projektionsraum und
verschiedene Lager, unter anderem für die zahlreichen benötigten
Stühle. Die freie Halle darüber war als „Wohnzimmer“ für die
Seminargäste gedacht.
Unterirdisch erweitert
Die Architekt*innen waren aufgefordert, die drei Gebäude
möglichst unauffällig zu renovieren und an aktuelle Standards
anzupassen. Das Mühlhaus und das Paul-Norz-Haus wurden komplett
entkernt, das Haupthaus erhielt neue Fenster. Neu sind auch die
technische Gebäudeausrüstung und die Brandschutzanlagen. In den Hof
grub man neben einem neuen Konferenzsaal auch eine Verbindung
zwischen Haupthaus und Paul-Norz-Haus. Wieder überdeckt zeugt heute
nur das u-förmige Oberlicht im Hof von der unterirdischen
Erweiterung. Dank ihr, den neuen Aufzügen und den neuen Rampen im
Außenbereich, können sich Rollstuhlfahrende nun weitgehend
selbstständig auf dem Campus bewegen.
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Aufgeräumtes Erdgeschoss
Besonders weitreichend waren die Eingriffe im Erdgeschoss des
Haupthauses. Viele Zwischenwände verschwanden, sodass ein
geräumiger Korridor entstand. An der Hoffassade erhielten die Büros
eine neue Aufteilung, die Empfangszone am Haupteingang wurde
geweitet und mit einer einladenden Bar ausgestattet. Die neue
Offenheit erleichtert die Orientierung in dem dunklen Geschoss
unter der Halle. Diese umfasst die beiden Obergeschoss und wirkt
besonders imposant durch eine Reihe von quer spannenden
Tonnengewölben, durch deren Bögen die Westsonne einfällt. An den
Seiten verlaufen die Galerien zur Erschließung der Gästezimmer. Am
Nordende der Halle liegt die Kapelle, am Südende ein Splitlevel mit
einem Konferenzsaal, der durch eine mobile Trennwand mit dem
Zentralraum verschmelzen kann.
Darüber hinaus war an der Baustruktur selbst vieles zu
restaurieren. Die Betonoberflächen wurden gereinigt, um
Grauschleier und Flecken zu mildern. An einigen Stellen,
insbesondere im Sockelbereich, mussten Risse geschlossen werden.
Die Betonoberflächen der Attika zeigten Ausblühungen und
Abplatzungen, die man reprofilierte. Für die gelungene Sanierung
und die subtile Erweiterung wurden MoDus Architects mit dem Klaus
Dyckerhoff-Architekturpreis ausgezeichnet.
Bautafel
Architektur: Othmar Barth (Bestand 1962); MoDus Architects (Sanierung und Erweiterung 2020) Projektbeteiligte: Tragwerksplanung: 3M Engineering (Tragwerksplanung und Sicherheitstechnik); Studio Tecnico Ing. M. Carlini (technische Gebäudeausrüstung); Lutz Studio Associato (Elektrotechnik und Lichtplanung); Archacoustica (Akustikplanung); Geologiebüro Jesacher (geologische Beratung); Beton Eisack (Tiefbau); CarronBau (Bauunternehmen); Marson (Restaurierung) Bauherr*in: Kardinal Nikolaus Cusanus Akademie Standort: Via del Seminario 2, 39042 Bressanone, Italien Fertigstellung: 2020 Bildnachweis: Gustav Willeit (Fotos); MoDus Architects (Pläne)
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