Werkstattumbau zum Wohnhaus in Innichen
Verzinktes Bergdomizil
Wohnen in der Schlosserei – auch wenn das nicht gerade nach Oberbaum City Berlin oder Gasometer Wien klingt, würde man ein solches Projekt vielleicht zuerst im groß- oder mittelstädtischen Umfeld erwarten. Doch natürlich sind Umnutzungen nicht den Städten vorbehalten, sondern finden sich auch im ländlichen Raum. Zum Beispiel in Innichen in Südtirol. Auf der Karte ist die kleine, zu Italien gehörende Grenzgemeinde (italienischer Name: San Candido) etwa mittig im spitzen Dreieck zwischen München, Salzburg und Venedig zu finden. Hier, unweit der Drei Zinnen, hat das in Percha und Innsbruck ansässige Büro Lukas Mayr Architekt eine Schlossereihalle zum neuen Wohnhaus der Eigentümer um- und weitergebaut.
Gallerie
Nachdem der Handwerksbetrieb schon vor Jahren aus dem Dorfzentrum in ein Gewerbegebiet am westlichen Ortsrand umgezogen war, wurde bereits 2018 das ehemalige Büro am alten Standort in ein Bistro mit Bioladen umgewandelt. Das zwei-, nach dem Umbau zum Teil dreigeschossige Werkstattgebäude ist südseitig mit Versatz und leichter Drehung an das ursprüngliche, etwas höhere Wohnhaus der Familie angebaut, das künftig touristisch genutzt werden soll.
Low-Budget heißt hier nicht minimalinvasiv
Der ehemalige Gewerbetrakt wurde zunächst um ein Geschoss rückgebaut und dann in Anpassung an die Bestandskubatur ergänzt. Er gliedert sich jetzt in einen zweigeschossigen Teil am Wohnhaus mit zwei kleinen Apartments über einer Garage und einen dreigeschossigen Südteil. Letzterer wird von den Architekten als „Einfamilienhaus“ bezeichnet und hat im Untergeschoss vier Individualräume, im Erdgeschoss Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad und einen zentral angeordneten Essplatz mit Luftraum bis unter den Dachfirst. Im oberen, auch als Gästebereich nutzbaren Geschoss finden sich weitere Individualräume und ein zweites Bad. Die drei Geschosse können bei Bedarf mit wenig Aufwand in zwei oder auch drei unabhängige Wohnungen getrennt werden.
In diesem Gebäudeteil sind rohe, einfache Materialien miteinander kombiniert: Sichtbetonflächen, Fichtenholzwände, Lehmkasein-Böden und Industrieverglasung zwischen Diele und Treppenhaus. Das Low-Budget-Projekt erfüllt Niedrigenergiestandard und entstand in enger Abstimmung zwischen Architekt und Eigentümern. Die Fassade und Teile der stählernen Dachkonstruktion wurden in Eigenleistung gefertigt, während die neuen, tragenden Wände in Ortbeton errichtet wurden. Doch Low-Budget heißt hier nicht minimalinvasiv. Mit seinem hohen Neubau-Anteil unterscheidet sich das eher als Weiterbauen aufzufassende Projekt im ländlichen Raum zumindest deutlich von den durch Aneignung oder Zwischennutzung entstandenen Großstadtlofts der 1980er- und 90er-Jahre.
Fassade: Vorgehängte Tafeln aus verzinktem Stahlblech
Während das flache Satteldach der Werkstatthalle in seiner Neigung sowohl auf dem zwei-, als auch auf dem dreigeschossigen Gebäudeteil wieder aufgenommen wurde, hat die Fassade ihr Erscheinungsbild komplett geändert. War das untere Geschoss vom Wechsel aus gereihten Fenstern und Toren geprägt, hatte das obere über einer Brüstung ein umlaufendes Fensterband mit Klarglas an den Traufseiten und Industrieglas an der Giebelfront. Während traufseitig die strenge Reihung aufgelöst ist, präsentiert sich die Südansicht mit einem neuen Motiv. Jetzt in drei Achsen gegliedert, hat sie links und rechts große Lochfenster die ausgewogen, aber nicht exakt spiegelsymmetrisch zueinander gesetzt sind. Die Mittelachse ist komplett ausgefüllt von einer großen, zurückversetzten Glasfläche. Davor befinden sich teils loggiarartig eingezogen, teils aus der Fassadenebene auskragend zwei Balkone, dahinter der Essplatz mit Luftraum. Neu ist auch der weite Dachüberstand als Verschattung und Regenschutz.
Trotzdem erinnert die neue Fassade noch an den früheren
Gewerbestandort. Industrieglaselemente tun dies auf abstrakte Weise
am Treppenhaus, am ostseitigen Laubengang und am nordseitigen
Eingang – hier mit transluzenter Wärmedämmung –, während die
vorgehängte Außenhülle aus verzinkten Stahlblechen insgesamt ein
konkreter, unmissverständlicher Verweis auf den Schlossereibetrieb
ist. Großformatige, zwei Millimeter starke Tafeln im liegenden
Rechteckformat – in der Höhe je zwei pro Geschoss – sind
umlaufend mit minimierten Fugen auf eine stehend
montierte Lattung geschraubt. Holzfaserdämmung befindet sich
darunter. Die meisten Fenster haben tiefe Laibungen. Bei wenigen
anderen, etwa der Übereckverglasung der Küche, sitzt die Scheibe
nahezu außenbündig. Die metallische Fassade reflektiert zur Zeit
noch recht stark die Umgebung, Verwitterung wird das Haus aber
allmählich mit einer Patina überziehen.
Bautafel
Architekten: Lukas Mayr Architekt, Percha/Innsbruck
Projektbeteiligte: Lukas Mayr (Projektleiter), Anna Schäfer, Julian Mahlknecht (Projektteam Architekten), Baukanzlei Sulzenbacher & Partner, Bruneck, Dr. Ing. Ralf Pellegrini (Statik, Sicherheitskoordination), Dravus, Innichen (Bauunternehmen), Zimmerei-Holzbau Gruber, Niederdorf (Holzbau/Trennwände), E. Schäfer, Innichen (Metallfassade/Schlosserarbeiten)
Bauherr: Rosa Arnold Schäfer und Eduard Schäfer
Fertigstellung: 2020
Standort: 39038 Innichen, Italien
Bildnachweis: Oliver Jaist, Varna / Lukas Mayr Architekt, Percha/Innsbruck
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