Familienhaus am Loch Awe bei Glasgow
Trutzburg mit Glassplitt-Fassade
Der Loch Awe, gut 80 Kilometer Luftlinie von Glasgow entfernt, ist mit fast 40 Quadratkilometern der drittgrößte unter den unzähligen schottischen Süßwasserseen. Am Nordostende des 37 Kilometer langen Sees liegen die Überreste von Kilchurn Castle. Wie kaum ein anderer Ort am Seeufer verkörpert dieses Gelände sämtliche Klischees, Vorstellungen und Projektionen des „typisch Schottischen“: Eine einsame, malerisch zerklüftete, graue Burgruine am Ufer vor steil aufragenden, grünen Hängen im schnellen Wechsel von Sonne und dunklen Regenwolken.
Gallerie
Rückzugsort mit Seeblick
Der Entwurf für ein Wohnhaus, gut 1,5 Kilometer südlich von Kilchurn Castle entfernt, bezieht sich auf ein älteres Aquarell der Ruine. Umgesetzt hat das Architekturbüro Denizen Works jedoch kein neues Schloss am Ufer, sondern einen etwas höher gelegenen Rückzugsort mit Seeblick. Das für ein Paar aus Glasgow errichtete Haus ist nach einem achtjährigen Planungs- und Abstimmungsprozess zwischen Architekturschaffenden und Auftraggebern entstanden. Wie ein zerklüfteter Felsblock liegt das Bauwerk nun in der wildromantischen Landschaft am Loch Awe.
In die Topographie eingebettet
Das 650 Quadratmetern umfassende, ein- bis dreigeschossige Haus beinhaltet sieben Schlafzimmern für die erweiterte Familie mit sechs erwachsenen Kindern und mehreren Enkeln. Der Bau wird von Norden aus betreten und ist um eine stattliche Halle herum organisiert, in der ein fünfeinhalb Meter hoher Weihnachtsbaum aufgestellt werden kann. Westlich der Halle schließen sich das Wohnzimmer und ein überhöhter Speisesaal mit großzügigen Ausblicken auf den See an, beide durch einen Vorraum verbunden. Über Wohnzimmer und Vorraum befindet sich eine teils offene, teils überdeckte Terrasse. Die große Küche befindet sich nördlich der Halle; südlich, östlich sowie im Obergeschoss liegen die Schlafzimmer. Der östliche Gebäudeteil liegt fünf Stufen tiefer, wodurch sich das weitläufige Haus besser in die Landschaft einfügt. Das Haus hat einen eigenen Brunnen und eine Schilfbeet-Kläranlage; es wird über eine Erdwärmepumpe beheizt.
Inszenierte Ausblicke in die Landschaft
Ein Kinoraum auf der Südwestecke ist das einzige Zimmer im
zweiten Obergeschoss. Weitere Räume und Details erweisen die
Exklusivität des Hauses – die Bibliothek mit einer lederbespannten
Decke, das Schuhzimmer, ein Whisky-Schrein, das Badezimmer mit
kupferverkleideter Decke und zwei Kupferbadewannen, von denen aus
man in die Landschaft blicken kann; dazu Details wie drei in
Blattgold gefasste, kreisrunde Oberlichter, Goldflocken-Lehmputz
sowie kleine Spiegelsplitter im Betonboden. Skulptural wirken die
dicken, bergenden Wände mit bewusst gesetzten Öffnungen, tiefen
Fensterlaibungen und inszenierten Ausblicken in die
Landschaft.
Gallerie
Neu-Interpretation des regionalen Fassadenputzes
Auch mit den Oberflächen des Hauses nehmen die Planenden Bezug auf eine regionale Tradition, die hier aber eine zukunftsweisende Wendung erfährt. Die Wände bestehen aus vorfabrizierten isolierten Holzrahmen und mit Luftspalt vorgesetzen Breeze Blocks. Außen sind sie mit einem speziell entwickelten Harl verputzt. Traditionell handelt es sich bei Harl um einem in Schottland und England verbreiteten Kalk-Rauputz, der speziell an das feuchte Klima angepasst wurde. Durch das Einbringen kleiner Kieselsteine in den vergleichsweise weichen Putz werden die Oberfläche, und damit die Fähigkeit zur Wasseraufnahme und -abgabe vergrößert, was Rissbildungen entgegenwirkt.
Zuschlagstoff aus recycelten Fernsehbildschirmen
Als Zuschlagstoff wurde beim Neubau am Loch Awe aber statt Steinen ein spezieller Glassplitt verwendet, der aus alten, entsorgten Fernsehbildschirmen hergestellt wurde. Restructa, ein schottisches Recyclingunternehmen für Fernseher, Monitore und Elektronikschrott hat unter der Bezeichnung Glasglo mehrere Produkte unterschiedlicher Körnung entwickelt, die zur Garten- und Freiflächengestaltung, aber auch für Topfpflanzen verwendet werden können. Die Abneigung der Bauherrschaft gegenüber dem Medium Fernsehen brachte die Architekturschaffenden auf die Idee, das nach ihrer Aussage erste Gebäude mit recyceltem Bildschirmglas an der Fassade zu schaffen.
Die Planenden hatten zusammen mit dem Baustoffunternehmen Sika anhand großer Musterplatten die ästhetischen Qualitäten des Glassplitts über einem verputzten Grundanstrich getestet und zwei Mischungen entwickelt, die an verschiedenen Teilen der Fassade den Eindruck eines gemeißelten Massivs erwecken sollten. Die Außenflächen erhielten eine Zehn- bis Zwanzig-Millimeter-Körnung, Volumeneinschnitte und abgeschrägte Laibungen eine feinere Zwei- bis Zehn-Millimeter-Körnung. Durch diese subtile Variation werden Licht und Regen jeweils unterschiedlich aufgenommen. Im Vergleich zum konventionellen Harl ist der Glassplitt-Putzbau nicht matt grau, sondern zeigt einen leicht schimmernden Glanz im Sonnenlicht.
Bautafel
Architektur: Denizen Works, London/Glasgow
Projektbeteiligte: CRA, Edinburgh (Tragwerksplanung); Morham and Brotchie Partnership, Edinburgh (Kostenplanung); Colorado Construction, Livingston (Hauptauftragnehmer); Restructa (Recyclingunternehmen für Fernseher, Monitore und Elektronikschrott) Irvine; SIKA (Baustoffhersteller), Welwyn Garden City
Bauherr/in: privat
Fertigstellung: 2021
Standort: Ardteatle, Dalmally PA33 1AT, Schottland
Bildnachweis: Gilbert McCarragher, London / Denizen Works, London/Glasgow
Tipps zum Thema
Baunetz Wissen Fassade sponsored by:
MHZ Hachtel GmbH & Co. KG
Kontakt 0711 / 9751-0 | info@mhz.de