Gibt es Betonstrukturen, die in besonderem Maße anpassungsfähig
sind an sich verändernde Nutzungen? Beispielhaft für eine solch
offene Struktur ist das Fertigteil-Exoskelett des Fabricom-Gebäudes
in Uccle. In den Komplex aus den 1970er-Jahren ist 2022 die
Gemeindeverwaltung der Brüsseler Nachbarstadt eingezogen. Für die
neue Nutzung vorbereitet wurde das Gebäude vom Büro
archipelago.
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Uccle – auf Flämisch Ukkel – liegt im Süden des Brüsseler
Ballungsraums, dem zweisprachigen Zentrum Belgiens. Die rund 80.000
Menschen in der Stadt fanden ihr Rathaus einst in einem kompakten
Backsteinbau aus dem späten 19. Jahrhundert, der sich an der Place
Jean Vander Elst befindet, umgeben von zum Teil historischen
Reihenhäusern. Dies war jedoch nur einer von vielen Standorten, an
denen die Stadtverwaltung untergebracht war.
Diese Situation musste sich ändern, fand die Gemeindevertretung.
Von der Zentralisierung erhoffte sie sich zum einen die Services
für die Menschen der Stadt und die Arbeitsbedingungen für die
Mitarbeitenden zu verbessern. Andererseits sollten sich
Synergieeffekte auszahlen, beispielsweise beim Energieverbrauch.
Anstatt jedoch ein neues Gebäude in Auftrag zu geben, erwarb sie
2014 den ehemaligen Firmensitz des Industriemaschinen-Herstellers
Fabricom. Der viergliedrige Komplex war von 1970 bis 1972 nach
Plänen von C.E.R.A.U. errichtet worden. In veränderter Besetzung
existiert das Architekturbüro noch heute.
Das Gebäude liegt etwas außerhalb des Zentrums an einer Kreuzung
und einer viel befahrenen Straße, auf der auch eine Straßenbahn
verläuft. Die Anordnung der vier Baukörper – zwei sind parallel zur
Hauptstraße, zwei quer zu ihr ausgerichtet – bildet verschiedene
Höfe und Vorplätze aus, die als Grünanlage gestaltet und mit Bäumen
bepflanzt sind.
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Bestandsaufnahme für Bestandserhalt
Als die Stadtverwaltung das Gebäude erwarb, galt es als
monofunktional sowie energetisch und technisch veraltet, aber
zugleich als architektonisch wertvoll. Mit Renovierung und Umbau
wurde das Team von archipelago beauftragt. Zuallererst analysierte
das Architekturbüro ausgiebig das Bestandsgebäude, um die Bauteile
zu identifizieren, die weiterverwendet werden konnten. Dazu
inspizierte das Team den einstigen Fabricom-Sitz nicht nur mit
scharfem Blick, sondern verwendete auch die
Baustellenmanagement-App Aproplan. Diese hilft bei der
standardisierten Erfassung von Bestandsgebäuden mittels Checklisten
und Bauteil-Steckbriefen. Passende Handyfotos von Mängeln und
Schäden können ebenfalls hinterlegt werden. Neben der Bausubstanz
wurde auch die energetische Wirksamkeit der Fassade genau
analysiert, um ihre Elemente so weit wie möglich zu erhalten.
Nutzungsoffenes Betontragwerk
Dazu gehören auch die geschosshohen, in einem Raster von 4,05
Metern angeordneten Betonfertigteilrahmen der Obergeschosse, die
zur Tragstruktur des Gebäudes gehören. Dass sie so gut zu erkennen
sind, liegt an den verschiedenartigen Fugen, Aussparungen, Gesimsen
und Schwellen, und den vielen weiteren Versprüngen. Im Erdgeschoss
ist die Fassade in einfache Stützen aufgelöst. Darüber erscheinen
die Rahmen wie gestapelt, die mit den 40 Zentimeter hohen Trägern
der Geschossdecken verbunden sind. Diese spannen jeweils in
Querrichtung der vier Gebäudeeinheiten und lagern jeweils auf den
mittig im Grundriss angeordneten Stützenreihen und vereinzelten,
aussteifenden Wänden der Sanitär- und Treppenkerne. Einerseits
ergeben sich durch diese offene Struktur viele Freiheiten in der
Grundrissgliederung, andererseits sind die exponierten, für das
Tragwerk bedeutenden Fassadenelemente seit Jahrzehnten dem Wetter
ausgesetzt. Da die Betonteile die thermische Hülle durchdringen,
gab es vor dem Umbau zudem unzählige Wärmebrücken.
Die Regelmäßigkeit der Fassade verschleiert, wie die rund 15.000
Quadratmeter umgenutzt und neu aufgeteilt wurden. Ein neuer,
öffentlicher Eingang befindet sich zur Hauptstraße hin im mittleren
Gebäudeteil. Der frühere Haupteingang bleibt den Mitarbeitenden
vorbehalten. Erhalten blieben die Mauerwerkswände rund um die
Gebäudekerne, die Aufzüge, die Rohrleitungen und der Baumbestand in
den Außenanlagen. Für neue Treppen und Aufzüge wurden in den
Publikumsbereichen Deckendurchbrüche geschaffen. Zwischen dem
ersten und vierten Obergeschoss wechseln sich Großraum- und
Zellenbüros für die 450 Mitarbeitenden ab. Im zurückgesetzten
Dachgeschoss befinden sich unter anderem das Bürgermeisterbüro, der
Ratssaal sowie die Sitzungs- und Veranstaltungssäle der
Stadtverwaltung.
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Energieversorgung im Fokus
Für die Wärmeversorgung arbeitete das Architekturbüro mit dem
kommunalen Wasserversorger Vivaqua zusammen, das an dem neuen
Rathaus ein Pilotprojekt zur sogenannten Riothermie
durchführt. In dem niederländischen Begriff enthalten ist das Wort
„riool“, zu Deutsch „Kanalisation“. Das System funktioniert so: Zur
Wärmeübertragung wird ein Wärmetauscher im Abwassernetz platziert.
Dieser nimmt die Wärmeenergie aus dem Wasser auf, die dann mit
geringer Verstärkung in eine Wärmepumpenanlage eingespeist wird.
Diese wiederum ist mit den neuen Metall-Lamellendecken im
Fabricom-Gebäude verbunden, über die die Räume geheizt und gekühlt
werden. Die Riothermie soll es ermöglichen, 25 Prozent des Wärme-
beziehungsweise Kältebedarfs des Gebäudes zu decken – Energie, die
sonst mit fossilen Brennstoffen erzeugt werden würde.
Ausgetauscht wurde neben der Heizungs- und Lüftungstechnik auch
die Glasfassade. Die alte, bronzefarbene Sonnenschutzverglasung ist
einer deutlich transparenteren gewichen. Für die Gläser in
bronzefarbenen eloxierten Aluminiumrahmen entwarf das
Architekturbüro acht unterschiedliche Sprosseneinteilungen, die die
dominantere Betonstruktur um eine zarte, verspieltere Ebene
ergänzen. Außerdem erhielten die Deckenunterseiten entlang der
Fassade eine Flankendämmung von einem Meter Breite. Durch diese
Maßnahmen ist der Primärenergiebedarf des Gebäudes trotz der
vielen, tragwerksimmanenten Wärmebrücken um mehr als die Hälfte
gesunken.
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Beton: durch Sandstrahlen gereinigt
Im Allgemeinen war der Zustand der Fertigteilfassade gut. Einige
Elemente waren beschädigt, sodass punktuelle Reparaturen
durchgeführt wurden. Über die Jahre hinweg hatten Witterung und
Verschmutzungen Spuren hinterlassen. Um die Betonoberflächen wieder
aufzuhellen und vor künftigen Wettereinflüssen zu schützen, wurden
sie vor dem Einbau der neuen Fenster sandgestrahlt und
hydrophobiert.
Beim Sandstrahlen wird mit Düsen ein scharfkörniges Strahlmittel
unter hohem Druck auf die zu reinigende Fläche geblasen. Gewählt
werden meist Quarzsand oder Schlackensand, die meist trocken zum
Einsatz kommen. Wichtig ist, dass die Betonüberdeckung ausreichend
ist, da die oberste Zementsteinhaut mit den in ihr gebundenen
Verschmutzungen abplatzt und die Gesteinskörnung des Festbetons freigelegt
wird.
Bei Planung und Ausführung ist Vorsicht und Präzision gefragt:
Die Bearbeitung von Bauteilkanten, Aussparungen und ähnlichen
Situationen – wie sie bei der Fassade des Rathauses vielfach
auftauchen – muss im Vorfeld getestet werden. Wie das neue
Oberflächenbild genau aussieht, hängt auch vom Geschick der
Ausführenden ab. Besonders herausfordernd sind vertikale Flächen
von zum Beispiel Stützen, da die Gefügefestigkeit und die
Kornverteilung in der Betonrandzone stark variieren. Bei der
Fassade des Rathauses ist an diesen Stellen ein ungewöhnlich
gleichmäßiges Strahlbild gelungen. -ml
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