Bundesstrafgericht in Bellinzona
Sichtbetonfassade und pyramidenförmige Betonkuppeln mit Lochornament
Durch den Portikus der ehemaligen kantonalen Handelsschule am Viale Stefano Franscini in Bellinzona betreten heute keine Berufsschüler mehr das Gebäude, sondern die Juristen des eidgenössischen Bundesstrafgerichts. Von dem spätklassizistische Bau, 1895 von dem Architekten Emilio Donato entworfen, ist nach der Entscheidung von Bund und Kanton, hier ein Gerichtsgebäude zu realisieren, immerhin der prächtige Kopfbau verblieben und sorgfältig restauriert worden. Das umfangreiche Raumprogramm ist in einem blockgroßen U-förmigen Neubau nahtlos angefügt worden. Gemeinsam versammeln die vier Flügel in ihrer Mitte die von oben belichteten Gerichtssäle. Der Entwurf für das durch einen Wettbewerb entschiedene Projekt stammt von gleich zwei Schweizer Architekturbüros: Die Luganer Architekten Pia Durisch und Aldo Nolli kooperierten mit ihren Churer Kollegen Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner.
Gallerie
In Gebäudehöhe, Farbigkeit und Fensterformaten orientierten sich die Architekten am Altbau, machen aber keinen Hehl aus der Andersartigkeit der drei neuen Flügel. Anstelle von zwei sehr hohen Geschossen sind darin drei normale Bürogeschosse untergebracht. Statt Putz wählten die Architekten hellen Sichtbeton für die Fassade. Auf den ersten Blick beschränkt sich ihre plastische Gliederung auf die durchgängig unten leicht ausgestellten Wandfelder zwischen den Fenstern und den dadurch erzeugten Schattenwurf auf der Linie der Fensterunterkanten. Wer genau hinsieht, erkennt die gewellte Oberflächenstruktur in jeder einzelnen Fensterlaibung, die eindrücklich die handwerkliche Perfektion bei der Ausführung des Sichtbetons dokumentiert.
Der Zugang ins Gerichtsgebäude erfolgt durch den Altbau, wo hinter dem Eingang ein breiter überwölbter Quergang zu den Gerichtssälen überleitet. Im Obergeschoss besetzt eine Cafeteria den im Kopfbau mittigen Raum, der einst als Aula diente und den ein umlaufendes Wandgemälde aus den 1950er Jahren schmückt. Sie wird flankiert von zwei Sitzungssälen. Die wichtigsten Säle jedoch, die, in denen die Gerichtsverhandlungen geführt werden, befinden sich hinter dem Kopfbau im neu eingefassten Innenhof. Ein kleiner Gerichtssaal und der Presseraum nehmen das Besucherfoyer zwischen sich, in dessen Flucht sich der große Gerichtssaal hinter einer breiten Falttür öffnet. Foyer und großer Saal lassen sich für die zumeist öffentlich abgehaltenen Gerichtsverhandlungen zusammenschalten. Seitlich der zentralen Saalgruppe liegen zwei schmale Lichthöfe, die mit ihren langen einläufigen Treppen Orientierung im dichten Raumgefüge schaffen. Gleichzeitig belichten sie die Erschließungsflure der neuen Büroflügel, die sich hierhin loggienartig öffnen.
Beton
Der gesamte Neubau ist als innen und außen glatt geschalter, edler
Rohbau aus weißem Ortbeton errichtet. Die nüchterne Sachlichkeit
der sorgfältig hergestellten Sichtbetonoberflächen (beziehungsweise
des fein geschliffenen, weiß durchsetzten Terrazzos auf den Böden)
kontrastiert mit der organischen Plastizität der spektakulären
Decken- und Oberlichtkonstruktionen des Besucherfoyers und des
großen Gerichtssaales. Über den quadratischen Grundrissen der
beiden Räume erheben sich pyramidenförmig maßwerkartig
durchbrochene Kuppelschalen aus Hochleistungsbeton, die den Sälen
eine geradezu sakrale Wirkung verleihen.
Die von der ARGE Bearth & Deplazes und Durisch + Nolli in
Zusammenarbeit mit dem Zürcher Büro Gramazio & Kohler entworfene
Schalenkonstruktion besteht aus oben gekappten Pyramidenstümpfen,
deren trapezförmige Seitenflächen aus vorgefertigten dreieckigen
Betonpaneelen zusammengesetzt sind. Sie dienen mit ihren runden, in
der Tiefe konisch geformten Aussparungen sowohl der Streuung des
von oben einfallenden Lichts, als auch der Raumakustik. Für die
Herstellung dieser Elemente wurden zunächst mehrteilige Positive
aus Uriol, einem harten Kunststoff computergesteuert ausgefräst,
zusammengefügt und verspachtelt. Anschließend wurden gummiartige
Negativabzüge aus PVC-verstärktem Polyurethan angefertigt, die als
Schalungsmatrizen dienten. Komplizierte Bewehrungen aus
Elementrahmen und Randbügeln ermöglichten dann ein relativ
herkömmliches Betonieren.
Bautafel
Architekten: Bearth & Deplazes Architekten, Chur/Zürich (Valentin Bearth, Andrea Deplazes, Daniel Ladner) und Durisch + Nolli Architetti, Lugano (Pia Durisch, Aldo Nolli)
Projektbeteiligte: Jürg Buchli, Haldenstein, Ingenieurgemeinschaft Edy Toscano AG, Rivera, Conzett Bronzini Gartmann AG, Chur (Bauingenieure); Dorothea Baumann, Zürich, Lanfranchi Ingénierie Informatique et Acoustique, Assens (Saalakustik); Gramazio & Kohler GmbH, Zürich (Spezialisten zur Planung der vorgefertigten Kuppelelemente aus Beton); Erisel SA, Bellinzona (Elektroplanung, Msrl, Security, Brandschutz, Beleuchtung); Amstein + Walthert AG, Zürich (Heizung, Lüftung, Klima, Sanitär, Bauphysik, Beleuchtung); Rolando Spadea e Marco Bondini Sagl, Lugano (Bauleitung, Kostenplanung); Casada SA, Malvaglia (Baumeister)
Bauherr: Eidgenössisches Finanzdepartement EFD, Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, Republik und Kanton Tessin
Standort: Viale Stefano Franscini 7, 6500 Bellinzona, Schweiz
Fertigstellung: 2013
Bildnachweis: Fotograf: Tonatiuh Ambrosetti, Lausanne © Bundesamt für Bauten und Logistik BBL
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