Wohnhaus in Jonschwil
Wohnerlebnis auf kleinem Raum
Von den Dorfbewohnern hätte wohl kaum jemand erwartet, dass ausgerechnet aus der „Schilte Siebni“ – so nennt man in der ländlichen Region das schiefste Gebäude am Ort – ein modernes Wohngebäude entstehen würde: Im beschaulichen Jonschwil im Schweizer Kanton St. Gallen hat das Team von Lukas Lenherr Architektur mitten im Dorfkern auf dem Standort einer alten Remise ein kleines Einfamilienhaus in Holzrahmenbauweise realisiert, das sich durch eine zeitgemäße Interpretation lokaler Bautraditionen gut in das gewachsene Umfeld des Ortes einfügt. Besonderen Wert legte man auf die Verwendung nachhaltiger Baustoffe.
Gallerie
Mit der Längsseite ist der Bau auf dem kleinen Grundstück zur Straße hin orientiert. Einen Parkplatz gibt es nicht, diesen hat man zugunsten eines kleinen Gemüsegartens geopfert. Der schlichte Bau setzt mit einer Fassade aus vertikaler Lärchenschalung, Klappläden und einem Satteldach mit Biberschwanzziegeln auf das Formenrepertoire traditioneller Architektur. Es ist nicht zuletzt dem hiesigen Ortsbildschutz geschuldet, dass der Neubau so Bezüge zur umgebenden Bebauung herstellt. Dank seiner klaren Geometrie wirkt er dabei aber nicht imitierend, sondern prägt seine Umgebung auf zeitgemäße Weise.
Spannungsreiche Raumsequenz mit japanischem Einfluss
Aus der Not des begrenzten Raums machten die Planer eine Tugend, denn sie statteten das Gebäudeinnere mit einer spannungsreichen Abfolge von Räumen aus, indem sie drei zueinander versetzte Zimmer nebst Nasszellen übereinander anordneten. Durch diese Stapelung entsteht eine Sequenz von Räumen, bei der sich der Wohnraum durch Deckenöffnungen und Lufträume unterbrechungslos bis unter das Dach empor schraubt. Horizontal gespannte Netze verstärken den Eindruck von Offenheit. Für die Familie mit zwei Kindern soll so das Wohnen auf kleinem Raum zum Ereignis werden und Verbindungen fördert. Rückzüge sind immer möglich und dadurch auch bewusster zu erleben. Insgesamt erinnert der Ansatz an japanische Wohnkonzepte auf engem Raum.
Wegen eines hohen Grundwasserspiegels verfügt das Haus über keinen Keller, die gesamte Technik findet Platz in einem Schrank im Waschraum. Durch das kleine Gebäudevolumen ist der Energieverbrauch gering und keine große Heizungsanlage notwendig. Die Dämmung der Holzwände besteht aus Holzfaser und Schafwolle. Wärme liefert ein Holzofen, der von einer Bodenheizung im einfach geschliffenen Estrich unterstützt wird. Die Böden in den höheren Geschossen sowie die Treppen bestehen aus Holz.
Gesunde Materialien – unbehandelt und sortenrein
Erinnert die stilbewusste Reduktion und der offene Grundriss mit multifunktionellen Räumen und wechselnden Sichtbeziehungen an japanische Baukultur, so beruht die Tragkonstruktion der Außenwände und des Daches dagegen auf dem traditionellen Riegelhaus, dem schweizerischen Begriff für den Fachwerkbau. Die Fassade wurde vor die Tragkonstruktion gestellt, nach innen bleibt diese offen. Die Dämmstärken fallen nach heutigen Maßstäben mit 140 mm in der Wand und 130 mm plus 35 mm im Dach eher knapp bemessen aus.
Bei der Materialwahl war der Bauherrschaft das Thema Nachhaltigkeit wichtig: Unbehandelt, offen verschraubt und größtenteils unverschnitten, sind die Baumaterialien des Hauses demontierbar und können nach einem Abbruch größtenteils wiederverwendet werden. Das Fundament besteht aus Ortbeton und ruht auf einer Schaumglasschüttung.
Für die Fassade des Holzständerbaus wählte man Lärchenholz, das durch Witterungseinflüsse über die Jahre hinweg das Erscheinungsbild des Gebäudes optisch verändern wird. Auch die unbehandelten Fenster aus Waldkiefer unterliegen diesem sichtbaren Alterungsprozess. Innen wie außen lassen die Planenden die unterschiedlichen Werkstoffe ohne Kaschierungen aufeinandertreffen und auch Spuren der Bauarbeiten bleiben sichtbar. So wird auch im Laufe der Zeit das sichtbar belassene Schraubenbild der Fassaden deutlicher hervorspringen.
Dach: Traditionelles Satteldach in zeitgemäßem Antlitz
Das Dach passt sich mit seiner traditionellen Satteldachform der umgebenden dörflichen Bestandsbebauung an. Für die Deckung wählte man Biberschwanzziegel, die zu den ältesten und bekanntesten Ziegelformen aus Ton gehören. Diese wurden in handwerklich anspruchsvoller Doppeldeckung verlegt. Um im Dachraum möglichst viel nutzbare Fläche zu bekommen, liegt der Dachstuhl auf einem Sprengwerk, sodass die Kräfte in die Außenwände abgeleitet werden und im Raum keine Pfosten stehen müssen.
Dachaufbau (von außen nach innen):
- Biberschwanzziegel doppelt mit Lattung 30/50, 75 mm
- Längslattung 45/50, 45 mm
- Unterdachbahn 0,3 mm
- Weichfaserplatte 35 mm
- Isolation / Holzkonstruktion (bestehend) 130 mm
- Dampfbremse, 0.3 mm
- 3-Schichtplatte aus Nadelholz, 27 mm
Bautafel
Architektur: Lukas Lenherr Architektur, Quinten
Projektbeteiligte: Besmer Holzingenieure, Neumattstrasse (Holzbau); A. Huser Planung + Holzbau, Kirchberg (Holzbau); Spezialbau Huber, Oberuzwil (Betonfundament); Keller Fensterbau Schreinerei, Bazenheid (Fenster); Remo Schönenberger, Kirchberg (Dach); Paul Eisenring, Jonschwil (Heizung/Sanitär); Dobler, Oberuzwil (Elektro)
Bauherrschaft: Privat
Standort: Jonschwil, Schweiz
Fertigstellung: Juni 2019
Bildnachweis: Florian Amoser