Haus am Mühlbach in Südtirol
Monolithisches Herrenhaus mit asymmetrischem Satteldach
Wo das Mühlwalder Tal vom Tauferer Ahrntal abzweigt, liegt die kleine Südtiroler Gemeinde Mühlen in Taufers (Molini di Tures). Früher gab es hier viele Kornmühlen, die die Wasserkraft des Mühlbaches zur Verarbeitung von Getreide nutzten. Heute ist der auf 860 Metern gelegene Ort ein beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen und Skitouren. Hier wünschte sich ein ortsansässiger Bauherr ein Wohnhaus, das repräsentativ, für ihn als Single aber nicht zu groß sein sollte. Mit der Realisierung des bescheidenen „Herrenhauses“ wurden Pedevilla Architekten aus Bruneck beauftragt.
Gallerie
Bewohnter Findling
Die Planenden von Pedevilla
entwarfen ein Haus in der Tradition der „Ansitz“ genannten
kleineren Adelswohnsitze Südtirols, die zwischen dem 15. und 19.
Jahrhundert in der Region entstanden. Regionale Bezüge sollten beim
Neubau sowohl durch die möglichst weitreichende Verwendung lokaler
Baustoffe als auch durch eine Umsetzung in qualitativ hochwertiger
heimischer Handwerkskunst hergestellt werden.
Auf dieser Basis entwickelte man einen skulptural wirkenden Solitär, der sich in die umgebende Berglandschaft einfügt, indem er ähnlich monolithisch daherkommt wie ein abstrahierter Fels. Grund dafür ist neben der asymmetrischen Dachform der Grundriss in Form eines unregelmäßigen Fünfecks. Die quadratischen Fenster wirken willkürlich auf der Fassade verstreut. Die Nordfassade ist oberhalb des Garagentors geschlossen, die Westseite hat immerhin zwei kleine Fenster. Wesentlich offener gestaltet sind die Süd- und die davon abknickende Ostfassade. Hier lassen quadratische Fenster und bodentiefe Fenstertüren Licht ins Haus, das große Eingangsportal heißt Bewohner und Besucher willkommen.
Materialien aus Region und Natur
Seine visuelle Wirkung bezieht das Wohnhaus zusätzlich aus einer einheitlichen Materialwahl. Die Fassadenoberfläche des Ziegelmassivbaus ist Grobputz, der aus Kalk, Weißzement und lokalen Sanden besteht. Sein gräulicher Grundton erhält durch Zuschläge weitere Farbnuancen. Ein nachträgliches Auswaschen des Putzes verschafft ihm eine raue Haptik und interessante Schattierungen auf der Fassade.
Die Dachplatten bestehen aus den gleichen Rohmaterialien wie der Putz. Abgerundet wird das monochrome Gesamtbild durch glatte Fensterbänke aus Weißzement, die individuell von Hand erstellt wurden. Durch handwerkliche Präzisionsarbeit zeichnen sich auch das auskragende Betonvordach über dem Eingang und das handgehobelte Portal aus Ulmenvollholz aus, welches von einem Schnitzer aus dem Grödnertal gefertigt wurde.
Ausblick oder Gemälde?
Von innen betrachtet erklärt sich die zufällig wirkende Verteilung der Fenster: Sie wurden so gesetzt, dass besonders reizvolle Aussichten wie gerahmte Bilder an der Wand erscheinen. Einen fast sakralen Effekt erzielt ein verdeckt gesetztes Oberlicht, dass den ansonsten fensterlosen Essbereich indirekt mit Tageslicht versorgt. Beidseitig eines zentral platzierten Licht- und Luftraums sind die Geschosse in Splitlevel-Bauweise angeordnet. Die Ebenen steigen vom Koch- und Essbereich im Erdgeschoss über verschiedene Wohn- und Schlafzimmer bis zum Kaminzimmer im Dachgeschoss an.
Die warme Farbgebung der Wandoberflächen erzielt ein Innenputz, der aus Sumpfkalk, Marmorsanden und Erdpigmenten besteht. Bauteile aus Naturstein unterstreichen die wohnliche Atmosphäre. Innentüren, Treppen, Fenster, Böden und eigens entworfene Möbel sind aus Ulmenholz gefertigt. Bei dem Naturstein für die Böden handelt es sich um Passeirer Gneis Granat, ein silbern schimmernder Naturstein aus Südtirol mit den Bestandteilen Feldspat, Glimmer und Quarz. Er wurde im römischen Verband verlegt, einem traditionellen Verlegemuster. Ergänzt werden die regionalen Materialien durch Brüstungen, Möbelgriffe, Leuchten und Türklopfer aus Schmiedebronze. Sie wurden nicht in Südtirol, sondern im niedersächsischen Weserbergland gefertigt.
Dach: Handgefertigte, sandgestrahlte Dachplatten
Das asymmetrische Satteldach hat einen sehr geringen Dachüberstand. Bemerkenswert ist die ansteigende Form, welche auf die nach oben strebende Raumfolge zurückzuführen ist. Eingedeckt ist es mit rautenförmigen Dachplatten, die aus Weißzement und Dolomitsanden handwerklich hergestellt wurden. Um eine möglichst getreue Abstimmung in der Textur der Dachplatten mit der Fassade zu erzielen, wurden diese sandgestrahlt.
Dachaufbau:
- Dacheindeckung aus handgefertigten Betonplatten, 30 mm
- Lattung, 30 mm
- Konterlattung, 20 mm
- Unterspannbahn
- Holzfaserplatte/Schalung, 20 mm
- Sandwichelement (nach Statik): Sparren mit 240 mm Steinwolle
zwischen zwei dampfdicht abschließenden Grobspanplatten, je 20
mm
- Putzträgerplatte aus mineralisch gebundener Holzwolle, 30 mm
- Kalkputz, geglättet, 10 mm
Das Objekt wurde mehrfach prämiert, so belegte es etwa den ersten Platz beim Architekturpreis Südtirol 2019 in der Kategorie Wohnen.
Bautafel
Architektur: Pedevilla Architekten, Bruneck
Projektbeteiligte: Ingenieurteam Bergmeister, Vahrn-Neustift (Tragwerksplanung); Markus Gasser, Mühlen in Taufers (Baumeisterarbeiten); Bucher Dachplatten Manufaktur, Fieberbrunn (Betondachplatten); Decor/ Pescoller, Wengen (Putzarbeiten); Moling, St. Martin de Tor; Tischlerei Naga, Wengen, (Fenster, Türen, Treppen, Holzböden und -bekleidungen); südtirol.stein, Terlan (Natursteinböden, Arbeitsplatten); Stockner Laurenz, St. Andrae (Schmiedebronze, Metallarbeiten); FSB, Franz Schneider Brakel, Brakel (Fenster- und Türbeschläge, individualisierte Beschlagskomponenten); Stimpfl, Bruneck (Heizung/ Sanitär); Elektro Leitner, Bruneck (Elektrik/ Beleuchtung)
Bauherrschaft: Privat
Standort: Mühlen in Taufers / Südtirol, Italien
Fertigstellung: 2014
Bildnachweis: Gustav Willet, Corvara