Lernräume als Cluster für flexible Unterrichtsformen
Im Stadtteil Steinrausch von Saarlouis besteht bereits seit 1983
eine Grundschule mit Ganztagsangebot in Form eines expressiven
Rundbaus. Inzwischen zu klein und nicht mehr zeitgemäß, wurde die
Erweiterung der Ganztagsschule vom Freiburger Architekturbüro ABMP
geplant und umgesetzt. ABMP schufen einen Neubau, der im Inneren
überrascht: Die Lernräume sind zu Clustern zusammengefasst. Die
räumliche Vielfalt ist groß, die Nutzung besonders flexibel –
klassische Verbindungsflure gibt es hier nicht.
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Der Frontalunterricht an der Kreidetafel ist größtenteils
Geschichte. Lernkultur und pädagogische Konzepte haben sich
verändert und sind auch weiterhin im Wandel begriffen. Die
Unterrichtsformen sind vielfältiger, um den einzelnen Kindern mit
ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Viele
Schulen – so auch die neue Ganztagsgrundschule Steinrausch –
verstehen sich als offene Schulen, die eine chancengerechte,
hochwertige Bildung ermöglichen wollen. Eine individuelle Form des
Lernens (und nicht des Belehrens) erfordert entsprechend
konzipierte Räume.
Unterrichtsräume oben, Foyer und Mensa unten
Offene Lernlandschaften mit Rückzugsräumen für individuelles
Lernen und flexibel zu Clustern schaltbare Räume sind in neuen
Schulen bereits häufig umgesetzt. Dass ein Flur ganz entfällt, wie
im Obergeschoss der neuen Schule Steinrausch, ist jedoch
ungewöhnlich. Dort befinden sich alle Unterrichtsräume für die etwa
100 Schülerinnen und Schüler, während die von ganzen
Schulgemeinschaft genutzten Räume wie Foyer und Mensa im
Erdgeschoss angeordnet sind. Zwei Treppen und ein Aufzug führen
über die Garderoben in die Lernräume, die sich unterschiedlich
kombinieren lassen. Die insgesamt acht Räume sind in zwei Gruppen
organisiert. Jeweils zwei von vier Klassenzimmern teilen sich einen
Differenzierungsraum, zu dem sich die Tür öffnen oder schließen
lässt. So bleibt kein Kind im benachbarten Raum ausgeschlossen und
die Wege sind kurz. Die drei genannten Räume sind wiederum mit zwei
größeren Gruppenräumen im Innern des Gebäudes verbunden, welche
sich ebenfalls verbinden lassen. Gruppenarbeit, individuelles
Lernen und der klassische Frontalunterricht gehen also fließend
ineinander über.
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Durch das Wegfallen des Flurs entstanden zwei innenliegende
Räume mit jeweils fünf Türen. Licht und Luft erhalten sie über zwei
angrenzende Lichthöfe. Durch das Wechselspiel der Öffnungen ändern
sich die Sichtachsen und Durchblicke, durch die Lichthöfe sogar bis
ins Erdgeschoss und zurück.
Flexibel nutzbare, zusammenschaltbare Räume
Auch das offene, überschaubar gestaltete Erdgeschoss lässt sich
flexibel nutzen. Vom neu gefassten Eingangshof gelangen die Kinder
ins Foyer, das in die Mensa übergeht. Ein an den Bestand
angrenzender Musikraum lässt sich zur Mensa hin öffnen, sodass für
Feste, Konzerte oder andere Veranstaltungen ein extra großer Raum
entstehen kann. Visuell unterstützt wird der räumliche Zusammenhang
durch einen durchgängigen, hellen Terrazzo und eine
Holzlamellendecke. Die Lichthöfe und eingestellte Nebenräume wie
Essensausgabe, Stuhllager oder WCs gliedern die Fläche in einzelne
Funktionsbereiche. Der Pausenhof im Westen ist teilweise überdacht
und von Mensa und Foyer aus zugänglich. Im südlichen und östlichen
Bereich des Erdgeschosses befinden sich Verwaltungsräume und
Kollegiumszimmer.
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Die Lichthöfe (einer ist offen, der andere hat ein Glasdach)
sorgen für Helligkeit und Blickbezüge über verschiedene Ebenen
hinweg. Die Kinder und Lehrer sehen sich und treten in Verbindung
miteinander. Unterstützt wird die offene und freundliche Atmosphäre
durch helle, überwiegend warme Farben und Materialien – in der
Regel Fichtenholz und ein warm getönter Sichtbeton. Mildes
Salbeigrün ergänzt die Farbpalette, etwa bei den Linoleumböden in
den Verwaltungs- und Lehrerzimmern sowie im gesamten Obergeschoss
und bei den Stoffmarkisen. Nur die Bäder leuchten in kühlem
Blau.
Gemeinsamer Eingangshof und verbindende Gestaltung
Obwohl das neue und das alte Schulhaus organisatorisch
weitgehend getrennt sind, fügen sie sich baulich als Einheit
zusammen. Der Altbau von Walter Schrempf ist im Grundriss als
Dreiviertelkreis radial organisiert und durch
Sichtbeton-Wandscheiben gegliedert. Über ein gläsernes,
eingeschossiges Foyer schließt der Neubau im Norden an und
flankiert als kompakter Quader den Hofeingang des alten Schulbaus.
Der auf diese Weise entstandene, gemeinsame Eingangshof geht in
einen überdachten Pausenhof über. Holzlamellen aus lasierter
Weißtanne in engen lichten Abständen bilden die Fassade,
unterbrochen durch raumhohe Fenster. Markante Betonbänder führen
die horizontale Gliederung des ringförmigen Bestandsbaus an dem
kantigen Neubau fort.
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Durch die Konstruktion als Massivbau mit schweren Materialien,
die Verwendung möglichst lokaler Baustoffe, einer hochwertigen
Wärmedämmung sowie einem Energiekonzept mit Nachtauskühlung,
dezentralen Lüftungsgeräten, Wärmetauscher und Photovoltaik auf dem
Dach erreicht das Gebäude Passivhaus-Standard. Die kompakte
Raumorganisation mit minimierten Verkehrsflächen trägt ebenfalls zu
einem sparsamen Energie- und Ressourcenverbrauch
bei.
Brandschutzaspekte
Offene Raumkonzepte sollen Teamarbeit und Selbstorganisation
fördern; an den Brandschutz stellen sie jedoch neue
Herausforderungen. Die rechtlichen Vorgaben sind für flexible
räumliche Strukturen meist nicht ausgelegt. Schulneubauten
erfordern daher oft individuelle Brandschutzlösungen. Mal wird auf
bauliche Unterteilung gesetzt, um Brandausbreitung zu verhindern
und Löschmaßnahmen zu erleichtern, mal spielen automatische
Brandmeldeanlagen eine zentrale Rolle. Werden Leseinseln,
Bibliotheken und weitere Aufenthaltsbereiche in offene Lernzonen
integriert, bergen sie andere, oft zusätzliche Brandrisiken. Um
zeitgemäßen pädagogischen Konzepten zu entsprechen, wäre eigentlich
eine Anpassung der Schulbaurichtlinien notwendig. Pädagogen wie
auch Fachplaner plädieren allerdings auch für eine Flexibilität der
Brandschutzkonzepte, um offene und sichere Lernumgebungen zu
ermöglichen.
Schutzziele sicherstellen ohne Flure
In den meisten Bundesländern ist die Muster-Schulbau-Richtlinie
nicht eingeführt – was sowohl für Pädagogen wie auch (kreative)
Brandschutzplaner mehr Freiheit bedeutet, auf das individuelle
Gebäude einzugehen. Denn gerade das „schutzzielorientierte
Arbeiten“ ermöglicht neue, kreative Schulbaulösungen.
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Im Allgemeinen gehen sowohl Planer wie auch
Baugenehmigungsbehörden von einer klassischen Flucht- und
Rettungswegsituation im Schulbau aus: In den Obergeschossen lassen
sich über lange Flure aus jedem Klassenzimmer zwei getrennte
Treppenräume erreichen, die meist unmittelbar ins Freie führen.
Nach der Musterbauordnung (MBO fünfter Abschnitt, §§ 33
bis 38) bzw. der Umsetzung in die Landesbauordnung (LBO) gilt es
dabei, „lediglich” Anforderungen an Maximallängen der Flucht- und
Rettungswege, an Feuerwiderstandseigenschaften der verwendeten
Materialien und Bauteile sowie gegebenenfalls den technischen
Brandschutz hinsichtlich Rauchmelder und einer Brandmeldeanlage sicherzustellen. In der MBO sind
im fünften Abschnitt auch die Anforderungen an notwendige Flure
bzw. Flure, die als Flucht- und Rettungswege dienen,
festgeschrieben – sofern diese denn existieren.
Evakuierung ohne notwendige Flure
Der „Abschied vom Schulflur” war bei der neuen Ganztagsschule in
Steinrausch möglich, in dem die Räume unterschiedlich interpretiert
werden: Die oberen Funktionsräume werden auch als Verkehrswege
genutzt, während es unten fast nur Verkehrswege gibt, die
eigentlich Nutzräume sind. Im Sinne des Brandschutzes sind die
Räume so geschickt miteinander verbunden, dass in jedem Fall immer
zwei Fluchtwege zur Verfügung stehen. Von den einzelnen Clustern
ist jeweils einer der beiden notwendigen Treppenräume direkt
erreichbar. Sollte dieser Weg im Brandfall versperrt sein, ist das
jeweils andere Treppenhaus über den Durchgang von maximal zwei
anderen Clustern zu erreichen.
Allgemein werden in den Bauordnungen die beiden Begriffe unter dem Rettungsweg zusammengefasst. In Sonderbauverordnungen gibt es dagegen Unterschiede.
Flucht-/Rettungswege
Notwendige Flure
Eine Verbindung zu einem sicheren Ort im Brandfall ist erforderlich, wenn ein bauaufsichtlicher Rettungsweg aus einem Raum oder einer Nutzungseinheit nicht direkt ins Freie oder in einen Treppenraum führt.
Sonderbauten
Schulbauten
Ganz unterschiedliche Schultypen fallen in den Bereich der MSchulbauR. Welche Vorgaben macht diese für Bauteile und Rettungswege, und welche Regelungen gelten für sogenannte Cluster-Schulen?
Grundlagen
Schutzziele im Brandschutz
Bauliche Maßnahmen können einer Ausbreitung von Bränden vorbeugen. Die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten müssen ermöglicht werden.
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