Paul Winter Realschule in Neuburg a. d. Donau
Aufgegliedert und landschaftlich eingebettet
Die Paul Winter Realschule in Neuburg an der Donau wurde 1960 als sogenannte Mittelschule für Knaben durch den Orden der Barmherzigen Brüder im einstigen Klostergarten erbaut. Trotz mehrfacher Erweiterung fand die „PWS“ an ihrem alten Standort ein Ende – aus Platzgründen war ein Neubau unumgänglich. Im Jahr 2021 wurde nach dreijähriger Bauzeit auf einem ehemals landwirtschaftlich genutzten Grundstück vor den Toren der Stadt das neue Schulgebäude eingeweiht. Es entstand nach Plänen einer Arbeitsgemeinschaft der Stuttgarter Behnisch Architekten mit dem Landshuter Architekturbüro Leinhäupl + Neuber und bietet den Kindern und Jugendlichen im Landkreis sehr gute Bildungsbedingungen.
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Die Anlage ist in eine weitgehend freie Landschaft eingebettet. Außer dem schulischen Raumprogramm gehören eine Zweifach-Sporthalle mit Außensportflächen, eine Mensa und Räume für die Ganztagsbetreuung dazu. Anstelle einer kompakten, geschlossenen Anlage, die sich großmaßstäblich unterordnet, bezogen sich die Planenden auf die Gegebenheiten. Sie gliederten die Schule in kleinere Gebäudeteile auf, welche einer freien Ordnung folgen und der Topografie angepasst sind. Wie selbstverständlich fügen sich die einzelnen Bausteine zu einem großen Ganzen – entsprechend der pädagogischen Vielseitigkeit und Heterogenität einer modernen Schule.
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„Schuldorf” mit Marktplatz, Häusern und Straße
Die vier Klassenzimmer eines Jahrgangs gruppieren sich jeweils um einen zentralen Raum, den sogenannten Marktplatz. Die Klassenzimmer der Jahrgänge fünf bis zehn sind als Cluster organisiert. Die sechs als Schulhäuser bezeichneten Cluster, auf zwei Ebenen entlang der sogenannten Schulstraße organisiert, bilden mit dem „Werk- und Kunsthaus“, der Verwaltung, der Nachmittagsbetreuung und einem großzügigen Bereich mit MINT-Fachklassenräumen, Schulküche und Kräutergarten das „Schuldorf“.
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Zentraler Begegnungsraum ist die Schulstraße, welche alle
Schulhäuser und Nutzungseinheiten miteinander verbindet, mal im
Innern, mal über den Außenbereich. So entstand ein fließender
Bewegungs- und Kommunikationsraum auf unterschiedlichen Ebenen. Die
freie Anordnung der Häuser im Wechsel mit verschieden genutzten
Höfen, die von der Schulstraße aus zugänglich sind, stärkt den
Gedanken einer Schullandschaft.
Aula als Eingangsraum und Zentrum
Das Zentrum der Schule bildet die zweigeschossige Aula im Eingangsbereich: Sie bietet Raum für Schul- oder Elternversammlungen, Vorträge und Aufführungen der Kinder. Über eine offene und großzügige Treppen- und Tribünenanlage verbindet die Aula die Eingangsebene mit dem Pausenhof.
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Für eine optimale, kontrollierte Frischluftversorgung wurde ein
neues Lüftungssystem entwickelt. Über dezentral in der
Fassadenbrüstung gelegene Lüftungsgeräte, die zugleich der
Beheizung und Kühlung dienen, wird die vorkonditionierte Frischluft
durch die gelochte Brüstungsverkleidung kontrolliert in die
Räumlichkeiten eingebracht. Technikflächen und aufwendige
Leitungsführungen ließen sich so auf ein Minimum reduzieren.
Sichtbare Stahlbetonwände fungieren als thermische Speichermasse,
hochreflektierende Vorhänge und Verglasungen mit geringem
Gesamtenergiedurchlassgrad verhindern eine Überhitzung der Räume im
Sommer. Diese Maßnahmen sorgen für einen hohen thermischen,
akustischen und visuellen Komfort und ermöglichen einen
energiesparenden Betrieb.
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Brandschutzaspekte: Gebäudeklasse
Ausgangspunkt für die brandschutztechnische Beurteilung eines Gebäudes und die damit verbundenen baurechtlichen Anforderungen ist die Musterbauordnung bzw. die jeweils gültige Landesbauordnung – im Fall der Paul-Winter-Schule die Bayerische Bauordnung (BayBO) – und die Einordnung in eine dort definierte Gebäudeklasse. Die Höhe des obersten Fußbodens des Neubaus beträgt weniger als sieben Meter über Gelände, die Nutzungseinheiten sind kleiner als 400 Quadratmeter. Somit wird das Objekt in die Gebäudeklasse (GK) 3 eingestuft. Weitere Regelungen ergeben sich aus der Nutzung des Gebäudes: Nach Art. 2 Abs. 4 BayBO ist die Schule als bauliche Anlage besonderer Art oder Nutzung (Sonderbau) einzuordnen.
Erster und zweiter Rettungsweg
Wird bei Wohngebäuden gemeinhin der zweite Rettungsweg über Fenster oder Balkontüren mit festgesetzten Mindestabmessungen abgebildet, geht man bei Schulbauten von einer vollständigen Selbstrettung – d.h. der Flucht ins Freie – von Schülerinnen und Lehrpersonal aus. Eine Bergung durch Feuerwehrkräfte mittels Leitern und Hubrettungsfahrzeugen ist alleine schon in Anbetracht der Personenzahl kaum darzustellen. Folglich sind leistungsfähige Treppen notwendig. Die Flucht aus eigener Kraft erfordert einen begehbaren ersten Rettungsweg (Ausgang des Klassenraums – Laubengangsystem – Außentreppen – Erdgleiche und weiter bis zur öffentlichen Verkehrsfläche, Sammelstelle). Wenn dieser erste Rettungsweg z.B. durch Verrauchung ausfällt, muss der zweite Rettungsweg greifen (Redundanz der Rettungswege, vgl. Art. 31 BayBO).
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Neue pädagogische Konzepte brechen die konventionelle parlamentarische Sitzordnung in den Klassen auf. In der baulichen Umsetzung bedarf es größtmögliche Flexibilität der Räumlichkeiten: Der notwendige Flur wird Teil der Lernlandschaft. Brandschutztechnisch bedeutet dies ein Verschmelzen der Räume zu einer Raumgruppe und den generellen Verzicht auf einen notwendigen Flur innerhalb der Lernlandschaft. Aus brandschutztechnischer Sicht ist das grundsätzlich vertretbar, wenn unabhängige Rettungswege in zwei unterschiedliche Richtungen die Flucht ermöglichen. Zusätzlich wird der Bereich durch automatische Rauchmelder mit Notsignal überwacht, was eine Warnung an betroffene Personen zu einem sehr frühen Zeitpunkt sicherstellt.
Halle, Lernhäuser und Cluster als brandschutztechnische
Einheiten
Das Schulgebäude ist von West nach Ost strukturiert in baulich zusammenhängende Teilbereiche/Teilnutzungen. Zu den Rettungswegen gehören mehrere Außentreppenanlagen, erreichbar über ein Laubengangsystem im Obergeschoss. Zusätzlich sind (nicht notwendige) Treppen in der zweigeschossigen Pausenhalle ausgeführt. Weil die Halle für Veranstaltungen (Berufsinfotage, Weihnachtsmarkt u.a.) genutzt wird und dementsprechend für mehr als 200 Personen ausgelegt ist, fällt sie in den Geltungsbereich der Versammlungsstättenverordnung (VStättV). Bei der zweigeschossigen Halle handelt es sich um eine mehrgeschossige Versammlungsstätte.
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Sechs Schulhäuser umrahmen die Pausenhalle, wobei jedes Lernhaus brandschutztechnisch und im Hinblick auf die Rettungswege autark aufgebaut ist. Die Halle bietet Raum für zeitlich begrenzte Schulveranstaltungen, kleine Ausstellungen, Theatervorführungen und Konzerte. Die Klassentrakte sind auf den einzelnen Ebenen als Lernlandschaften zusammengefasst (Lernclusterkonzept). In diesen Bereichen wird kein notwendiger Flur ausgebildet. Die Räume werden zu einer Raumgruppe zusammengefasst, die brandschutztechnisch eine Einheit bildet und gegenüber der benachbarten Raumgruppeneinheit abgeschottet ist.
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Abweichung und Kompensationsmaßnahmen
Anstelle von notwendigen Treppen in Treppenräumen sind Treppen entlang der Außenfassade über ein offenes Gangsystem geführt. Durch deren Lage und Anordnung erreichen die Schülerinnen und Schüler aus jedem Bereich jeweils zwei bauliche Rettungswege. Auch wenn nicht die Qualität eines Treppenraums erreicht wird, weil zum Beispiel bei einem Brand im Erdgeschoss die Außentreppe beflammt werden kann und damit ein Betreten unmöglich wird, kann mittels umlaufender Laubengänge der bauliche Rettungsweg hinreichend sichergestellt werden. Durch die Kompensation über automatische Brandfrüherkennung wird ein Notsignal in den Lernhäusern und in allen Bereichen mit Schülern ausgelöst, womit zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Selbstrettung ins Freie erfolgen kann.
Bautafel
Architektur: Arge Behnisch Architekten, München und ALN Architekturbüro Leinhäupl + Neuber, Landshut
Projektbeteiligte: Andrada Bauer (Projektleitung), Laura Baldelli, Brigitte Hoernle, Yi Feng, Corina Orlea, Yiyang Liu, Felix Bayer, Florian von Hayek, Martin Martinsson (alle Behnisch Architekten); Pablo de la Rubia, Klaus Köstler, Tim Eder, Stefano Baldon, David Wojan, Qendrim Syla (alle Architekturbüro Leinhäupl + Neuber); Grad Ingenieurplanungen, Ingolstadt (Tragwerksplanung); Pfeil & Koch Ingenieurgesellschaft, Stuttgart und HTK Ingenieurbüro Keller, Ingolstadt (HLS-Planung); Ingenieurbüro Höß, Weilach (Elektroplanung); Hackl & Hofmann Landschaftsarchitekten, Eichstätt (Landschaftsplanung); Brandschutzconsulting, München (Brandschutz); Seitz+Müller Projektmanagement, Planegg (Projektsteuerung)
Bauherr: Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, Neuburg a. d. Donau
Fertigstellung: 2021
Standort: Kreuter Weg 10, 86633 Neuburg an der Donau
Bildnachweis: David Matthiessen, Stuttgart
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