Wohnhaus in Gossensaß
Männchen mit warmer Jacke
In Südtirol sind sie weit verbreitet: „Steinerne Mandln“, kleinere Anhäufungen von Steinen, die auf verschiedenen Gipfeln und Almen zu sehen sind. In Gossensaß, einer Gemeinde südlich des Brenners, ist nun ein Wohnhaus entstanden, das in seiner Erscheinung auf jene steinernen Männchen verweist. Die Geschosse des an einem Südhang gelegenen Sichtbetonbaus kragen dabei jeweils leicht über das darunterliegende aus, sodass sie wie geschichtet erscheinen.
Gallerie
Das sogenannte Haus G entstand für eine junge Familie
nach den Plänen des Büros Pedevilla Architects und besetzt einen
bis zu 50 Grad steilen Hang am nördlichen Ortsrand. Bis auf das
oberste Stockwerk mit seiner leicht zurückversetzten, weitgehend
verglasten Fassade sind alle Geschosse zum Teil unterirdisch
gelegen. Den oberen Abschluss bildet ein allseitig gedecktes
Satteldach, das einer Art Hut ähnelt. Der Zugang kann von unten
oder – über eine Terrasse – über die oberste Ebene erfolgen.
Im Kontrast zu der eher kantigen äußeren Erscheinung stehen die
Innenräume, allen voran das Treppenhaus mit seiner elliptischen
Grundrissform und dem mit Silberquarzit versetzten Kalkputz. Für
Böden, Fenster, Türen und Möbel wurde unbehandeltes Tannenholz
verwendet. Die Beschläge sind aus brüniertem Messing, das auf die
Farbe der Sichtbetonflächen abgestimmt wurde. Der bis zu sechs
Meter hohe Hauptraum unter dem Dach wartet mit einem Terrazzoboden
auf und ist oberhalb des Fensterbandes mit einem gespritzten
Kalkputz versehen. In der Dämmerung kann der Dachraum von unten
beleuchtet werden, sodass die Oberflächen noch plastischer
erscheinen.
Beton: Monolithischer Wandaufbau aus Dämmbeton
Die
Außenwände sind monolithisch konzipiert und übernehmen daher alle
Funktionen – den optischen Gebäudeabschluss, den Lastabtrag und die
dämmende beziehungsweise schützende Wirkung – in einer Schicht. Sie
bestehen aus einem konstruktiven Leichtbeton
mit einer Rohdichte von 1.100 kg/m³. Als leichte Gesteinskörnung ließ das Planungsteam
Schaumglasschotter nach UNI EN 13055 - Leichte
Gesteinskörnungen mit einem Größtkorn von 32 mm verwenden. Das
Granulat wurde aus Recyclingglas hergestellt und vom Lieferwerk auf
die für den Dämmbeton notwendige Sieblinie
gebrochen. Weitere Bestandteile der Betonrezeptur sind spezielle
Fließmittel und Luftporenmittel, die die Bindung
des Zementleimes mit der leichten Körnung fördern und für eine noch
bessere Dämmwirkung sorgen.
Sitznischen mit Ausblick
Die Festigkeitsklasse des Dämmbetons beträgt LC 8/9,
die Wärmeleitfähigkeit Lambda liegt bei 0,24 kcal/mh°C
beziehungsweise 0,27 W/mK. Um den für die gewünschte Zertifizierung
erforderlichen U-Wert von unter 0,33 W/m²K einzuhalten, war eine
Wandstärke von etwas über 70 cm notwendig. Das Planungsteam ließ
das Haus G entsprechend mit 75 cm starken Außenwänden realisieren.
Die mit Tannenholz bekleideten Laibungen der Öffnungen, die
gezielte Blicke auf die umliegende Gebirgslandschaft freigeben,
eignen sich aufgrund ihrer Tiefe als Sitznischen zum Ruhen und
Beobachten.
Der Dämmbeton wurde circa fünf Kilometer von der Baustelle entfernt
im Werk gemischt, zum Standort in Gossensaß transportiert und dort
per Kübel in mit Schaltafeln aufgedoppelte Rahmenschalungen
eingebracht. Aufgrund seiner Beschaffenheit erforderte der Beton
ein sorgfältiges und starkes Rütteln. Nach etwa zwei bis drei Tagen
konnte er ausgeschalt werden.
Bräunliches Kleid
Die Gebäudehülle wurde in einem Grau von erdig-brauner Färbung
umgesetzt, durch die sich der Bau in die Landschaft einfügt. Der
Farbton wurde durch Beimischen einer flüssigen Betonfarbe erzielt.
Nicht nur die sichtbaren Wände, auch die erdberührten Außenwände
wurden in Dämmbeton gegossen. Die eingegrabenen Teile der Wände
unterscheiden sich lediglich durch die geringeren Anforderungen an
die Oberfläche, die fehlende Einfärbung und die
Abdichtungsmaßnahmen. Das Dach wurde in konventionellem Beton
gegossen und mit einem herkömmlichen Steildachaufbau versehen. Als
Dämmstoff ließ das Planungsteam Holzfasermatten verwenden. Die
Deckung besteht aus handgefertigten, in Rezeptur und Oberfläche
speziell für das Bauwerk entwickelten Betonschindeln eines Tiroler
Familienunternehmens.
Nachgewiesene Effizienz
Das Wohnhaus erhielt – nach Aussage des Architekturbüros als erstes
Dämmbetongebäude – die italienweit erreichbare Zertifizierung
KlimaHaus A Nature. Rechnerisch ergab sich bei den
Außenwänden ein U-Wert von 0,32 W/m²K, wobei sich die Dämmwirkung
des Betons mit zunehmender Austrocknung wohl weiter verbessern
wird. Im Mittel erreicht die Gebäudehülle laut Energieausweis einen
U-Wert von 0,28 W/m²K. Unter Einbeziehung der intelligenten
Gebäudetechnik entspricht die CO2-Gesamtenergieeffizienz
der noch höheren Klassifizierung KlimaHaus Gold.
-chi
Bautafel
Architektur: Pedevilla Architects, Bruneck
Projektbeteiligte: Bergmeister, Vahrn (Tragwerksplanung / Sicherheit Ingenieurteam); Baukanzlei Sulzenbacher, Bruneck (Geologie); TKON, Abtei (Bauphysik / HLS); Ing. Georg Oberlechner, Rasen-Antholz (Elektroplanung); Lichtstudio Eisenkeil, Bozen (Lichtplanung); Obexer KG, Villnöß (Bauunternehmen); Beton Eisack, Klausen (Beton / Tiefbau); Oberrauch, Vahrn (Zimmererarbeiten / Dachdeckung / Spenglerarbeiten); Bucherplatte, Fieberbrunn (Dachdeckung); Castlunger Metal, St. Martin in Thurn, und Laurenz, Brixen (Schlosserarbeiten); NAGÁ, Wengen (Bautischlerei); Alton, Wengen (Möbeltischlerei); Moling, St. Martin in Thurn (Innenputz / Terrazzo); Icaro Glasstudio, Natz-Schabs (Glaserei); Pöhl – Calore Estetico, Klobenstein (Ofenbau); Auroport, Bruneck (Garagentor)
Bauherr/in: privat
Standort: Gossensaß, Südtirol / Italien
Fertigstellung: 2021
Bildnachweis: Gustav Willeit / Pedevilla Architects, Bruneck
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