Tree-ness House in Tokio
Wo nicht nur Pflanzen Wurzeln schlagen
Die Kunst, auf wenig Raum überraschende Wohnkonzepte zu verwirklichen, haben japanische Architekten perfektioniert. Mit dem Tree-ness House im Norden Tokios hat Akihisa Hirata einen Wohnbau geplant, der wie ein natürlicher Lebensraum, etwa ein Korallenrief oder eben ein Baum, besiedelt werden soll. Nötig ist dazu, seiner Meinung nach, ein gewisses Maß an Verschlungenheit, an Vertiefungen und Ausbuchtungen, um die nutzbaren Oberflächen vergrößern und Nischen entstehen zu lassen.
Gallerie
Umgesetzt hat er sein Konzept in einen von Split-Level und Durchbrüchen geprägten Rohbau, der wie ein Stapel verschieden großer Betonkisten erscheint. In die Öffnungen der Betonkonstruktion sind 17 Fertigteile aus gefaltetem Stahl mit Treppen, Fenstern und Pflanztrögen eingesetzt. Sie machen, durch ihren Kontrast zu den Sichtbetonbauteilen, die Idee der Architektur als Lebensraum, der besiedelt wird, nach außen eindrucksvoll ablesbar. Zudem erinnern die Elemente an die improvisierten Dachgärten, die man in den dichten japanischen Großstädten auf zahlreichen kleineren Wohnhäusern findet.
Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten für Begegnungen und Austausch, die der fünfgeschossige Wohnbau bietet, kann man fast bedauern, dass er im Wesentlichen von einer einzigen Familie bewohnt wird. In den unteren Geschossen betreibt der Bauherr zusätzlich eine Galerie. Zwischen den Ausstellungsräumen und den oberen Stockwerken mit der Hauptwohnung ist nur eine kleine Einliegerwohnung eingefügt, die extern vermietet werden kann.
Hängende Gärten
Die unteren beiden Stockwerke zeigen sich zur Straße hin weitgehend geschlossen. Hier sind ein Stellplatz, Nebenräume sowie ein Teil der Galerie untergebracht. Bei der direkten Nachbarbebauung handelt es sich um zwei- bis dreigeschossige Bauten. Über deren Dächern löst sich die Struktur immer weiter in Betonkisten auf und die von den Entwurfsverfassern als Falten bezeichneten Nischen in der Fassade werden zahlreicher und zeigen sich üppiger bepflanzt.
Die Split-Level-Ebenen und die durchgesteckten Lufträume, die sich durch das Prinzip der Stapelung der Betonboxen ergeben, sorgen vor allem im Erschließungsbereich für Vor- und Rücksprünge, unerwarteten Tageslichteinfall und ungewohnte Ein- und Durchblicke. Großflächige Verglasungen etwa schaffen Sichtverbindungen zwischen den durch ein Atrium getrennten Wohnräumen des Eigentümers.
Zwei Dachterrassen bilden den oberen Abschluss des Hauses. Man erreicht sie über schmale steile Treppen, die über die Schiebefenster des Wohn- beziehungsweise Schlafbereichs betreten werden können. Die zur Rückseite orientierte Terrasse hat besonders opulente Vegetation und kann als ein Garten über den Dächern der Stadt gelesen werden.
Beton: Stahlteile in Feinbeton gehüllt
Die Mischkonstruktion des Rohbaus besteht aus Stahlbeton
und vorgefertigten Stahlbauelementen. Fassaden und
Erschließungszonen sind in Sichtbeton ausgeführt, der im Außenbereich
abschließend hydrophobiert wurde. Bei den besonders
wetterbeanspruchten horizontalen Bauteilen wurde
wasserundurchlässiger Beton verwendet und mit einer
semitransparenten weißen Beschichtung versiegelt. Die Außenwände
sind innen gedämmt. In den Wohnräumen sind die Wände teils weiß
gestrichen, in Teilbereichen mit Holz verkleidet.
Die Sichtbetonwände zeigen ein von Schaltafeln in
Standardformaten geprägtes Schalungsbild mit weitgehend
durchlaufenden Schalungsfugen. Auffallend sind die zahlreichen,
regelmäßigen Ankerlöcher, die für japanische Sichtbetonbauten
typisch sind. Im Bereich der sogenannten Falten ging man
ungewöhnlich vor: Wenn möglich, wurden Teilbereiche vor dem
Einsetzen der Fertigteile auf konventionelle Weise betoniert. Meist
jedoch setzte man zunächst die vorfabrizierten Stahlteile ein.
Anschließend schweißte man auf deren Außenflächen Halterungen für
die Betonanker und verlegte eine Edelstahlbewehrung. In die davor
gesetzten, maßgefertigten Holzträgerschalungen kam dann ein
Feinbeton mit einer Schichtdicke von acht Zentimetern und einer
Rezeptur auf Basis von Quellzement. Damit wurde das Schwinden des
Baustoffs im Hydratationsprozess – das aufgrund der Begrenzung
durch die Stahlbauteile zu erheblichen Rissen geführt hätte –
reduziert. Nach der Hydrophobierung scheinen die Oberflächen
der Betonwände und der Feinbetonbekleidungen beinahe nahtlos
ineinander überzugehen.
Das Tree-ness House zeigt einige Details, die bei Berücksichtigung deutscher und europäischer Baustandards nicht denkbar wären. Dazu zählt auch der unkonventionelle Ablauf des Regenwassers, das auf den leicht geneigten Dachflächen – die immerhin in wasserundurchlässigem Beton erstellt wurden – in rinnenförmigen Vertiefungen geführt wird. -chi
Bautafel
Architekt: Akihisa Hirata Architecture Office, Tokio (Team: Akihisa Hirata, Yuko Tonogi, Oba Kohei, Masatoshi Sugiyama)
Projektbeteiligte: OAK, Masato Araya, Tokio; tmsd, Takashi Manda und Taijiro Kato, Kobe (Tragwerksplanung); EOS plus, Kazuhiro Endo und Sho Takahashi (HLS-Planung); Onshitsu, Yuichi Tsukada (Grünplanung); Yoko Ando Design, Yoko Ando und Kasumi Yamaguchi (Textildesign); Oharakomusho, Akira Ohara und Satoshi Kikuchi, Tokio (Rohbau); Ikegami, Yasuyuki Ikegami (Bepflanzung)
Bauherr: Privat
Standort: Otsuka, Bezirk Toshima, Tokio, Japan
Fertigstellung: 2017
Bildnachweis: Vincent Hecht
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