Wohnhaus in Weißensberg
Dämmbetonquader mit Glasfaserbewehrung
Der Traum vom Eigenheim mit viel Platz zum Leben, viel Abstand zum Nachbarn und für möglichst wenig Geld hat auch in der kleinen Gemeinde Weißensberg nahe Lindau eine heterogene Mischung bestenfalls belangloser Eigenheime um die wenigen erhaltenen Bauernhäuser entstehen lassen. Die Architekten und Bauherren Heike Nickel und Ralf Bernhardt zeigen, wie es besser geht. Sie haben einen schlichten Sichtbetonbau entworfen, der wie ein behauener Felsblock in der Landschaft liegt. Für die Architekten liegt der Schlüssel zur regionalen Baukultur nämlich nicht in der Anbiederung an die noch vorhandenen Bauten, sondern in der Rückbesinnung auf das Wesentliche – von der Materialwahl über die Grundrissgestaltung bis zur Technik.
Gallerie
Beton und Holz prägen das zweigeschossige, 155 Quadratmeter große und nicht unterkellerte Wohnhaus: Beton für Außenwände, Decken und einen Teil der Innenwände, Holz für Einbauten, Bodendielen, Treppen und Wandverkleidungen. Die Douglasien für den Innenausbau haben die Bauherren selbst gefällt und für die Verarbeitung vorbereitet. Hilfreich war dabei gewiss die Ausbildung zum Tischler, die Ralf Bernhardt absolviert hat. Durch die geschickte Grundrissaufteilung und feste Einbauschränke bzw. -regale ließ sich der Flächenbedarf für die fünfköpfige Familie deutlich reduzieren: Das Erdgeschoss bietet mit Wohn- und Essbereich sowie der multifunktional nutzbaren Übergangszone dazwischen viel Raum für den gemeinschaftlichen Aufenthalt. In einem Betonkern sind der Hauswirtschaftsraum und das Gäste-WC untergebracht, im Geschoss darüber das Familienbad. In der oberen Etage befinden sich auch die Schlafräume. Mit jeweils etwa elf Quadratmetern sind sie zwar recht klein, da Kleidung, Spiel- und Schulsachen jedoch in den wandintegrierten Einbaumöbeln verschwinden, ist der Platz ausreichend. Die Kinderzimmer lassen sich untereinander mit Schiebetüren verbinden, der Flur dient als Spielfläche. In einem Nebengebäude gibt es außerdem einen Hobby- und einen Lagerraum, daneben ist der Carport angeordnet.
Die Decke über dem Erdgeschoss wird von den Außenwänden, einer Betonscheibe neben der Treppe und dem Betonkern getragen. Im Obergeschoss waren aufgrund der Fensterbänder auf der Ost- und Westseite zusätzliche Stahlstützen notwendig: In den Kinderzimmern verstecken sie sich in den Holzbauwänden, im Flur sind sie innen vor dem Fensterband angeordnet. Beim Energiekonzept war es den Architekten wichtig, auf komplizierte Technik zu verzichten. Holz und Beton übernehmen auch hier zentrale Aufgaben: Das Holz dient als Brennstoff für den Grundofen, mit dem das Gebäude beheizt wird, Beton dient als Speichermasse und Dämmung zugleich. Der Energiestandard entspricht einem KfW-Effizienzhaus-70. Laut Bernhardt hätte das Haus eine günstigere Einstufung erhalten, wenn man nicht die herkömmliche, sondern eine dynamische Berechnung zugrunde legen würde, bei der unter anderem die Speichermasse der Wände berücksichtigt wird.
Beton
Die Wahl von Leichtbeton für die Außenwände begründete sich in
dem Wunsch nach einer monolithischen Bauweise. Die Gebäudehülle
sollte aus einem Material bestehen, sollte Tragstruktur, Dämmung
und Fassade zugleich sein. Verbaut wurde ein haufwerksporiger Leichtbeton der
Druckfestigkeitsklasse LC 8/9 mit Glasschaumschotter als Gesteinskörnung. Für seine Tragfähigkeit sorgen
Korngrößen zwischen 30 und 50 mm, eine Glasfaserbewehrung und ein
spezielles Zusatzmittel.
Die 45 cm dicken Außenwände wurden in vier L-förmigen Abschnitten betoniert. Die unteren beiden Abschnitte reichen ohne Unterbrechung bis zu den Brüstungen der Fenster im Obergeschoss. Damit sollte zum einen vermieden werden, dass sich die Lage der Decke als Zäsur von außen abzeichnete. Zum anderen mussten dadurch die Brüstungen der Fensterbänder nicht über Rohre befüllt werden, was bei dem zähflüssigen Dämmbeton zu Qualitätsmängeln geführt hätte. Die Eigenschaften des Betons machten es außerdem erforderlich, die Bewehrungsmatten an den Stößen mit den Öffnungen exakt übereinander zu verflechten. Nur so konnte sich der Beton durch die Bewehrung hindurch optimal verteilen. Die Bewehrung wurde auf das Mindestmaß reduziert, was – zusammen mit einer empfohlenen Betonüberdeckung von immerhin 50 mm – zu den erwarteten feinen, jedoch nicht störenden Haarrissen an der Oberfläche führte.
Bei der Betonage der ersten beiden Abschnitte kamen vier Meter hohe Schalungselemente zum Einsatz. Im Bereich der Decke wurde eine Schalungseinlage eingefügt, um später die Ortbetondecke einbringen zu können. Diese liegt nur fünf Zentimeter auf den Wänden auf und wird zusätzlich durch eingebohrte und verharzte Bewehrungselemente gehalten. Die Deckenplatten sind nicht in Leichtbeton ausgeführt, da dafür in Deutschland die bauaufsichtliche Zulassung fehlt. Stattdessen wurde Stahlbeton der Festigkeit C 25/30 verwendet. Auch die tragenden Innenwände, deren Speichermasse ausgenutzt werden sollte, sind mit diesem Beton erstellt und wurden abschließend mit einem Schleifpad poliert. Die Bodenplatte besteht aus WU-Beton.
Die lebendige Oberfläche der Außenwände resultiert daraus, dass
nicht mit einer Sichtbetonschalung, sondern konventionell geschalt
wurde, was die Baukosten senkte. Zum anderen stockten die
Architekten die fertigen Betonfassaden in Eigenleistung. Die
unebene Oberfläche soll den felsartigen Eindruck der Hülle
verstärken. Eine hydrophobierende Schicht, die abschließend
aufgebracht wurde, schützt den Beton vor eindringender
Feuchtigkeit. -chi
Bautafel
Architekten: rh architektur, Ralf Bernhardt und Heike Nickel, Weißensberg
Projektbeteiligte: Mader & Flatz Ziviltechniker, Bregenz (Tragwerksplanung), Boll Bauunternehmen, Hegatz (Bauausführung); Heidelberger Beton / Werk Niederwangen, Wangen im Allgäu (Beton); Technopor Dämmbeton, Krems an der Donau (Glasschaumschotter)
Bauherren: Ralf Bernhardt und Heike Nickel, Weißensberg
Standort: 88138 Weißensberg
Fertigstellung: 2015
Bildnachweis: Darko Todorovic, Dornbirn
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