Wohnhaus in Ullastret
Bruchstücke der Vergangenheit
Ganz im Osten der iberischen Halbinsel ruht auf einem kleinen Hügel die Gemeinde Ullastret. Das Zentrum bildete einst ein Kastell, von dem noch einige Teile der mächtigen, aus Naturstein geschaffenen Außenmauern und Türme erhalten sind. Auch die Häuser, die sich um diese Mitte scharen, sind von Bruchsteinmauerwerk geprägt. In den dichter bebauten Gebieten werden die schmalen Straßen beidseitig von Wohnbauten mit solchen Außenwänden begrenzt, und auch die Gärten an den Ortsrändern sind von gemauerten Einfassungen umgeben.
Gallerie
Das Grundstück, auf dem der von Harquitectes geplante Neubau errichtet werden sollte, war zur Straße hin ebenfalls mit einer Bruchsteinmauer abgeschirmt. Durch den unregelmäßigen Verband und die unterschiedlichen Höhen wirkte das Bauwerk wie eine gewachsene Struktur mit eigenem Charakter. Da der Bebauungsplan eine Verbreiterung der sehr schmalen Straßen vorsieht, war ein Abriss jedoch unumgänglich.
Ein Haus, das aus der Mauer wächst
Das Planungsteam stand vor der Herausforderung, mit dem Neubau den Kontext wiederherzustellen und zugleich für die Bauherrschaft einen Zweitwohnsitz mit engem Bezug zum privaten Außenraum zu entwickeln. Die ungewöhnliche Lösung: Statt das Haus villenähnlich mitten in den Garten zu platzieren, begleitet das Bauwerk durchgehend die Straßenkante. Die neue Begrenzungsmauer ist gleichzeitig die Außenwand des Gebäudes – der Garten wird abgeschirmt und ist als zusammenhängende Fläche erlebbar.
Während das Haus von außen betrachtet als zusammenhängendes, L-förmiges Volumen wahrgenommen wird, zeigt es sich nach innen zum Garten hin als eine Aneinanderreihung verschiedener Bereiche. Durch eine schottenartige Struktur wirken diese wie ähnlich große Raummodule, die miteinander kombiniert wurden. Tatsächlich lassen sich im Grundriss vier Baukörper ablesen, zwischen denen Loggien und der nach Norden orientierte Zugang zum Grundstück angeordnet sind; den östlichen Abschluss des Ensembles bildet eine Durchfahrt.
Offenheit nach innen
Vom Eingangsbereich aus lässt sich der Baukörper mit den Wohn- und Essbereichen sowie der Küche erschließen. Eine weitere Tür führt zu den drei privaten Räumen, die alle mit Bädern ausgestattet sind und in ihrer Gleichförmigkeit an Hotelzimmer erinnern. Der Innenausbau der Raumeinheiten sind im Allgemeinen so organisiert, dass alle statischen Elemente – Bettnische, Bad, Küchenzeile, Kamin – zur Straße hin orientiert sind, während zum Garten hin Raum für flexible Nutzungen bleibt. Das Grundstücksgefälle wird jeweils mit einzelnen Stufen ausgeglichen. Ganz im Süden sitzt ein Modul, das nur vom Garten aus betreten werden kann. Es beherbergt ein Büro mit integriertem Sanitärbereich sowie einen Stauraum.
Bis auf die zur Straße hin orientierte Eckzone wenden sich alle Räume des Hauses mit raumhohen Fenstertüren zum Garten. In der kalten Jahreszeit fallen die wärmenden Lichtstrahlen über die Süd- und Ostseite ein und der Beton dient als Speichermasse. In der warmen Jahreszeit lässt sich der Wohnbereich komplett öffnen, sodass er scheinbar zur Veranda wird – Außenraum und Haus scheinen miteinander zu verschmelzen.
Beton: Betoniertes Mauerwerk
Alle Wände des Bauwerks sind in Beton ausgeführt und tragend, wobei die Dicken und die Zusammensetzung je nach Anforderung variieren. Um eine helle, sandfarbene Anmutung zu erreichen, wurde der Mischung gemahlener Kalkstein zugegeben. Weitere Bestandteile des Betons sind neben Zement und Wasser eine lokale Körnung sowie Erde, die vom Grundstück stammt. Mit einem Glasschaumgranulat wird die Dämmwirkung des Betons im Bereich der Außenwände verbessert.
Da das gesamte Bauwerk eingeschossig ausgeführt ist und keine größeren Lasten zu erwarten sind, konnte auf eine Bewehrung verzichtet werden. Die Erstellung der Wände wirkt beinahe archaisch: Zwischen zwei Schaltafeln – gehalten von einem einfachen Holzgerüst – wurde in 20 cm hohen Schichten Beton eingebracht. In die Wand integrierte das Planungsteam zur Straße hin Bruchstücke der abgerissenen Mauer. Anschließend wurde der Beton glatt gestrichen und härtete aus, bevor die nächste Schicht folgte. Dieses Vorgehen wirkt wie eine Mischung der Herstellungsweise von Stampfbetonwänden und Bruchsteinmauerwerk.
Wiederauferstehung in neuem Gewand
Die Fenster in der Außenwand wurden als separate Elemente mit sich nach außen verjüngenden Laibungen betoniert. Nach der Fertigstellung der Betonarbeiten ließ das Planungsteam die Oberflächen der Fassade handwerklich bearbeiten, sodass die Struktur der eingelegten Steine sichtbar wird und die ursprüngliche Mauer in gewisser Weise wieder erscheint.
Unbearbeitet blieben die Bereiche rund um die Fenster. Dieser glatte Rahmen weist nicht nur auf die zeitgenössische Herkunft der Wand hin, sondern findet seine Entsprechung auch in den traditionellen Häusern des Orts, bei denen die Öffnungen im Kontrast zu den übrigen Wandbereichen meist mit glatten, größeren Steinblöcken gefasst sind.
In den Innenräumen sind die Betonwände unbearbeitet und zeigen die geschichteten Betonierabschnitte sowie die Fugen zwischen den Schaltafeln. Die Decken sind zur Straße hin im Bereich der Schlafnischen und Bäder ebenfalls vollflächig in Kalksteinbeton ausgeführt. Zum Garten hin und im Wohn- und Essbereich finden sich Hohlsteindecken, die sichtbar belassen wurden. -chi
Bautafel
Architektur: HARQUITECTES, Barcelona (Team: David Lorente, Josep Ricart, Xavier Ros und Roger Tudó mit Montse Fornés und Maya Torres)
Projektbeteiligte: Burgos Gasull, Girona (Generalunternehmer); Poraver, Schlüsselfeld (Dämmung, Blähglas); Fusteria Serradell, Girona (Türen); Iscletec, Barcelona (Fenster)
Bauherrschaft: privat
Standort: Ullastret, Girona, Spanien
Fertigstellung: 2017
Bildnachweis: Adrià Goula, Barcelona
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