Atelier in Rancate
Schwebende Kreativscheune
Das kleine Dorf Rancate gehört mit seinen knapp 1.500 Einwohnern zur Gemeinde Medriso im schweizerischen Tessin. Als neuen Standort ihres Architekturbüros haben Stocker Lee Architetti in der Via Molino Nuovo ein Atelierhaus entworfen, das für die in der Schweiz wie auch in Korea tätigen Architekturschaffenden ein Ort des kreativen Rückzugs sein soll. Diese Haltung drückt sich in der Architektur aus: Das Erdgeschoss ist zur Hälfte ins Erdreich eingelassen. Dach und Fassaden verschmelzen in einer kapselartigen Satteldachform, die sich scheinbar schwebend über die Arbeitsräume stülpt.
Gallerie
Geprägt ist die Umgebung des länglichen Grundstücks von Gewerbe- und Wohnbauten sowie von hohen Bäumen und Gärten. Durch die tiefer gelegte Bauweise und die geschlossene Gebäudehülle entsteht der Eindruck, dass sich das dreigeschossige Atelierhaus unter die hohen Bäume duckt. Dass hier dennoch kein „Kellergefühl“ aufkommt, liegt an dem rundum verlaufenden Fensterband. Es sorgt nicht nur für überraschend helle Lichtverhältnisse im Innenraum, sondern weckt von außen zudem den Eindruck, das Erdgeschoss würde sich, über einem gläsernen Sockel schwebend, aus dem Erdreich heben.
Arbeiten auf der Nulllinie
Die Blickhöhe vom Arbeitsplatz im Innenraum ist ebenerdig, sodass die umgebende Landschaft aus der Froschperspektive wahrgenommen wird. Die Architekturschaffenden planten dies, um zu „Entwerfen, Denken und über Architektur zu diskutieren, während der Blick auf der Nulllinie der Geländeoberkante ruht“. Auf einer Grundfläche von 6,60 x 17,60 Metern erstreckt sich das Atelier über ein Keller-, ein Erd- und ein offenes Galeriegeschoss. Sie werden über ein zentrales Treppenhaus aus Beton erschlossen. Im Untergeschoss befinden sich Flächen für Modellbau, für die Technik sowie Archivräume. Das Erdgeschoss umfasst einen doppelgeschossigen Gemeinschaftsraum sowie einen Sitzungsraum. Ein weiterer Arbeitsbereich befindet sich im Obergeschoss.
Die Grundstücksgrenzen bilden Stützmauern mit integrierter Außentreppe aus Sichtbeton, die der Einfassung der um das Erdgeschoss aufgeschütteten Erdmasse dienen. Das Untergeschoss besteht ebenfalls aus Beton. Dieser Gebäudesockel wird bis unterhalb des Fensterbandes fortgeführt, wo er sich als Brüstung zu einer Arbeitsfläche nach innen ausfaltet. Für die Tragkonstruktion des Hauses oberhalb des Erdreichs verwendete man vorfabrizierte, hell lasierte Holzelemente. Insgesamt 29 Holzträger geben dem Gebäude Stabilität und Rhythmus.
Dach: Satteldach mit zwei Fensterbändern
Die kompakte Kubatur des Atelierhauses ist von traditionellen Scheunenbauweise inspiriert. Fehlende Dachüberstände und einheitliche Materialität tragen zum Eindruck bei, die Gebäudehülle sei wie aus einem Guss. Jedoch stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass für die Verkleidung durchaus unterschiedliche Materialien zum Einsatz kamen: Auf dem Dach und an den Längsseiten verwendete man rostbraune Dachziegel, die Querseite zieren Klinkerriemchen im gleichen Farbton.
Bedingt durch das Fensterband enthält die darüberliegende Gebäudehülle nur wenige Fensteröffnungen. Das Satteldach schließt nicht wie üblich mit dem First ab, sondern verfügt über seine ganze Länge über ein weiteres, aufgesetztes Fensterband. Von außen sieht es aus wie eine Lüfterhaube, die man öfter bei Scheunen findet. Im Innern erst kommt die Verglasung, die die Haube nach oben abdeckt, zur Geltung. Sie sorgt für viel Licht im Dachgeschoss, ohne Einblicke ins Gebäude zuzulassen.
Dachaufbau (von außen nach innen):
- Dachziegel aus Ton
- Dachlatten aus Holz, 40 mm
- Hinterlüftung, 56 mm
- Abdichtung
- Dämmstoffplatten aus Holzfaser, 35 mm
- Isolierung aus Steinwolle, 200 mm
- Dampfbremse
- Brettschichtholzplatten, dreilagig, 25 mm
- Dachbalken aus Holz, 320 mm
Bautafel
Architektur und Bauherrschaft: Stocker Lee Architetti, Rancate
Fertigstellung: 2019
Standort: Via Molino Nuovo 11, 6862 Rancate, Schweiz
Bildnachweis: Simone Bossi, Paris / Mailand; Stocker Lee Architetti, Rancate