FHNW Campus Muttenz
Belüftung durch Überströmung
Muttenz, nur wenige Kilometer östlich von Basel, kann man durchaus als Industriestadt bezeichnen. Zu der Einwohnergemeinde (so die offizielle Bezeichnung) gehören der Rangierbahnhof Basel-Muttenz, einer der größten im europäischen Raum, sowie das bekannte Industriegebiet Schweizerhalle. Der Rhein bildet die Stadtgrenze nach Norden und ist in diesem Bereich zugleich die Grenze zu Deutschland. Deutlich spürbar sind die industriellen und infrastrukturellen Ausläufer von Basel. Hinzugekommen ist nun auch ein Gebäude der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) nach Plänen von Pool Architekten.
Gallerie
Der 14-geschossige, unterkellerte Neubau des FHNW Campus
Muttenz bildet als östlicher Abschluss eines Gewerbegebietes
entlang der Gleisanlagen den Übergang zum Wohngebiet. Er vereint
die fünf Fachbereiche Architektur, Life Sciences, Pädagogik,
Soziale Arbeit und Mechatronik unter einem Dach. Die Ausschreibung
forderte dementsprechend auch stolze 65.000 Quadratmeter
Geschossfläche. Die Planenden übersetzten diese Vorgabe in einen
annähernd kubusförmigen Baukörper mit einer Grundfläche von 64,5 x
72 m und einer Höhe von 64,5 m. Der Kubus besitzt im Vergleich zum
Quader ein deutlich besseres A/V-Verhältnis, wodurch der
Energiebedarf geringgehalten wird. Östlich des Baukörpers befindet
sich ein weitläufiger Vorplatz sowie eine große Grünfläche, die
zwischen dem Campusgebäude und der niedrigen, kleinteiligen
Wohnbebauung vermittelt.
Von außen ablesbares Innenleben
Neben der Kubatur fällt auch die bronzefarbene
Fassadenbekleidung ins Auge. Die Gliederung der Fassade macht die
Funktionen im Inneren weitgehend von außen ablesbar. Über dem
verglasten Sockel, der Aula, Mensa und Caféteria beherbergt, liegen
die Hörsäle, verborgen hinter einer weitegehend geschlossenen
Fassade. Das dritte Obergeschoss, von den Verantwortlichen als
Beletage bezeichnet, zeigt sich wieder rundum verglast. Hier sind
die Bibliothek und andere gemeinschaftlich genutzte Bereiche
untergebracht. Ein großes, zentrales Atrium verbindet die Ebenen
bis hierhin über einen gemeinsamen Luftraum miteinander. Sechs
diagonal verlaufende, sich kreuzende Treppen aus Sichtbeton
durchschneiden diesen und inszenieren damit das Atrium als
Kommunikations- und Begegnungsraum auf unterschiedlichen
Höhen.
In den Ebenen darüber ändert sich die Typologie des Hauses. Ein
35 Meter langer, achtgeschossiger Riegel teilt den Luftraum in zwei
schmale Lichthöfe. Diese dienen der Versorgung der Institutsräume
mit Tageslicht. Während die darunterliegenden Stockwerke
größtenteils doppelgeschossig ausgebildet sind, ist die Raumhöhe
hier, in den etwas privateren Bereichen deutlich geringer. Hinter
der geschlossenen Fassade des Dachgeschosses verbirgt sich die
Gebäudetechnik.
Architektur und Haustechnik intelligent verknüpft
Die Belüftung eines solch kompakten Bauwerks ist eine
Herausforderung, die vor dem Hintergrund aktueller
Energiesparverordnungen ohne raumlufttechnische Anlagen nicht
möglich wäre. So hat das Ingenieurbüro Kalt + Halbeisen aus Zürich
ein pragmatisches und intelligentes Überströmkonzept entwickelt,
das der Komplexität des Bauwerks gerecht wird: Die Zuluft erfolgt in
den oberen Geschossen über in den Betonrippendecken sichtbare
Leitungen, in den öffentlichen Stockwerken ist die Zuluft wegen der
raumakustischen Anforderungen verdeckt ausgeführt. Steigt der
Luftdruck in den Räumen nun, entweicht sie über Überstromöffnungen
in den Trockenbauwänden in die Flure und von dort aus ins große
Atrium. Die Abluft steigt dann über das Atrium und die beiden
Lichthöfe auf zum Dach, wo sie – mit Wärmerückgewinnung – nach draußen gelangt.
Dadurch lassen sich die Installationskosten und die Kosten für die
Antriebsenergie deutlich reduzieren. Ein weiterer Vorteil: Im Falle
eines Brandes saugen Turbinen unter dem Dach den Rauch aus dem
Atrium direkt nach draußen.
Schallschutz trotz Luftverbindung
Auf der Raumakustik des Campus-Gebäudes lag ein wichtiges Augenmerk bei der Planung. Während Holzlamellen, spezielle Betonelemente und Akustikvorhänge den Schall absorbieren, sorgen die Luft-Überströmelemente für eine Schalldämpfung von Raum zu Raum. Sie sind mit einer nicht brennbaren, hochwirksamen Innenauskleidung versehen, die für die Schallabsorption zuständig ist. Verbaut sind zwei Varianten: Das Standardelement hat einen 1.200 x 230 mm großen Luftkasten und ist für den flächenbündigen Einbau in schmalen Trennwänden geeignet. Der vom Raum aus sichtbare Schlitz wurde als 2 cm hohe, offene Schattenfuge ausgebildet, die als durchlaufend schwarzes Band über jeweils drei Wandelemente optisch in Erscheinung tritt. Eine Sonderanfertigung befindet sich in den besonders hochwertig gestalteten, 20,5 cm dicken Leichtbauwänden der Hörsäle im ersten und zweiten Obergeschoss. Die Besonderheit dieser Trennwände sind vertikal verlaufende Holzlamellen aus massiver Eiche auf der Außenseite, in die Überströmschlitze optisch unauffällig integriert wurden. Hierfür wurden Überströmelemente mit extra langem „Hals“ angefertigt, um die Wanddicke zur Flurseite hin zu überbrücken. Damit sind die rund 1.000 Überströmelemente im Gebäude nahezu unsichtbar und erfüllen doch die hohen Ansprüche an Entlüftung und Schallschutz. -tg
Bautafel
Architektur: pool Architekten, Zürich
Projektbeteiligte: Kalt+Halbweisen Ingenieurbüro, Zürich (Haustechnik HLKS); Studio Vulkan, Zürich (Landschaftsarchitektur); Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich (Bauingenieure); Pro Engineering, Basel (Elektroplanung, Zugangskontrolle); Emanuel Tschumi Grafik Design, Zürich (Signaletik); Reflexion, Zürich (Lichtplanung); gkp Fassadentechnik (Fassadenplanung); Applied Acoustics, Geltrekinden (Akustik); Neuhaus Akustische Architektur, Füllinsdorf (Akustik Atrium)
Bauherrschaft: Hochbauamt Kanton Basel-Landschaft, Liestal / Fachhochschule Nordwestschweiz, Windisch
Fertigstellung: 2018
Bildnachweis: FHNW Campus Muttenz | Zeljko Gataric, Zürich; Andrea Helbling, Zürich; pool Architekten, Zürich; Kiefer Luft- und Klimatechnik, Stuttgart
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