John Cranko Schule in Stuttgart
Eisspeicher und Betonkernaktivierung
Sie gehört zu den besten Häusern der Welt, an denen junge Tänzerinnen und Tänzer ihren Traum einer großen Karriere zu verwirklichen suchen: die John Cranko Schule in Stuttgart. 1971 von dem britischen Tanzregisseur und Choreografen John Cranko gegründet wurde sie schnell zu einer der weltweit führenden Institutionen. Ihren Sitz hatte sie bis vor kurzem in einem ehemaligen Druckereigebäude nordöstlich der Stuttgarter Innenstadt, das ursprünglich nur als Provisorium gedacht war. Der langjährigen Überzeugungsarbeit des kanadischen Intendanten Reid Anderson ist es schließlich zu verdanken, dass die Ausbildungsstätte nun ein neues Haus nach Entwürfen von Burger Rudacs Architekten beziehen konnte. Das Münchner Büro hatte sich im Wettbewerb gegen Konkurrenten wie Lederer Ragnarsdóttir Oei, Zaha Hadid, gmp, Snøhetta, Delugan Meissl und Sauerbruch Hutton durchgesetzt.
Gallerie
Staffelung und Stäffele
Der Neubau befindet sich vom Hauptbahnhof aus sichtbar in Halbhöhenlage, am östlichen Hang des Stuttgarter Talkessels. Auf die besondere topografische Situation – das knapp hundert Meter lange Grundstück weist eine Höhendifferenz von gut 21 Metern auf – reagiert der Entwurf mit einem 90 x 63 Meter großen Baukörper auf rechteckigem Grundriss, der dem Grundprinzip der mehrfachen Staffelung folgt, aufgespannt zwischen einer teilöffentlichen Probebühne im Westen und höher am Hang dem Internatsgebäude mit Haupteingang. Dazwischen befinden sich die großen und kleinen Tanzsäle sowie die Verwaltungs- und Schulräume. Die Probebühne entspricht in ihren Proportionen der Bühne des unweit entfernten Opernhauses und bietet so die Möglichkeit, unter gleichsam realen Bedingungen zu proben. Mit ihren zweihundert Sitzplätzen und einem eigenen Foyer kann sie außerdem für kleine öffentliche Veranstaltungen genutzt werden. Entlang des Gebäudes führt ein Stäffele – wie die zahlreichen städtischen Treppen an den Stuttgarter Hängen genannt werden – vom Außenbereich der Probebühne hinauf zum Haupteingang.
Klare Materialität
Vorherrschendes Oberflächenmaterial innen und außen ist heller, scharfkantig geschnittener Sichtbeton, wodurch das Bauwerk einen monolithischen Charakter erhält. Im Innenraum ist der Beton mit einer feinen Oberflächenstruktur versehen, erzeugt durch spezielle Schalungsplatten mit einer 3,5 cm breiten Riemchenoberfläche. Dunkel gebeizte, halbhohe Wandverkleidungen aus furnierter Kiefer, die zur Verbesserung der Akustik teils mikroperforiert sind, bilden einen optischen und haptischen Kontrast. Die Verglasungen sind mit ebenfalls dunklen Rahmen mit tiefen Laibungen gefasst. Die Böden entsprechen farblich dem Hellgrau des Betons. Diese reduzierte Farb- und Materialwahl charakterisiert den Schulbau also außen wie innen.
Ressourcensparendes Energiekonzept
Der Neubau fällt in den Geltungsbereich der EnEV 2014; für den Wärmebedarf wurden die Vorgaben der EnEV 2009 minus dreißig Prozent angestrebt. Insgesamt ist die Gebäudetechnik recht komplex. Ursächlich sind dafür u. a. die städtebaulichen Vorgaben, durch die es nicht möglich war, auf dem Dach regenerative Energieerzeuger wie Solarthermie oder Photovoltaik umzusetzen. Basisenergielieferanten sind also zunächst das öffentliche Stromnetz und die Fernwärmeversorgung der Stadt. Um die energetischen Standards dennoch einhalten zu können, haben die Verantwortlichen von Duschl Ingenieure aus Rosenheim ein Gebäudetechnikkonzept entwickelt, dem ein dennoch möglichst ressourcenschonender Umgang mit Energieträgern zugrunde liegt.
Energiegewinnung durch Eisspeicher
Die Be- und Entlüftung ist mit einer hocheffizienten Wärmerückgewinnung ausgestattet. Für die Wärmeerzeugung gibt es zwei Wärmequellen: Die Fernwärme sichert zunächst hundert Prozent des Bedarfs für Heiz- und Trinkwasserwärme ab, die Niedertemperaturverbraucher werden vorrangig über eine Wärmepumpe versorgt. Als Wärmequelle dafür wiederum dienen zwei jeweils 530 Kubikmeter große Eisspeicher. Ergänzt wird das System durch Pufferspeicher. Die Übergabe der Wärme- bzw. Kälteenergie an den Raum erfolgt über eine Betonkernaktivierung bzw. Bauteilaktivierung der Decken mit einer wirksamen Gesamtfläche von 4.200 Quadratmetern. Im Heizbetrieb wird Wasser mit einer Vorlauftemperatur bis zu 35 Grad Celsius durch die Rohrleitungen in der Decke geführt. Die Vorlauftemperatur bei der Kühlung beträgt ca. 18 Grad, was einer eher sanften Klimatisierung entspricht, auch um Kondenswasser an den Bauteilen zu vermeiden. Da die Verteiler der Betonkernaktivierung sich immer im Raum über den Betonkernfeldern befinden, erfolgt die Regelung der Stellventile auf den Verteilern durch die Gebäudeautomation.
In den Sanitär- und Umkleidebereichen sowie in den Räumen der Südspange sind über 3.000 Quadratmeter Fußbodenheizung installiert, die mit den gleichen Systemtemperaturen wie die Betonkernaktivierung betrieben werden. Heizkörper sind also im ganzen Haus nicht notwendig, wodurch am Ende auch das dafür notwendige Vorlauf-Temperaturniveau entfällt. Die Probebühne schließlich wird über Deckenstrahlplatten mit hohem konvektivem Anteil beheizt und auch gekühlt. So ist es den Planenden trotz widriger Grundvoraussetzungen gelungen, ein Energiesystem zu entwickeln, das ressourcenschonend arbeitet. -tg
Bautafel
Architektur: Burger Rudacs Architekten, München
Projektbeteiligte: Drees & Sommer, Stuttgart (Projektsteuerung); Wenzel + Wenzel, Stuttgart (Objektüberwachung); Duschl Ingenieure, Rosenheim (HLSK- und Elektroplanung); Mayr | Ludescher | Partner, Beratende Ingenieure, Stuttgart (Tragwerksplanung); Brüssau Bauphysik, Fellbach (Akustik und Bauphysik); E3 Ingenieurgesellschaft, Altenbeken (Bühnentechnik); Ingenieurbüro für Brandschutz Hoffmann, Pirmasens (Brandschutz)
Bauherrschaft: Land Baden-Württemberg vertreten durch den Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Stuttgart
Standort: Werastraße 27, 70182 Stuttgart
Fertigstellung: 2020
Bildnachweis: Brigida González, Stuttgart
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